Die Ausstellung "Mumien – Geheimnisse des Lebens" ist noch bis zum 31. März 2019 in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zu sehen
Eine besondere Begegnung mit Leben und Tod
Neue Techniken helfen dabei, das Geheimnis der Mumien weiter zu lüften. In Mannheim zeigen die Reiss-Engelhorn-Museen nun eine faszinierende Ausstellung. Über die Faszination und Irritation beim Anblick der konservierten Körper spricht Direktor Wilfried Rosendahl.
Mehr als drei Millionen Menschen haben die erste, gut zehn Jahre alte Mannheimer Mumien-Schau auf ihrer weltweiten Tournee gesehen. Jetzt kehrt sie in die Reiss-Engelhorn-Museen zurück, ergänzt um neue Forschungsergebnisse: Die aus Ägypten, Lateinamerika, Asien und Europa stammenden Mumien wurden mit Hilfe von Kernspintomografen regelrecht durchleuchtet. Den Forschern gelangen auf diese Weise völlig neue Einsichten in die Lebensgeschichten der Toten. Von der Faszination für die Mumien und den neuen Techniken sprach der Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen, Wilfried Rosendahl, im Deutschlandfunk Kultur. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Totgesagte leben länger – das gilt auch für die Mumien, die ab dem Wochenende in Mannheim ausgestellt werden. Wilfried Rosendahl ist Projektleiter der Ausstellung "Mumien – Geheimnisse des Lebens", und er ist Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen. Guten Morgen, Herr Rosendahl!
Wilfried Rosendahl: Schönen guten Morgen!
Welty: Sie können ja ziemlich sicher sein, dass Mumien nach wie vor faszinieren. Woher kommt diese Faszination?
Rosendahl: Ich denke, Mumien sind für uns eine ganz besondere Begegnung sowohl mit dem Tod als mit dem Leben. Denn wir wissen, die Menschen haben vor vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden gelebt, aber dennoch schauen wir in ein Antlitz, das uns doch eher an ein Leben erinnert, und das ist sicherlich etwas Irritierendes und Faszinierendes.
Welty: Besonders populär war es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in London, die eigene Mumie auf dem Billardtisch auszuwickeln. Ist das für Sie heute noch nachvollziehbar?
Rosendahl: Na ja, jede Zeit hat so ihre Geschichten, und im Rückblick immer alles zu verurteilen – das war damals so. Heute ist es anders, und ich denke, in der Zukunft wird man vielleicht auch wieder schauen, Mensch, warum habt ihr so große Proben genommen, das geht doch viel kleiner. Ich halte mich da etwas neutraler zurück bei solchen Dingen.
Welty: Ist es richtig, dass Mumien ähnlich wie Trockenfleisch besteuert wurde, wenn man sie nach Europa einführte?
Rosendahl: Das ist durchaus möglich. Gerade die Dinger, die aus Ägypten gekommen sind, ob es nun Mumien sind oder andere Sachen, haben ganz skurrile Geschichten, bis hin ja, dass Mumien als Medizin noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurden.
Detektivarbeit möglich
Welty: Was erzählen denn die mumifizierten Toten über das Leben?
Rosendahl: Menschen haben gelebt, haben gelitten, und mit modernsten Methoden aus der Medizin, vor allem mit dem Computertomografien blicken wir in diese erhaltenen Körper hinein und können natürlich auch lesen, was vielleicht geschehen an Krankheiten, über Unfälle, aber auch über Gewalttaten. Wir haben einen Mumienkopf aus dem Nationalmuseum für Kunst und Geschichte in Luxemburg, an dem konnten wir nachweisen, dass die junge Frau vor 2.000 Jahren erschlagen worden ist, also einen Mordfall aufdecken.
Wir haben eine Mumie aus Peru, 500 Jahre alt, eine Frauenmumie, die hat zwei kleine Gegenstände in ihren Händen. Das haben wir lange nicht gewusst, und wir wissen heute, es sind Milchzähne von Kindern. Man hat ihr Milchzähne mitgegeben. Das Aufbewahren und Sammeln von Milchzähnen ist etwas, was uns vielleicht doch sehr heimisch auch vorkommt.
Welty: Wie haben Sie das dann erfahren, dass sie Milchzähne in ihren Händen hält?
Rosendahl: Das ist eine wichtige Frage, denn man könnte denken, ach, die haben doch die Hände aufgemacht. Nein, das müssen wir heute gar nicht. Wir haben die computertomografischen Datensätze umgewandelt in einen Drei-D-Druckdatensatz für einen Drei-D-Drucker, haben die Gegenstände ausgedruckt. Und als wir sie dann in den Händen hatten, wurde uns klar, was es ist.
Welty: Also Sie haben es sozusagen nachgebaut.
Rosendahl: Nachgedruckt, genau. Wir können alle inneren Strukturen eines Körpers, über den Computertomografen und den Drei-D-Drucker auch replizieren. Wir konnten auch Schädel aus einer Mumie, deformierte Schädel, entsprechend ausdrucken und neben die Mumie legen, obwohl sie ihren Originalschädel noch hat.
Frau mit Milchzähnen in den Händen
Welty: Haben Sie in der Ausstellung, die morgen eröffnet wird und dann übermorgen fürs Publikum zugänglich ist, eine Lieblingsmumie?
Rosendahl: Die Frau mit diesen Milchzähnen ist für mich – "Liebling" ist da – für mich …
Welty: Ja … in Anführungszeichen …
Rosendahl: Für mich die faszinierendste, weil sie unglaublich viel über Leben erzählt. Die Frau hatte eine Tuberkuloseerkrankung, war querschnittsgelähmt, hatte einen Schlüsselbeinbruch, hat sich von Malz ernährt, lebte aber an der Küste. Und Milchzähne, ich weiß nicht, warum sie Milchzähne in den Händen hat, auch nicht, ob es ihre sind, oder die ihrer Kinder, Enkelkinder. Aber das bringt sie ganz nah zu uns, zum Besucher von heute, denn das Aufbewahren von Milchzähnen ist ja etwas, was viele Leute noch kennen.
Welty: Da gibt es so kleine Schächtelchen dann.
Rosendahl: Schächtelchen haben wir eben hier nicht. Hier liegt's in den Händen. Und wir haben auch extra für diese Frau eine moderne rechtsmedizinische Gesichtsrekonstruktion gemacht, um die den Besuchern noch näher zu bringen, um einfach zu zeigen, nimm dir die Ruhe, komm, höre die Geschichten dieser Menschen, die sie erzählen können, über die Methoden, die wir verwenden, und schau ihr auch mal ins Gesicht.
Welty: Bei der ganzen Technik, die Sie einsetzen, Drei-D-Drucker, Gesichtsrekonstruktion, das klingt nach einer ziemlich teuren Ausstellung.
Rosendahl: Wir forschen seit über zehn Jahren im German Mummy Project. Wir haben viele Erkenntnisse über die Zeit gewonnen. Natürlich ist Forschung auch etwas, was kostet. Deswegen präsentieren wir auch in dieser Ausstellung ganz klar Einblicke in die Methoden, wo wir diese Geschichten mit entschlüsseln können, wo wir die Geheimnisse des Lebens mit auf den Präsentierteller legen. Unsere Stiftung, die Curt-Engelhorn-Stiftung hat die Finanzierung getragen, und das eine oder andere Drittmittelprojekt ist dazugekommen. Ausstellungen kosten Geld, aber deswegen hoffen wir ja auch, dass Besucher kommen, dass die Forschung wieder ein Reinvest bekommt.
Umgang mit Verstorbenen
Welty: Was würden Sie gern noch über Mumien wissen wollen?
Rosendahl: Das möchte ich gar nicht vorhersagen. Ich habe mich so häufig überraschen lassen müssen, denn von außen sieht man nicht, was einen von innen erwartet. Selbst Mumienteile, wo manche Leute sagen, ach, das lohnt doch nicht, das ist doch nicht schön – es geht nicht um schön, es zu tun, um hineinzuschauen, um zu sehen, welche Methode kann hier helfen, mehr Wissen über etwas zu haben, was bei uns in den Depots liegt, was wir gesondert verwahren müssen, wo wir besonders mit hantieren, denn es sind ja Verstorbene. Von daher bin ich mir sicher, es kommt noch einiges in den nächsten Jahren aus der Forschung, wo wir nie mit gerechnet haben, dass wir das auch mal entdecken dürfen.
Welty: Sie haben es gerade gesagt, es handelt sich um Verstorbene, um Menschen. Es ist was anderes als ein Bild, eine Skulptur, ein Kunstwerk im Allgemeinen, oder?
Rosendahl: Ja. Es sind, das sollten wir uns auch immer bewusst machen, als Forscher wie auch als Besucher, wir haben eine Begegnung mit Menschen der Vergangenheit in einer besonderen Form, und wir sollten auch den Gedanken in uns tragen, selbst wenn uns diese Menschen, so wie sie erhalten sind, spannende Geschichten erzählen können.
Eine besondere Begegnung mit dem Original, mit den Erkenntnissen ist, glaube ich, eine sehr spannende Begegnung. Unsere Ausstellung ist nicht inszeniert, hat eine sehr schöne, ruhige Atmosphäre. Es gibt Raum. Der Besucher kann sich Zeit nehmen, er kann sich annähern, so nahe, wie er möchte, um einfach auch diesen Überlegungen gerecht zu werden.
Kein Gruseleffekt
Welty: Wer Mumie sagt, denkt unweigerlich an den eher unwahrscheinlichen Moment, dass die Mumie wieder zum Leben erwacht. Sind Sie völlig frei von diesem Gedanken, dass die Mumie zurückkehrt?
Rosendahl: Das sind natürlich schnell diese Geschichten, wo dann auch die Begrifflichkeit Grusel aufkommt, die ich eigentlich gar nicht mag. Das wird auch diesen erhaltenen Menschen und Tieren nicht gerecht. Sie irritieren uns und faszinieren uns, aber wiederauferstehen – das sind Geschichten, die eine ganz andere Ausstellung über Wiedergänger, Tod und Sterben anderer Art nötig machen würde.
Aber Tod und Sterben kombiniert sich natürlich schnell mit Mumien und erinnert einen, wie schön das Leben vielleicht ist, und lässt einen denken, was kommt denn nach mir, wie geht es weiter, wie bleibt man vielleicht selbst erhalten, oder was kann man tun, um erhalten zu bleiben.
Welty: Wilfried Rosendahl ist Projektleiter der Ausstellung "Mumien – Geheimnisse des Lebens". Haben Sie herzlichen und sehr lebendigen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.