Sterben unsere Dialekte aus?
Berliner, die nicht berlinern oder Münchner, die nicht Bayerisch sprechen: Wird es irgendwann keine Dialekte mehr in Deutschland geben? Der Sprachwissenschaftler Sebastian Kürschner kann beruhigen: Ganz so schlimm wird es nicht kommen.
Vor allem im süddeutschen Bereich zeige sich eine klare Entwicklung, sagt Kürschner. Lokale Ortsdialekte würden sich einander immer mehr annähern. Dabei komme allerdings keine einheitliche deutsche Standardsprache heraus: "Regional wird sich das Deutsche weiterhin stark unterscheiden."
Eine Erklärung hat Kürschner, der an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt, auch für das unterschiedliche Image von Dialekten. Mit ihnen werde immer auch Soziales verbunden: "Da wird eine gesamte Region wird bewertet, da wird die Geschichte dieser Region bewertet und es geht nicht wirklich nur um die Schönheit der Sprache." So polarisiere Bayerisch, weil Bayern ein Bundesland "mit vielen Eigenheiten" sei. Manche Leute fragten sich: "Warum müssen die sich so als anders inszenieren?"
Freuen wird die Bayern, dass Sprachwissenschaftler das Verbreitungsgebiet ihres Dialekts weit fassen: Kürschner zufolge erstreckt es sich bis Österreich. Deshalb gibt es derzeit auch die 13. bayerisch-österreichische Dialektologentagung in Erlangen.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Dass der Berliner Probleme hat mit der Unterscheidung von Akkusativ und Dativ, liebe Landsleute, mit Verlaub, das ist kein Geheimnis. In Berlin hat man daraus einfach mal den Akkudativ gemacht – dem und den auseinanderzuhalten ist für hiesige Verhältnisse einfach ein zu schmaler Grat! Aber es wird wohl bald so weit sein, dass wir derlei Feinheiten vermissen werden. Denn die Dialekte verschwinden, heißt es. Wer, bitte schön, kann denn noch richtig berlinern? – Von mir mal abgesehen!
Also, wenn Sie wüssten, wie ich rede, wenn das Mikro zu ist! Aber das Ende der Dialekte, das betrifft nicht nur das Berlinische, auch mit anderen Dialekten sieht es nicht gut aus. Da haben wir die heute beginnende 13. Bayerisch-Österreichische Dialektologentagung in Erlangen zum Anlass genommen, um über Dialekte zu reden, und zwar mit Sebastian Kürschner. Er ist Professor für Variationslinguistik und Sprachkontaktforscher, eben dort an der Uni Erlangen-Nürnberg, Mitglied im Vorstand des Interdisziplinären Zentrums für Dialekte und Sprachvariation. Schönen guten Morgen!
Sebastian Kürschner: Guten Morgen!
von Billerbeck: Ich gebe zu, Sie sind heute mein Lieblingsgesprächspartner und mein Lieblingsthema! Erklären Sie mir bitte, was muss eine Sprachvariation haben, um wirklich Dialekt zu sein, was unterscheidet denn Dialekt von schlechtem Deutsch?
Kürschner: Ja, die Definition von Dialekt ist gar nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt, und da tut sich auch die Sprachwissenschaft gar nicht so leicht damit. Es gibt natürlich Dialekte, die sich sehr stark von der Standardsprache unterscheiden, die ein ganz eigenes Sprachsystem ausbilden, die dennoch Teil des Deutschen sind, aber die man eigentlich auch als eine eigene Sprache sozusagen betrachten könnte.
Ein Dialekt kann eine andere Sprache sein
von Billerbeck: Welche sind das?
Kürschner: Na ja, das kann jeder Dialekt eigentlich sein des Deutschen. Aber es gibt inzwischen eine große Variation an Sprachlagen sozusagen, in denen man die Dialekte sprechen kann. Das kann auch eine sehr standardnahe Lage sein, bei der man also über eine überregionale spricht mit ein paar dialektalen Merkmalen, und es gibt aber eben auch die ganz klassischen Ortsdialekte, die dann ganz, ja, eine ganz starke Trennung zur Standardsprache sozusagen aufweisen, wo man richtig in eine andere Sprache umschaltet, wenn man diese Dialekte spricht. Und es ist nicht ganz klar, wo man die Grenze ziehen soll, ab wann sozusagen eine Sprache als dialektal zu werten ist.
von Billerbeck: Wenn ich berlinere, spreche ich dann Dialekt? Oder bin ich bloß nicht des Hochdeutschen mächtig?
Kürschner: Ich kann natürlich jetzt Ihr Berlinisch nicht …
von Billerbeck: Pieken Sie das nicht an, das wird ganz fürchterlich!
Kürschner: Da Sie hochstandardsprachlich sprechen … Aber in Berlin ist es häufig so, dass man eine recht standardnahe Sprache mit erkennbaren berlinischen Elementen hört.
von Billerbeck: Ach, das sind bestimmt nur die Zugereisten.
Kürschner: Ja, die auch!
Bayerisches Dialektgebiet bis nach Öterreich
von Billerbeck: Nun treffen sich in Erlangen ja Forscher, die sich mit bayrischen und österreichischen Dialekten beschäftigen. Geht es da mehr um Gemeinsamkeiten oder um die Unterschiede?
Kürschner: Wir legen da keinen Wert darauf, die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede sehr stark in den Mittelpunkt zu stellen. Die meisten beschäftigen sich mit spezifischen Dialekten, die in Österreich oder in Bayern gesprochen werden. In Bayern wird ja auch nicht nur Bayerisch gesprochen, sondern auch das Ostfränkische, hier in Erlangen zum Beispiel, und es gibt schwäbische Dialekte und es gibt auch noch weitere Dialekte in Bayern. Und in Österreich haben wir eben vor allen Dingen auch bayerische Dialekte, auch alemannische Dialekte. Und das große bayerische Dialektgebiet zieht sich über ein sehr breites geografisches Gebiet, das sowohl Bayern als auch Österreich betrifft, sodass wir uns letztlich mit dem gleichen Gegenstand beschäftigen, wenn es zum Beispiel ums Bayerische geht.
von Billerbeck: Also genug Raum für eine ganze Tagung. Wir fragen uns ja, als wir uns hier vorbereitet haben auf das Gespräch: Welchen Stellenwert hatten und haben denn Dialekte? Also, was sagt das aus, wenn jemand Dialekt spricht? Ich will da noch etwas dazusagen: Die wunderbare Agathe Lasch, die Sie bestimmt auch kennen, die meinen Dialekt unter anderem, das Berlinische, erforscht hat, die hat schon in den 20er-Jahren auch davon geschrieben, dass mancher Dialekt auch ein Soziolekt sei, also etwas, das schichtspezifisch ist. Und ich habe gelernt, dass das Berlinische dazugehört, dass aber andere Dialekte wie das Bremische oder das Hanseatische schichtübergreifend gesprochen wurden oder werden. Woran bitte liegt das?
Kürschner: Ja, da gibt es ganz, ganz unterschiedliche Konstellationen. Grundsätzlich kann man sich es vielleicht so vorstellen, dass wir mit Sprache, wenn wir unsere Sprache nutzen und wir haben viel Variation in der Sprache zur Verfügung, dass wir ständig auch sozial handeln. Das heißt, wir nutzen unsere Sprache in verschiedenen Kontexten des Lebens. Und wenn man zwischen einer Standardsprache und einer dialektnäheren Sprache umschalten kann und das dann vielleicht auch noch auf verschiedenen Niveaus, dann passen wir uns sprachlich jeweils den Situationen an.
Und das heißt, wenn man zum Beispiel einen wissenschaftlichen Vortrag hält, dann erwartet man normalerweise eine sehr standardnahe Sprache. Und wenn man sich vorstellt, man würde aber jetzt mit einer sehr formellen und … ja, also, einer sehr formellen Form des Standarddeutschen abends in die Kneipe gehen und dort sprechen, dann ist das vielleicht auch nicht so situationsadäquat, da erwartet man eine umgangssprachlichere Form des Sprechens oder vielleicht auch eine dialektale Form.
von Billerbeck: Da würde man in Berlin sagen: Jeht's nich 'ne Numma kleener?
Kürschner: Ja, genau! Und so passen wir uns also situationsbedingt an. Und welche Rolle da die Dialekte in bestimmten Regionen spielen, das kann durchaus unterschiedlich sein. Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass Dialekte normalerweise eher als eine Nähe-Sprache aufgefasst werden, dass sie eher für den Freundeskreis, für die Familie geeignet sind, in Deutschland zumindest, und für offizielle Situationen, dass man eher auf eine standardnähere Sprache umschaltet.
Es geht nicht um die Schönheit der Sprache
von Billerbeck: Nun gibt es ja Dialekte, das ist ja bekannt, die gelten als okay, fein, die haben also einen guten Ruf, sage ich mal, wenn wir ans Norddeutsche denken, also sehr unterschiedliche Ausprägungen, während andersherum das Süddeutsche oder Südostdeutsche – Sächsisch, Thüringisch et cetera – eher als nicht so toll empfunden wird von vielen Leuten. Manche zählen auch das Schwäbische oder das Hessische dazu. Woher, bitte schön, kommen diese Unterschiede im Image von Dialekten?
Kürschner: Ja, das stellt sich tatsächlich in Befragungen, wie schön Dialekte empfunden werden, immer wieder heraus, dass zum Beispiel das Sächsische leider immer sehr negativ bewertet wird. Das Bayerische zum Beispiel wird häufig sehr, sehr positiv bewertet, aber gleichzeitig auch von vielen Menschen sehr, sehr negativ. Also, das Bayerische polarisiert zum Beispiel sehr stark.
Man wird das nicht immer nur auf die Sprachen zurückführen können, die da bewertet werden, sondern da wird sehr viel Soziales, Weiteres mitbewertet, was man mit diesen Dialekten verbindet. Da wird also eine gesamte Region bewertet, da wird die Geschichte dieser Region bewertet und es geht nicht wirklich nur um die Schönheit der Sprache. Also, da macht man sich es oft ein bisschen zu einfach. Dass Bayern zum Beispiel polarisiert, wird sicherlich auch daran liegen, dass Bayern ein Bundesland ist, das sich durch viele Eigenheiten auszeichnet und …
von Billerbeck: Und das uns alle anderen nicht braucht.
Kürschner: … viele Menschen finden das ganz, ganz toll und andere Leute finden, warum müssen die sich so als anders inszenieren, und finden dann auch das Bayrische wieder nicht toll. Also, das wirkt sich sozusagen auf die Sprachbewertung aus, wie man zu einem viel breiteren Kontext steht.
von Billerbeck: Tja, es gibt Seehofer und Karl Valentin, …
Kürschner: Ja.
von Billerbeck: … da liegen ja Welten dazwischen. Fürchten Sie denn nun, dass es irgendwann keine Dialekte mehr gibt? Was machen Sie dann bitte schön?
Kürschner: Ich kann da natürlich auch nur spekulieren, würde aber denken, dass wir auf jeden Fall eine Form der geografisch basierten Variation, also eine regionale Variation im Deutschen erhalten werden. Aber ich kann auch nur spekulieren. Das, was man in den letzten Jahrzehnten so festgestellt hat in den wichtigen Studien, die den aktuellen Dialektwandel betreffen, ist, dass wir ganz große Unterschiede im deutschsprachigen Gebiet haben. In der Schweiz werden Dialekte deutlich besser erhalten als zum Beispiel in Deutschland und in Süddeutschland wiederum besser als in Norddeutschland.
Die Entwicklungen, die man feststellen konnte gerade im süddeutschen Bereich, gehen dahin, dass man sieht, dass die lokalen Ortsdialekte sich immer mehr einander annähern und das auf einer regionalen Ebene ausgeglichen wird. Also, die Merkmale der Dialekte, die sprachlichen Merkmale, die werden nicht einfach nur ständig durch Standardmerkmale ersetzt, sodass wir am Ende eine total homogene deutsche Sprache haben, sondern es werden regionale Merkmale herausgebildet, sodass sich die Dialekte auf der Ebene der Einzelorte immer ein bisschen ähnlicher werden, aber es kommt dabei dann nicht eine ganz einheitliche deutsche Sprache heraus, sondern regional wird sich das Deutsche weiterhin stark unterscheiden.
von Billerbeck: Sebastian Kürschner war das, jetzt kam er doch sehr ins Detail. Professor für Variationslinguistik und Sprachkontaktforscher von der Uni Erlangen-Nürnberg. Dann sage ich im schönsten Berlinisch mal: Ick danke Sie!
Kürschner: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.