"Mumien-Pornografie" in Mannheim
Der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung, hat scharfe Kritik an der Mumien-Ausstellung in Mannheim geübt. Die Ausstellung der Toten sei obszön, hier sei eine Pietätschwelle überschritten worden, meinte der Ägyptologe.
Gabi Wuttke: "Mumien – der Traum vom ewigen Leben", ab Sonntag ist die Ausstellung in Mannheim zu sehen. Zu Gast im Radiofeuilleton ist jetzt Dietrich Wildung, der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, ich grüße Sie, guten Morgen.
Dietrich Wildung: Einen schönen guten Morgen.
Wuttke: Ihnen behagen beide Ausstellungen nicht. Warum haben auch Mumien für Sie ein Recht auf Totenruhe?
Wildung: Ich glaube, wir sollten gerade bei den ägyptischen Mumien berücksichtigen, wie dieses Phänomen der Mumifizierung von den Ägyptern selbst gesehen wurde. Es war in der Darstellung und in der schriftlichen Fixierung tabu, es wurde nicht abgebildet, es wird wenig darüber geschrieben, es ist eine kritische Zone des Übergangs von diesem Leben in ein ewiges Leben und diese kritische Zone ist dem öffentlichen Blick entzogen. Ich glaube, dass Tod und Sterben eine zutiefst private, eine zutiefst persönliche Angelegenheit sind, die nicht vor die Augen einer breiten Öffentlichkeit gezogen werden sollte. Ich möchte daher Tod und Sterben vergleichen mit Zeugung und Geburt, die auch sehr intime, sehr private, persönliche Erfahrungen sind und, vielleicht klingt es ein wenig gewagt, aber unser Umgang mit Zeugung, also letzten Endes mit Sexualität, der längst in die Öffentlichkeit gezerrt worden ist und den wir hier eigentlich als obszön bezeichnen müssten, gibt mir das gedankliche Modell, wie hier in der Ausstellung in Mannheim insbesondere mit dem menschlichen Körper dem toten Körper umgegangen wird, als obszön zu bezeichnen ist, es ist gewissermaßen Mumien-Pornographie.
Wuttke: Das ist ja nun nicht die erste Ausstellung von Mumien, die es gibt. Meinen Sie, dass wir in den letzten Jahrzehnten unser Verhältnis zu der Ausstellung von toten Körpern verändert haben oder ist das etwas, was Sie schon immer kritisch angemerkt haben?
Wildung: Die Tabuschwelle ist zweifellos sehr viel niedriger geworden und da sind natürlich die Medien in ihrem Umgang mit tabuisierten Themen kräftig mit daran Schuld. Wenn man sagt, "sex sells", dann kann man sagen "the mummie sells". Die Veröffentlichung dessen, was nicht veröffentlicht gehört hat einen gewissen prickelnden Reiz und deshalb ist natürlich eine Mumien-Ausstellung unter Marketinggesichtspunkten eine todsichere Angelegenheit, das läuft, da werden die Massen hinströmen, wie zu den Plastinaten von Herrn von Hagens, aber ich glaube, dass hier die Pietätschwelle überschritten ist und dass hier ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Menschen stattfindet, die auch noch bestehen, wenn dieser Mensch in manchen Fällen seit tausenden von Jahren tot ist.
Wuttke: Der Reiz wird ja aber für die Mumien oder wurde nicht geweckt durch die Medien, sondern wir können Mumien sehen, weil es mal etwas wie einen Ausgrabungstrend gegeben hat. Welche Gründe hatte der denn damals und wann genau hat man angefangen, Tote aus der Erde auszubuddeln und mitzunehmen in die Museen in Europa?
Wildung: Die Sitte, oder vielleicht sollte wir eher sagen die Unsitte, tote Menschen aus ihren Gräbern zu holen und in ferne Länder zu transportieren hat in der Renaissance begonnen mit dem Beginn des Interesses am Altertum. Sie hat im 19. Jahrhundert kräftig zugenommen. Deshalb waren Mumien-Exporte gegeben. Wir haben im Ägyptischen Museum in Berlin 90 Mumien liegen.
Wuttke: Das ist eine der größten Sammlungen in Europa dies Jahr.
Wildung: Es dürfte eine der ganz großen Mumien-Sammlungen in Europa sein. Sie ist wissenschaftlich längst aufgearbeitet und ich würde mir eigentlich wünschen, dass einer meiner Amtsnachfolger mit den ägyptischen Behörden ein Agreement findet, diese toten, alten Ägypter in ihre Heimat zurückzuführen und würdevoll zu bestatten.
Wuttke: Sie haben eben schon von Gunther von Hagens gesprochen, man kann diese plastizierten Leichen abstoßend finden, aber man kann doch trotzdem festhalten, dass es faszinierend sein kann, zu sehen, wie die Natur mit toten Körpern umgegangen ist, wie sie sie davor bewahrt hat, sich aufzulösen, wie Eis und Moor diese Hüllen konserviert haben und auch wie Menschen versucht haben, aus einem kulturellen Verständnis heraus, Leichen für ein Leben und ein anderes Leben für den Übergang vorzubereiten. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit zu sagen, man muss als Museumsmann froh sein, wenn man für seine Exponate, für das, was über Jahrzehnte, Jahrhunderte gesammelt wurde, Menschen interessieren kann. Kann man es anders, kann man es besser?
Wuttke: Ich glaube, es ist ganz wesentlich eine Frage des Mediums, in dem derartige Informationen vermittelt werden. Es gibt Sujets, die für das Medium der Massenausstellung nicht geeignet sind, die man im Medium eines Buches zum Beispiel, also in einem sehr individuellen Umgang mit dem Informationsmedium durchaus vermitteln kann, aber die Zurschaustellung gegenüber einer breiten, unkontrollierbaren Öffentlichkeit ist, sagen wir, entweder Populismus oder das ist Spekulieren auf eine gewisse Sensationslust. Wir haben als Museumsleute nicht nur unendlich viele Objekte zu betreuen, wir haben auch eine hohe Verantwortung, was wir zeigen und wie wir es zeigen, und ich bin recht glücklich, dass die großen ägyptischen Museen weltweit im Laufe der letzten zehn Jahre einen Mentalitätswandel erfahren haben und Mumien, die früher zum festen Bestand eines ägyptischen Museums gehörten, peu à peu aus ihren Ausstellungen genommen haben. Es ist in den deutschen ägyptischen Museen keine nackte Mumie, kein nackter Leichnam mehr zu sehen. Ich würde mir noch wünschen, dass Ägypten selbst damit vorsichtiger umgeht. Wenn vor wenigen Wochen die angebliche Mumie der ägyptischen Pharaonin Hatschepsut, einer großen Frau der Weltgeschichte, nackt und bloß vom ägyptischen Kulturminister als Foto der Weltpresse zur Verfügung gestellt wurde, dann ist eine Grenze überschritten, die eigentlich auch den Nationalstolz dieses Landes betrifft. Wie kann ich eine der großen Figuren meiner Geschichte, dazu noch eine Frau, nackt in die Weltpresse geben?
Wuttke: Hat das was auch mit den Titeln der beiden Ausstellungen jetzt in Mannheim und Stuttgart zu tun? Die eine wirbt mit der Unsterblichkeit im Titel, die andere mit dem Traum vom ewigen Leben. Werden da Dinge miteinander verquickt, die nichts miteinander zu tun haben und auf einer ganz irrealen Ebene das Interesse an Mumien offensichtlich, ja, weiter anfachen?
Wildung: Die beiden Ausstellungen haben sehr unterschiedliche Themenstellungen. In Mannheim, in den Reiss-Engelhorn-Museen ist ja eine fächerübergreifende Ausstellung, die Mumien aus allen Kontinenten, bis hin zu einem Mammut, zeigt. Die Stuttgarter Ausstellung ist sehr viel stärker historisch-kulturgeschichtlich. Sie konzentriert sich auf Ägypten, sie bezieht die religiösen Hintergedanken mit ein. Das ist vom Sujet her sicher eine interessante und sinnvolle Veranstaltung. Wir werden sehen, inwieweit auch in dieser Ausstellung der Schritt hinein ins Event, in die Sensation, getan ist. Das bleibt abzuwarten, aber ich glaube, wir können diese beiden Ausstellungen nicht in einen Topf werfen. Wenn dann gar noch in der Mannheimer Ausstellung die Presse eingeladen wird, sie haben die Gelegenheit beim Auspacken und Aufbauen der Mumien dabei zu sein, dann ist eine weitere Grenzüberschreitung getan, die fast nur noch als Werbestrategie gesehen werden kann.
Wuttke: Vielen Dank für das Gespräch Herr Wildung.
Wildung: Ich bedanke mich.
Dietrich Wildung: Einen schönen guten Morgen.
Wuttke: Ihnen behagen beide Ausstellungen nicht. Warum haben auch Mumien für Sie ein Recht auf Totenruhe?
Wildung: Ich glaube, wir sollten gerade bei den ägyptischen Mumien berücksichtigen, wie dieses Phänomen der Mumifizierung von den Ägyptern selbst gesehen wurde. Es war in der Darstellung und in der schriftlichen Fixierung tabu, es wurde nicht abgebildet, es wird wenig darüber geschrieben, es ist eine kritische Zone des Übergangs von diesem Leben in ein ewiges Leben und diese kritische Zone ist dem öffentlichen Blick entzogen. Ich glaube, dass Tod und Sterben eine zutiefst private, eine zutiefst persönliche Angelegenheit sind, die nicht vor die Augen einer breiten Öffentlichkeit gezogen werden sollte. Ich möchte daher Tod und Sterben vergleichen mit Zeugung und Geburt, die auch sehr intime, sehr private, persönliche Erfahrungen sind und, vielleicht klingt es ein wenig gewagt, aber unser Umgang mit Zeugung, also letzten Endes mit Sexualität, der längst in die Öffentlichkeit gezerrt worden ist und den wir hier eigentlich als obszön bezeichnen müssten, gibt mir das gedankliche Modell, wie hier in der Ausstellung in Mannheim insbesondere mit dem menschlichen Körper dem toten Körper umgegangen wird, als obszön zu bezeichnen ist, es ist gewissermaßen Mumien-Pornographie.
Wuttke: Das ist ja nun nicht die erste Ausstellung von Mumien, die es gibt. Meinen Sie, dass wir in den letzten Jahrzehnten unser Verhältnis zu der Ausstellung von toten Körpern verändert haben oder ist das etwas, was Sie schon immer kritisch angemerkt haben?
Wildung: Die Tabuschwelle ist zweifellos sehr viel niedriger geworden und da sind natürlich die Medien in ihrem Umgang mit tabuisierten Themen kräftig mit daran Schuld. Wenn man sagt, "sex sells", dann kann man sagen "the mummie sells". Die Veröffentlichung dessen, was nicht veröffentlicht gehört hat einen gewissen prickelnden Reiz und deshalb ist natürlich eine Mumien-Ausstellung unter Marketinggesichtspunkten eine todsichere Angelegenheit, das läuft, da werden die Massen hinströmen, wie zu den Plastinaten von Herrn von Hagens, aber ich glaube, dass hier die Pietätschwelle überschritten ist und dass hier ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Menschen stattfindet, die auch noch bestehen, wenn dieser Mensch in manchen Fällen seit tausenden von Jahren tot ist.
Wuttke: Der Reiz wird ja aber für die Mumien oder wurde nicht geweckt durch die Medien, sondern wir können Mumien sehen, weil es mal etwas wie einen Ausgrabungstrend gegeben hat. Welche Gründe hatte der denn damals und wann genau hat man angefangen, Tote aus der Erde auszubuddeln und mitzunehmen in die Museen in Europa?
Wildung: Die Sitte, oder vielleicht sollte wir eher sagen die Unsitte, tote Menschen aus ihren Gräbern zu holen und in ferne Länder zu transportieren hat in der Renaissance begonnen mit dem Beginn des Interesses am Altertum. Sie hat im 19. Jahrhundert kräftig zugenommen. Deshalb waren Mumien-Exporte gegeben. Wir haben im Ägyptischen Museum in Berlin 90 Mumien liegen.
Wuttke: Das ist eine der größten Sammlungen in Europa dies Jahr.
Wildung: Es dürfte eine der ganz großen Mumien-Sammlungen in Europa sein. Sie ist wissenschaftlich längst aufgearbeitet und ich würde mir eigentlich wünschen, dass einer meiner Amtsnachfolger mit den ägyptischen Behörden ein Agreement findet, diese toten, alten Ägypter in ihre Heimat zurückzuführen und würdevoll zu bestatten.
Wuttke: Sie haben eben schon von Gunther von Hagens gesprochen, man kann diese plastizierten Leichen abstoßend finden, aber man kann doch trotzdem festhalten, dass es faszinierend sein kann, zu sehen, wie die Natur mit toten Körpern umgegangen ist, wie sie sie davor bewahrt hat, sich aufzulösen, wie Eis und Moor diese Hüllen konserviert haben und auch wie Menschen versucht haben, aus einem kulturellen Verständnis heraus, Leichen für ein Leben und ein anderes Leben für den Übergang vorzubereiten. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit zu sagen, man muss als Museumsmann froh sein, wenn man für seine Exponate, für das, was über Jahrzehnte, Jahrhunderte gesammelt wurde, Menschen interessieren kann. Kann man es anders, kann man es besser?
Wuttke: Ich glaube, es ist ganz wesentlich eine Frage des Mediums, in dem derartige Informationen vermittelt werden. Es gibt Sujets, die für das Medium der Massenausstellung nicht geeignet sind, die man im Medium eines Buches zum Beispiel, also in einem sehr individuellen Umgang mit dem Informationsmedium durchaus vermitteln kann, aber die Zurschaustellung gegenüber einer breiten, unkontrollierbaren Öffentlichkeit ist, sagen wir, entweder Populismus oder das ist Spekulieren auf eine gewisse Sensationslust. Wir haben als Museumsleute nicht nur unendlich viele Objekte zu betreuen, wir haben auch eine hohe Verantwortung, was wir zeigen und wie wir es zeigen, und ich bin recht glücklich, dass die großen ägyptischen Museen weltweit im Laufe der letzten zehn Jahre einen Mentalitätswandel erfahren haben und Mumien, die früher zum festen Bestand eines ägyptischen Museums gehörten, peu à peu aus ihren Ausstellungen genommen haben. Es ist in den deutschen ägyptischen Museen keine nackte Mumie, kein nackter Leichnam mehr zu sehen. Ich würde mir noch wünschen, dass Ägypten selbst damit vorsichtiger umgeht. Wenn vor wenigen Wochen die angebliche Mumie der ägyptischen Pharaonin Hatschepsut, einer großen Frau der Weltgeschichte, nackt und bloß vom ägyptischen Kulturminister als Foto der Weltpresse zur Verfügung gestellt wurde, dann ist eine Grenze überschritten, die eigentlich auch den Nationalstolz dieses Landes betrifft. Wie kann ich eine der großen Figuren meiner Geschichte, dazu noch eine Frau, nackt in die Weltpresse geben?
Wuttke: Hat das was auch mit den Titeln der beiden Ausstellungen jetzt in Mannheim und Stuttgart zu tun? Die eine wirbt mit der Unsterblichkeit im Titel, die andere mit dem Traum vom ewigen Leben. Werden da Dinge miteinander verquickt, die nichts miteinander zu tun haben und auf einer ganz irrealen Ebene das Interesse an Mumien offensichtlich, ja, weiter anfachen?
Wildung: Die beiden Ausstellungen haben sehr unterschiedliche Themenstellungen. In Mannheim, in den Reiss-Engelhorn-Museen ist ja eine fächerübergreifende Ausstellung, die Mumien aus allen Kontinenten, bis hin zu einem Mammut, zeigt. Die Stuttgarter Ausstellung ist sehr viel stärker historisch-kulturgeschichtlich. Sie konzentriert sich auf Ägypten, sie bezieht die religiösen Hintergedanken mit ein. Das ist vom Sujet her sicher eine interessante und sinnvolle Veranstaltung. Wir werden sehen, inwieweit auch in dieser Ausstellung der Schritt hinein ins Event, in die Sensation, getan ist. Das bleibt abzuwarten, aber ich glaube, wir können diese beiden Ausstellungen nicht in einen Topf werfen. Wenn dann gar noch in der Mannheimer Ausstellung die Presse eingeladen wird, sie haben die Gelegenheit beim Auspacken und Aufbauen der Mumien dabei zu sein, dann ist eine weitere Grenzüberschreitung getan, die fast nur noch als Werbestrategie gesehen werden kann.
Wuttke: Vielen Dank für das Gespräch Herr Wildung.
Wildung: Ich bedanke mich.