Ein Slum als Lebens- und Arbeitswelt
Dharavi ist einer der ungewöhnlichsten Orte in Indien: Mit den hier hergestellten Produkten im Wert von jährlich 650 Millionen Dollar ist Dharavi Mumbais produktivster Slum – und stellt damit unsere Vorstellungen eines "Armenviertels" völlig auf den Kopf.
Die Dharavi T-Junction - eine markante Straßenkreuzung in der indischen Metropole Mumbai. Hier halten zahlreiche Busse. Jeder Rikscha-Fahrer kennt sie. Wer sich durch den dichten Verkehr fädelt und an Imbissbuden vorbeidrückt, gelangt auf einen schmalen Weg, der direkt ins Herz der 12,5 Millionen Metropole führt – in den Stadtteil Dharavi.
Stadt in der Stadt
Schätzungen zufolge leben und arbeiten hier auf zwei Quadratkilometern zwischen 600.000 und einer Million Menschen. Dharavi hat die höchste Bevölkerungsdichte der Welt. Gerade einmal zehn Gehminuten vom Finanzzentrum Mumbais entfernt, liegt das Viertel, eingeklemmt zwischen zwei Bahntrassen. Dicht an dicht stehen hier ein- bis dreistöckige Häuser aus Beton, Holz, Blech und Plastik gebaut. Umfragen haben ergeben, dass die meisten Familien ein Haus bewohnen, das aus einem Raum besteht. Dieser Raum misst durchschnittlich 12,5 Quadratmeter und beherbergt 6,2 Personen.
Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich die Bewohner Dharavis nicht nur die vielfältigsten Behausungen gebaut, sondern auch Netzwerke gesponnen, die ihnen das Überleben sichern. Typisch für das Viertel sind winzige Manufakturen geworden, in denen drei bis fünf Arbeiter Lebensmittel, Kleidung, Lederwaren und vieles mehr herstellen. Wie viele solcher Mikrobetriebe in Dharavi genau siedeln, ist umstritten, die Ziffern schwanken zwischen 5.000 und 10.000. Außerdem gibt es in Dharavi mehrere Schulen, über 100 Tempel, Moscheen und Kirchen und ein Krankenhaus.
Vom Straßenverkehr ist jetzt nichts mehr zu hören. Einige Frauen stehen auf dem steinig-staubigen Gehweg vor einem Shop mit farbenfroher Damenbekleidung, gleich daneben schnüffeln zwei Hunde an einer Plastiktüte. Dann wird der Weg enger und die Szenerie wirkt beinahe dörflich: ein knorriger Banyan-Baum scheint mit einem der Häuser verwachsen, gleich daneben ein Schrein zu Ehren des indischen Gurus Sai Baba.
Kinder müssen Sportzentrum weichen
Vor einer offenen rosafarbenen Tür signalisieren zahlreiche Schuhe, dass hier ein Treffpunkt für Frauen und Kinder ist. Auf dem Steinfußboden sitzen acht Jungen und Mädchen im Alter zwischen sechs und 16 Jahren im Kreis und studieren ein Lied ein. "Wir werden hart in die Pedale treten und auf kleinen Rädern voran fliegen, auf dem Fahrrad unserer Träume", lautet der Songtext. Das Lied ist der Auftakt zu einem Theaterstück, das der 12jährige Yeshu ankündigt:
"Die Kinder hier haben sich immer gewünscht, dass dieser Garten nie von einem bösen Blick getroffen wird. Doch leider ist dieser Platz jetzt irgendjemandem zum Opfer gefallen. Lassen Sie uns herausfinden, wer für diesen Schaden verantwortlich ist."
Yeshu ist konzentriert bei der Sache und blickt die Regisseurin Indira Gartenberg mit großen Augen an, während er seinen Text aufsagt. Das Theaterstück schildert, wie Kinder eines Stadtviertels ihre Spielwiese verlieren, weil dort ein teures Sportzentrum gebaut wird. Ihres Platzes beraubt, müssen sie sich von nun an auf der Straße aufhalten. Dabei wird eines von ihnen von einem Auto angefahren und stirbt. Die Kinder erzählen ihre eigene Geschichte, denn eins bekommen sie immer wieder zu spüren: in Dharavi ist für Kinder nicht viel Platz. Indira Gartenberg:
"Der Zugang zu Wasser und der Zugang zu Raum – das sind zwei Bereiche, bei denen Hierarchien sehr deutlich werden. Besonders krass ist das in den Slums zu sehen, denn von beidem gibt es wenig, so dass darum gekämpft werden muss. Wer Zugang hat und wer nicht, hängt davon ab, wo er sich in der sozialen Hierarchie befindet."
Wie schwierig es ist, in Dharavi Räume zu finden, stellte Indira Gartenberg vor acht Jahren fest, als sie für ihr Projekt etwas suchte. Die junge Frau arbeitet für die LMKS Frauen-Gewerkschaft, die gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation "Learn" die Arbeitsverhältnisse der Frauen verbessern möchte. In Mumbai arbeiten rund 92 Prozent aller Arbeiter im informellen Sektor, so steht es im Mumbai Reader von 2006.
Ein Ort für Frauen
Fünf Nähmaschinen, ein Tisch, ein Stapel Plastikstühle und ein Schrank. Damit hat Indira Gartenberg die beiden Zimmer ihres Projektes ausgestattet. Diese Räume haben sich in den letzten Jahren zum Mittelpunkt von 3.000 Frauen und 120 Kindern entwickelt. Die Frauen lernen Nähen, die Kinder spielen Theater und die Feldarbeiterinnen der Gewerkschaft treffen sich hier regelmäßig. Die Aufgabe der Feldarbeiterinnen ist es, die Mitglieder der Frauen-Gewerkschaft zu besuchen, ihnen von der Arbeit der Gewerkschaft zu erzählen und ihnen Unterstützung anzubieten. Nirmala, Fatima, Savrita oder Sheila-Devi gehen immer zu zweit los. Oft sind sie stundenlang unterwegs, schließlich leben die Gewerkschaftsangehörigen über das ganze Viertel verteilt. Heute machen sich Nirmala und Fatima gemeinsam auf den Weg.
Der führt an einer breiten mit Abfall gefüllten stinkenden Wasserrinne vorbei. Krähen flattern umher, zerren Essbares aus dem Müll. Die Luft ist von Fliegen geschwängert. Die Häuschen drängen sich eng aneinander, Unikate aus den verschiedensten Materialien zusammengezimmert, keins gleicht dem anderen. Vor einem der Häuser bleiben die Frauen schließlich stehen.
Die offene Tür lässt einen Blick in das Innere des Wohnraums zu. Der Boden ist gefliest und blitzblank geputzt. Mehr als acht oder zehn Quadratmeter sind es kaum. Hier lebt Jameli mit ihrem Mann und drei Kindern. Jameli arbeitet als Hausangestellte im benachbarten Viertel Bandra. Wenn die stille Frau nachmittags zurück nach Dharavi kommt, kümmert sie sich um den eigenen Haushalt. Auf der einen Seite des Raums befindet sich der Küchenbereich: Jeder Teller, jeder Becher hat seinen Platz. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen der Kühlschrank und ein Schrank. In einer der Ecken stapeln sich Matten, die abends zum Schlafen ausgerollt werden.
Nirmala und Fatima unterstützen die Gewerkschaftsangehörigen, indem sie ihnen Gutscheine anbieten. Mit einem solchen Schein können sie sich im Gewerkschaftsbüro eine Ration Reis oder ein Kleidungsstück, etwa einen Sari, abholen. Doch zunächst fragt Fatima nach den genauen Familienverhältnissen. Ob Jameli ihr sagen könne, wieviele Personen sie hier seien?
"Von meiner Seite sind es zwei, eine Schwester und meine Schwiegermutter, dann ist da noch Sughra und Mami, in unserer Straße ist das so, unsere Schwiegermutter, meine Schwester, Sughras Schwester, meine Tante und noch eine Tante, sieben, acht, und Balam ist auch noch gekommen, also neun."
Jameli nimmt die Finger zur Hilfe, während sie die Mitglieder ihrer Großfamilie aufzählt, die alle in der gleichen Gasse wohnen. Dann setzt die junge Frau hinzu, dass ihre Schwester und die Mutter ihres Onkels Witwen seien. Da horcht Fatima sofort auf und erklärt:
"Wer Witwe ist, sollte das Todeszertifikat des verstorbenen Manns bringen, zweifach, damit ich weiß, wessen Frau sie ist. Wie soll ich das sonst wissen?"
Witwen werden nur unterstützt, erklärt Fatima, wenn sie den Tod ihres Ehemanns nachweisen. Dann zählt die Feldarbeiterin drei Gutscheine ab und überreicht sie Jameli.
Dharavis Töpferviertel Kumbharwada
Durch Dharavi verlaufen zwei Hauptstraßen, die "60 Feet Road" und die etwas größere "90 Feet Road". In den gewundenen Gassen östlich der "90 Feet Road" liegt Kumbharwada, das Töpferviertel von Dharavi. Etwa 2.000 Familien gehen hier ihrem traditionellen Handwerk nach. Auf den Mauern und freien Flächen stehen Tongefäße zum Trocknen - Rand an Rand, in jeder Form und Größe. Mittendrin, auf einem größeren Platz, steht ein imposanter Brennofen, der Umfang rund zwei mal zwei Meter, brusthoch, sein Rauch zieht durch das Viertel.
Zwei Männer arbeiten in einer spärlich beleuchteten Werkstatt. Dhansuk, der Jüngere, wirft Lehmbrocken auf eine am Boden liegende Plastiktüte. Erst klopft er die Brocken mit der Handfläche glatt, dann streicht er nochmals mit einer Art Spachtel darüber. Seine Bewegungen sind präzise und schnell. Nachdem er Sägemehl über den Lehm gestreut hat, legt er eine Form an und wenige Sekunden später ist ein 50 Zentimeter großes Gefäß entstanden. Dieses gibt er an seinen Vater Naresh weiter, der die Ränder versäubert und den Ton mit Wasser glattstreicht.
Dhansuks Familie ist 1933 aus dem Bundesstaat Gujarat nach Mumbai gekommen und lebt bereits seit drei Generationen in Dharavi. Vater und Sohn beginnen ihren Arbeitstag morgens um sieben, pausieren mittags eine halbe Stunde und beenden ihren Tag um 16 Uhr.
Leben und arbeiten auf engstem Raum
"Wie viele von den Gefäßen wir täglich anfertigen, hängt von der Saison ab, wie etwa an Diwali."
Während des indischen Festivals Diwali steigt die Nachfrage und die Männer fertigen täglich 60 Stück ihrer Gefäße an – statt wie sonst 40. Die Töpfer-Familie lebt und arbeitet in drei Räumen. Im Ersten verarbeiten die Männer den Lehm, im Zweiten verkaufen sie die fertigen Gefäße und im Dritten lebt die Familie.
Diese Struktur ist typisch für Dharavi: Leben und arbeiten auf engstem Raum. Auf diese Weise entstehen in dem Viertel 63 Prozent der gesamten Produktion Mumbais. Wie eine riesige Batterie, von menschlicher Arbeitskraft betrieben, versorgt Dharavi nicht nur Mumbai mit Gütern, sondern auch den Weltmarkt. Die Einwohner Dharavis erwirtschaften jährlich etwa 500 Millionen Dollar.
Dharavi hat sich aus einem Fischerdorf entwickelt, das im Jahr 1910 erstmals dokumentiert ist. Damals bestand Bombay noch aus mehreren Inseln, die man nach und nach trockenlegte. Das neu gewonnene Land bot Raum für Landflüchtlinge und die Stadt wuchs. Die Töpferfamilien aus Gujarat waren die ersten Zuwanderer Dharavis. Ihnen folgten Migranten aus allen Landesteilen, aus Tamil Nadu, Karnataka, Rajasthan oder Uttar Pradesh.
Das heutige Dharavi ist das Ergebnis des jahrzehntelangen Einsatzes seiner Migranten. Subodh More ist Aktivist der linken Bewegung in Mumbai. In den 80er und 90er Jahren setzte er sich für die Belange der Slum-Bewohner ein. Subodh More erinnert sich noch an ein anderes Dharavi:
"Das, was du in Dharavi jetzt siehst, hat sich in den letzten 30 Jahren entwickelt. Was ich damals in Dharavi gesehen habe, waren kleine Hütten, da gab es keine Straße, es gab keine Latrinen, die Grundbedürfnisse waren nicht gedeckt. Jetzt kannst du richtige Siedlungen sehen. Aber ich habe noch gesehen, dass sie Plastik verwendeten, dünnes Wellblech haben sie als Dach genutzt und für die Wände. Das war Dharavi vor dreißig Jahren. 1978 kauften die Menschen einen Eimer Wasser für zwei Rupien, damals waren zwei Rupien sehr viel."
Armut macht krank
Inzwischen schleppen die Bewohner Dharavis das Wasser nicht mehr in Eimern für zwei Rupien nach Hause, sondern haben eine Wasserleitung im Haus oder zumindest in der Nähe ihres Hauses. Allerdings bekommen nur diejenigen Wasser, die rund 150 Rupien im Monat dafür bezahlen und auch dann läuft das Wasser nur wenige Stunden am Tag aus dem Hahn. Die Infrastruktur des Viertels hat sich zwar partiell verbessert, beispielsweise gibt es für die meisten Bewohner inzwischen Strom, doch der tägliche Gang zur Toilette ist noch immer problematisch. Wer eine saubere Toilette benutzen möchte, muss zwei Rupien bezahlen. Der Lehrer Anand Salvi ist in Dharavi geboren und aufgewachsen. Er weiß, was für eine wichtige Rolle die sanitären Anlagen spielen, aber er weiß auch, wie teuer sie sind:
"Angenommen du hast ein kleines Grundstück, aber du hast kein Geld, wie kannst du eine Toilette bauen? Du wirst rausgehen und die "Pay And Use"-Toiletten benutzen."
Die mangelnde Hygiene der sanitären Anlagen führt bei vielen Slumbewohnern zu Krankheiten. Schuld daran sind auch die sturzflutartigen Regenfälle des Monsun, die Abflusskanäle und Wohnräume gleichermaßen überspülen, dabei Schmutz und Fäkalien verteilen und über Monate Feuchtigkeit hinterlassen. In Dharavi grassieren Magen- und Darmkrankheiten, Thypus, Chikungunya- und Dengue-Fieber, Tuberkulose und die Immunschwäche HIV. Anand Salvi wünscht sich mehr Bildung für die Jugend Dharavis, deshalb arbeitet er seit 1992 als Lehrer:
"Durch Bildung kann sich etwas verändern. Es gibt viele Probleme, aber viele Probleme können durch Bildung gelöst werden. Dr. B. R. Ambedkar hat uns auch gesagt, dass in unserer indischen Gesellschaft die Bildung wesentlich ist."
Das "ausgegrenzte Andere"
Bhimrao Ramji Ambedkar ist für viele Bewohner des Viertels ein Vorbild. 1947 wurde er der erste Justizminister des unabhängigen Indiens und arbeitete die Verfassung der neugeborenen Nation mit aus. Der beliebte Sozialreformer teilt mit den meisten Einwohnern Dharavis ein Merkmal: er gehörte einer Kaste an, die von der indischen Gesellschaft verachtet und ausgegrenzt wird: den Dalit. Bhimrao Ramji Ambedkar entwickelte sich zum politischen und geistigen Führer der Dalit und wird bis heute für sein Wirken verehrt. Für die hinduistische Gesellschaft verkörpern Dharavi und seine Einwohner dagegen all das, was als ablehnenswert gilt. Es ist das "ausgegrenzte Andere", das Dharavi repräsentiert, erklärt der Soziologe Ramesh Kamble:
"Da es sich am Stadtrand befand, wurde es als ein schmutziger Ort betrachtet. Alles, was verachtet wird, alles was als unerwünscht angesehen wird, war in Dharavi angesiedelt."
Ramesh Kamble ist Professor für Soziologie an der Universität Mumbai und selbst Dalit. Er hält die häufig genannte religiöse Begründung von Reinheit und Unreinheit, mit der sich die hinduistische Gesellschaft von den Dalit abgrenzt, für vorgeschoben:
"Für mich sind Kaste und Unberührbarkeit beide im Grunde eine Art soziales Arrangement für ausbeuterische soziale Beziehungen. Die Religion wurde heraufbeschworen, um die Legitimation für diese Machtverhältnisse zu liefern."
Durch das starke Wachstum der Stadt sei Dharavi zwar vom Rande Mumbais ins Zentrum gerückt und ziehe inzwischen die Aufmerksamkeit der globalen Ökonomie auf sich, aber die Bewohner von Dharavi blieben weiterhin in den traditionellen Strukturen gefangen, erklärt der Soziologe.
"Die traditionelle soziale Struktur und die neue soziale Struktur des kapitalistischen Marktes bestehen nebeneinander. Die am wenigsten geschützten Arbeitskräfte speisen sich aus den benachteiligten Kasten und der Stammesbevölkerung. Eine große Anzahl von schutzlosen Arbeitern stammt aus den Dalit-Gemeinschaften. Sie bleiben marginalisiert, ihre Stimme wird nicht gehört, sie bleiben vielfach verwundbar - dieser Zustand hat sich im Wesentlichen nicht verändert."
Slumbewohner fürchten Vertreibung
Ajit Abhimeshi singt von dem indischen Revolutionär Bhagat Singh, der für die Unabhängigkeit Indiens von den Briten kämpfte. Ob Bhagat Singh oder Bhimrao Ramji Ambedkar, erklärt er, ihre Ideologien lebten in jedem indischen Staatsangehörigen weiter. Der Journalist beobachtet Dharavi seit einem Jahrzehnt und dokumentiert das dortige Leben mit Hilfe von Fotografien und Interviews:
"Die Einwohner Dharavis sollten fordern, was sie wollen. Ja, wir wollen eine Sanierung, aber wir wollen unsere Arbeit machen. Wir sollten Raum für unsere Arbeit bekommen. Wir sollten Raum für unsere sozialen Versammlungen bekommen."
Seit 2007 schwebt über Dharavi ein Damoklesschwert: Die Autoritäten Mumbais haben den Slum zum Verkauf angeboten. Der Käufer gewinnt bestes Land, ist durch seinen Kauf allerdings per Gesetz dazu verpflichtet, jeder Familie des Viertels 20,9 Quadratmeter zur Verfügung zu stellen und für die Wasser- und Abwasserversorgung zu garantieren. Die geplante Slum-Sanierung ist ein Mammutprojekt, das große Hoffnungen weckt und gleichzeitig viele Bewohner Dharavis aus ihrer jahrzehntelangen Heimat verdrängt. Die Gewerkschaftlerin Indira Gartenberg erklärt warum:
Das Problem ist, dass die meisten Bewohner Dharavis Miete zahlen. Die Entscheidung, wer ein Recht auf ein neues Haus bekommt, beruht auf Eigentum, also macht es keinen Sinn. Denn die meisten Bewohner Dharavis werden dann keinen Platz finden. Rund 85 Prozent aller Einwohner würden leer ausgehen, schätzt Indira Gartenberg.
Was wird bleiben?
Der Lehrer Anand Salvi zieht gerade in ein Hochhaus um, das bereits während einer Sanierung in den 90er Jahren gebaut worden war. Seine Situation veranschaulicht ein weiteres Problem, vor das zahlreiche Bewohner des Viertels gestellt sind. Die Sanierung durchbricht die für Dharavi typische Struktur: Bislang hat Anand Salvi in einem kleinen zweistöckigen Haus gelebt und gearbeitet. Das Erdgeschoss bewohnte er mit seiner Familie, während er im oberen Stock seine rund 15 Schüler unterrichtete. Anand Salvi deutet mit der Hand auf sein altes Heim, von dem die hellblaue Wandfarbe blättert:
"Jetzt ziehe ich aber in ein Zimmer um, dann muss ich meinen Unterricht wegen der mangelnden Fläche beenden."
Anand Salvi unterrichtet inzwischen in den benachbarten Vierteln Bandra und Kurla. Für viele andere Bewohner Dharavis würde der Umzug in ein Hochhaus allerdings das berufliche Aus bedeuten, etwa für die Töpfer und die zahllosen kleinen Manufakturen. Indira Gartenberg möchte, dass die Arbeitsbedingungen der Menschen in die Planung der Investoren mit einbezogen werden:
"Wenn in diesem Slum so viel hergestellt wird, dass er für die ganze Welt interessant geworden ist und, wenn du das dann aus Dharavi herausreißt, was ist dann noch übrig?"