Mumienpulver als Nahrungsergänzungsmittel
Bis in die 1920er Jahre waren aus Mumien hergestellte Pülverchen beliebte Nahrungsergänzungsmittel. Die Konsumenten glaubten, dass die magischen Kräfte der einbalsamierten Leichen auf sie übergehen würden.
Wer kennt es nicht: das berühmte Lied der Comedian Harmonists über die Bar zum Krokodil? Da aß der Ramses "von einem Feigenblatt gehackte Mumie mit Spinat".
Wer bitte isst Mumien? Die Deutschen - bis vor etwa 80 Jahren, allerdings nicht in gehackter Form sondern als Pulver. Mumie, fachsprachlich "Mumia vera aegyptiaca" war nämlich bis 1924 eines der wichtigsten und teuersten Nahrungsergänzungsmittel. Die "echte Mumie" wurde beispielsweise von der Darmstädter Firma Merck zum Preis von zwölf Goldmark pro Kilo verkauft. Allerdings war damals der Stern des guten Pulvers bereits im Sinken begriffen. Aber vom 10. bis weit ins 19. Jahrhundert galt das Leichenpulver als hilfreich gegen Schwindel, Lähmungen und Epilepsie, aber auch bei Schwindsucht und Blähungen. Des Weiteren wurde das Pulver bei Husten, Kopfschmerzen, Herzleiden, Gichtbrüchigkeit und Nierensucht angewandt.
Typische Wunderpille. In unserer wissenschaftlich orientierten Zeit brauchen Medikamente ja glücklicherweise eine Arzneimittelprüfung. Medikamente schon. Aber das Produkt entspricht ja nicht einem Medikament, das hat spezifische Wirkungen, sondern einem Nahrungsergänzungsmittel. Und die kommen auch heute ohne Wirksamkeitsnachweis aus. Das Zeug hilft gegen die Ängste der Zeit. Die Indikationen bei der Mumie sind genauso beliebig, wie die Versprechen zu den Wunderwirkungen der Vitamine. Auch dafür gibt’s keinerlei Wirkungsbelege.
Wie hat man der Kundschaft denn die Wirkung erklärt? Genauso wie heute bei Vitaminpillen: mit angeblich erfolgreichen geheilten Patienten und theoretisch-philosophischen Überlegungen, warum der Stoff einfach wirken muss. Nach den Vorstellungen der alten Ägypter konnte nur ein unversehrter Körper ins Jenseits gelangen und sich dort mit seinem Geist und seiner Seele vereinen, um fortan ewig zu leben. Wer es sich im alten Ägypten leisten konnte, ließ sich zum Schutz vor dem Verfall einbalsamieren.
Und da kam man wohl auf den Trichter, dass man damit unsterblich würde? Richtig. Der gute Erhaltungszustand der einbalsamierten Körper wurde im siebten Jahrhundert n. Chr. von den arabischen Eroberern Ägyptens als Beleg für magische Kräfte angesehen. Um sich diese Kräfte nutzbar zu machen, zerkleinerte und pulverisierte man die Mumien und verarbeitete sie zu Salben und Tinkturen. Die heimkehrenden Kreuzfahrer schließlich machten das Wundermittel in Europa populär und sorgten dafür, dass sich klein gemahlene Mumien zum Exportschlager des Nahen Ostens entwickelten. Im 14. und 15. Jahrhundert war die Nachfrage so groß, dass findige Händler selbst Mumien herstellten (unter anderem aus den Leichen verstorbener oder ermordeter Sklaven) und diese verhökerten – wenn Sie so wollen, der Beginn des Generikawesens.
Kein vernünftiger Mensch würde freiwillig Mumien speisen – egal ob als Pulver oder mit Spinat Gleiches könnte man auch über einige moderne Nahrungsergänzungsmittel sagen. Aber sie haben stets einflussreiche Fürsprecher. Bei den Mumien war es Paracelsus (1493-1541). Er entwickelte das Konzept fachkundig weiter: Die echten ägyptischen Mumien stammten von Menschen, die an einer Krankheit oder an Altersschwäche gestorben waren. Eine viel bessere Wirkung sollte in jedem Fall von Mumien zu erwarten sein, die aus den Leichen gewaltsam ums Leben Gekommener hergestellt wurden, Menschen also, die bei ihrem Tod noch in Saft und Kraft standen – zum Beispiel Gehenkte. Der italienische Kulturanthropologen Piero Camporesi berichtet, dass in Italien "getrocknetes und abgelagertes Menschenfleisch von den Apothekern gewöhnlich im Kamin geräuchert" wurde.
Da sind mir Vitaminpillen aber lieber Aber nicht so wirksam. Denn die Mumien wurden mit Erdpech einbalsamiert. Und das ist ein altes Arzneimittel. Bis heute wird Steinkohlenteer zur Behandlung von Hauterkrankungen und Parasiten (Krätze, Räude) angewandt. Die einschlägigen medizinischen Fachbücher beschreiben die Wirkung von Teer mit Juckreiz stillend und Wund heilend. Fazit: Alles schon mal dagewesen.
Literatur:
Pollmer U, Warmuth S: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Eichborn, Frankfurt/M 2008
Anon.: Pülverchen aus Mumien und Moorleichen als offizielle Arznei in Europa. Ärzte-Zeitung 8.2.1989, S.20-21
Camporesi P: I balsami di venere. Garzanti Editore. Milano 1989
Lucas A, Harris JR: Ancient Egyptian Materials and Industries. Edward Arnold, London 1962
Wer bitte isst Mumien? Die Deutschen - bis vor etwa 80 Jahren, allerdings nicht in gehackter Form sondern als Pulver. Mumie, fachsprachlich "Mumia vera aegyptiaca" war nämlich bis 1924 eines der wichtigsten und teuersten Nahrungsergänzungsmittel. Die "echte Mumie" wurde beispielsweise von der Darmstädter Firma Merck zum Preis von zwölf Goldmark pro Kilo verkauft. Allerdings war damals der Stern des guten Pulvers bereits im Sinken begriffen. Aber vom 10. bis weit ins 19. Jahrhundert galt das Leichenpulver als hilfreich gegen Schwindel, Lähmungen und Epilepsie, aber auch bei Schwindsucht und Blähungen. Des Weiteren wurde das Pulver bei Husten, Kopfschmerzen, Herzleiden, Gichtbrüchigkeit und Nierensucht angewandt.
Typische Wunderpille. In unserer wissenschaftlich orientierten Zeit brauchen Medikamente ja glücklicherweise eine Arzneimittelprüfung. Medikamente schon. Aber das Produkt entspricht ja nicht einem Medikament, das hat spezifische Wirkungen, sondern einem Nahrungsergänzungsmittel. Und die kommen auch heute ohne Wirksamkeitsnachweis aus. Das Zeug hilft gegen die Ängste der Zeit. Die Indikationen bei der Mumie sind genauso beliebig, wie die Versprechen zu den Wunderwirkungen der Vitamine. Auch dafür gibt’s keinerlei Wirkungsbelege.
Wie hat man der Kundschaft denn die Wirkung erklärt? Genauso wie heute bei Vitaminpillen: mit angeblich erfolgreichen geheilten Patienten und theoretisch-philosophischen Überlegungen, warum der Stoff einfach wirken muss. Nach den Vorstellungen der alten Ägypter konnte nur ein unversehrter Körper ins Jenseits gelangen und sich dort mit seinem Geist und seiner Seele vereinen, um fortan ewig zu leben. Wer es sich im alten Ägypten leisten konnte, ließ sich zum Schutz vor dem Verfall einbalsamieren.
Und da kam man wohl auf den Trichter, dass man damit unsterblich würde? Richtig. Der gute Erhaltungszustand der einbalsamierten Körper wurde im siebten Jahrhundert n. Chr. von den arabischen Eroberern Ägyptens als Beleg für magische Kräfte angesehen. Um sich diese Kräfte nutzbar zu machen, zerkleinerte und pulverisierte man die Mumien und verarbeitete sie zu Salben und Tinkturen. Die heimkehrenden Kreuzfahrer schließlich machten das Wundermittel in Europa populär und sorgten dafür, dass sich klein gemahlene Mumien zum Exportschlager des Nahen Ostens entwickelten. Im 14. und 15. Jahrhundert war die Nachfrage so groß, dass findige Händler selbst Mumien herstellten (unter anderem aus den Leichen verstorbener oder ermordeter Sklaven) und diese verhökerten – wenn Sie so wollen, der Beginn des Generikawesens.
Kein vernünftiger Mensch würde freiwillig Mumien speisen – egal ob als Pulver oder mit Spinat Gleiches könnte man auch über einige moderne Nahrungsergänzungsmittel sagen. Aber sie haben stets einflussreiche Fürsprecher. Bei den Mumien war es Paracelsus (1493-1541). Er entwickelte das Konzept fachkundig weiter: Die echten ägyptischen Mumien stammten von Menschen, die an einer Krankheit oder an Altersschwäche gestorben waren. Eine viel bessere Wirkung sollte in jedem Fall von Mumien zu erwarten sein, die aus den Leichen gewaltsam ums Leben Gekommener hergestellt wurden, Menschen also, die bei ihrem Tod noch in Saft und Kraft standen – zum Beispiel Gehenkte. Der italienische Kulturanthropologen Piero Camporesi berichtet, dass in Italien "getrocknetes und abgelagertes Menschenfleisch von den Apothekern gewöhnlich im Kamin geräuchert" wurde.
Da sind mir Vitaminpillen aber lieber Aber nicht so wirksam. Denn die Mumien wurden mit Erdpech einbalsamiert. Und das ist ein altes Arzneimittel. Bis heute wird Steinkohlenteer zur Behandlung von Hauterkrankungen und Parasiten (Krätze, Räude) angewandt. Die einschlägigen medizinischen Fachbücher beschreiben die Wirkung von Teer mit Juckreiz stillend und Wund heilend. Fazit: Alles schon mal dagewesen.
Literatur:
Pollmer U, Warmuth S: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Eichborn, Frankfurt/M 2008
Anon.: Pülverchen aus Mumien und Moorleichen als offizielle Arznei in Europa. Ärzte-Zeitung 8.2.1989, S.20-21
Camporesi P: I balsami di venere. Garzanti Editore. Milano 1989
Lucas A, Harris JR: Ancient Egyptian Materials and Industries. Edward Arnold, London 1962