Die Berliner Schnauze ist auf dem Rückzug
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"Du kleene Dilljurke" - wer sich von diesem Kompliment geschmeichelt fühlt, ist vermutlich echter Berliner. Dabei hadern die Hauptstädter auch mit ihrem Dialekt. Vor allem im Westen galt es lange Zeit als unfein, frei nach Schnauze zu berlinern.
"Und denn saß ick mit de' Emma uff de Banke,
Über uns da sang so schmelzend een Pirol,
Unter uns da floss so still die Krumme Lanke,
Nebenan aß eener Woosch mit Sauerkohl."
Über uns da sang so schmelzend een Pirol,
Unter uns da floss so still die Krumme Lanke,
Nebenan aß eener Woosch mit Sauerkohl."
An solche Berliner Melodien, hier gesungen vom Volksschauspieler Bruno Fritz, erinnern sich heute allenfalls noch Senioren. Auch Ausdrücke aus dem Jiddischen wie meschugge, schnorren, Ramsch oder Mischpoke kennen vor allem Ältere. Aus der napoleonischen Besatzungszeit stammen französische Begriffe wie Kommode, Toilette, Kostüm.
Zur Geschichte des Sprachraums Berlin-Brandenburg gehört auch, dass in den Westberliner Bezirken Wedding und Kreuzberg schon immer mehr berlinert wurde als im vermeintlich feinen Zehlendorf oder Westend. In der DDR hat sich das Berlinern nach 1945 in allen Schichten durchgesetzt.
Der Linguist Peter Rosenberg, selbst bekennender Westberliner, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem stetigen Wandel des Berliner Dialekts:
"Wir sprechen als Linguisten von dem berlin-brandenburgischen Regiolekt, soll heißen von einer Sprachform, die etwas weiträumiger ist und die auch nicht mehr so weit vom Hochdeutschen entfernte Merkmale hat, sondern im Grunde genommen auf halbem Wege zum Hochdeutschen ist."
Ruf des Proletenhaften
Seit der Wende ist die Berliner Schnauze auf dem Rückzug. Der Gebrauch des Berlinischen war zu Mauerzeiten in Ost und West unterschiedlich:
"In Westberlin hat das Berlinische sehr schnell den Stempel bekommen, dass das irgendwie proletenhaft wäre, jedenfalls wenn man es zur Unzeit verwendet hat, in Situationen, in denen man eigentlich nicht berlinert. Zum Beispiel in Institutionen wie etwa in der Schule."
Zwar war es auch in der DDR nicht üblich, in der Schule zu berlinern. Doch ansonsten war es im Arbeiter- und Bauernstaat durchaus salonfähig, frei nach Schnauze zu reden, ganz nach dem Motto, wir schauen dem Volk auf's Maul.
"Wenn die Losung ist, wir sind ein Arbeiter- und Bauernstaat, dann kann man eigentlich die Arbeiter- und Bauernsprache, soll heißen, die am stärksten vom hochdeutschen Standard abweichende Sprache nicht völlig verteufeln. Wir haben das ja erlebt in der Vergangenheit, dass man Journalisten berlinern hörte, Sportler, Politiker, Schabowski, dem hat man es auch immer noch angehört. Das heißt, es ist im Grunde genommen stärker toleriert worden."
Wurde im ehemaligen Ostberlin hemmungslos berlinert, galt die derbe Umgangssprache bei Westberlinern eher als Proletendeutsch. Eine zufällige Straßenumfrage in Ostberlin aus dem Archiv des Deutschlandradio, aufgezeichnet, zwei Jahre nach der Wende:
"In Bayern wird bayerisch gesprochen, in Sachsen sächsisch, warum soll nich' in Berlin ab und zu berlinert wern. Brauch man sich nich schämen für, oder?"
"Wir sprechen ja im Grunde auch ein Hochdeutsch, wahrscheinlich besser als andere, aber den Berliner Dialekt lassen wir uns halt nich' neh'm."
"Kommt druff an mit welchen Leuten ick mer unterhalte, quer Beet, det rutscht mer so über de Zunge."
"Wir sprechen ja im Grunde auch ein Hochdeutsch, wahrscheinlich besser als andere, aber den Berliner Dialekt lassen wir uns halt nich' neh'm."
"Kommt druff an mit welchen Leuten ick mer unterhalte, quer Beet, det rutscht mer so über de Zunge."
Fließende Sprachgrenzen
Wo der Ostberliner stolz war auf seinen Dialekt, parlierte der Westberliner Hochdeutsch und wurde damit schnell als überheblich abgetan. Heute sind die Grenzen fließend. Dieser gebürtige Kreuzberger steht vor seinem Holzkohlengrill auf dem Wochenmarkt am Kurfürstendamm. Prüfend dreht er die Bratwürste:
"Aufjewachsen bin ik in Kreuzberg, also in Westberlin. Meine Oma, die hat noch richtisch berlinert, aber ich glaube, dit wird immer mehr so ins Hochdeutsche übertragen, denk ick zumindest. Ick berlinere, vielleicht icke oder so wat, aber großartig berlinern tu ich nich."
Der 50-Jährige hat den Fall der Mauer als Erwachsener erlebt. Von seinem Grill aus blickt er direkt auf das KaDeWe, das Kaufhaus des Westens:
"An Plastik oder Plaste, Dreiraumwohnung, Dreizimmerwohnung, Fahrerlaubnis, Führerschein, da haste sofort erkannt, wo die herkommen. Und die Ossis haben mehr berlinert. Machen se aber immer noch, so Hellersdorf, Marzahn, da sind so richtige Berliner. Na, da komm ich nich so hin."
Ein älterer Herr aus dem Westberliner Bezirk Reinickendorf mischt sich ein:
"Det man eben nich' nein sacht sondern nee."
"Det is doch normal oder?"
"Eigentlich schon. Ick sage, wenn jetzt welche sind, die nich' von Berlin sind, Ausländer, die sollten natürlich nich' berlinern."
"Det is doch normal oder?"
"Eigentlich schon. Ick sage, wenn jetzt welche sind, die nich' von Berlin sind, Ausländer, die sollten natürlich nich' berlinern."
Mundart bedeutet Heimat und Familie
Fazit: In den ersten Jahren nach der Wende gab es noch klare Unterschiede zwischen Ost- und West. Aber schon damals zeichnete sich ab, dass sich die Hochsprache immer mehr durchsetzen würde. Der Zuzug von Tausenden Neuberlinern, die soziale Durchmischung von Ost- und West, Berlin als Touristenmetropole, all das befördert den ständigen Wandel der Sprache. Doch aussterben wird die Berliner Mundart nicht, davon ist der Linguist Peter Rosenberg überzeugt:
"Zu unserem sprachlichen Verhalten heute gehört sicherlich eine gewisse Variationsfähigkeit, man muss mehreres drauf haben. Und wenn man von jemandem den Eindruck hat, er sei nicht in der Lage zu variieren, das ist vielleicht heute ein Zeichen für eine bestimmte soziale Zugehörigkeit. Aber nicht, dass ich überhaupt solche sprachlichen Formen benutze."
Es geht also darum, dass jemand entscheiden kann, ob und wann er berlinert, oder eben nicht. Diese beiden bekennenden Ostberliner wissen genau, was ihnen ihre Mundart bedeutet, nämlich Heimat und Familie:
"Ja klar, mein Sohn berlinert, ick berliner, meine Frau berlinert, wir berlinern alle, weil wir können ja auch 'n bisschen stolz sein uff Berlin, uff uns so und deswegen macht man det ooch so, wa. Manchmal sage ich dann ooch zu meiner Frau, du kleene Dilljurke, nur so, aus Quatsch. Dann wees se och wieder, ach, berlinerst du schon wieder. Na, ab und zu is einem so danach."
Berlinern ja, aber nur noch in den eigenen vier Wänden? Diese 60-Jährige aus dem Westberliner Bezirk Reinickendorf fürchtet gar um die Zukunft der Berliner Mundart:
"Woanders wird se gepflegt, dat man extra Mundart beibehält und hier bei uns wird man schief angeguckt wenn man berlinert, können se deutsch reden und det finde ich halt schade. Wenn ich mit jemandem rede, versuche ich deutsch zu sprechen. Gelingt nicht immer."