"Alle murmeln, die ganze Welt murmelt immer noch"
- "Natürlich habe ich noch mit Murmeln gespielt!"
- "Ich erinnere mich, dass wir verschiedenen Arten hatten, als Kinder mit Murmeln zu spielen."
- "In den Sechzigern, als ich das gespielt habe, hatte man überwiegend diese ganz billigen Tonmurmeln und wenn man eine Glaskugel dazwischen hatte, war das ein Schatz."
- "Je nachdem, wie viele wir waren oder wie viele Murmeln wir hatten, haben wir auch ständig neue Regeln gemacht."
- "Wir haben ein Loch auf dem Schulhof gehabt und der, der als Erster seine Murmeln alle im Loch hatte, der durfte die dann natürlich behalten."
- "Ich weiß, dass wir einen Berg aus Sand gebaut haben und dann versucht haben, unsere Murmeln möglichst auf die Spitze des Berges zu schnippen und die, die dann am nächsten dran waren, hatten dann gewonnen gehabt."
-"Man hat überhaupt keine Regeln gehabt, man hat die Regeln ad hoc gemacht als Kind und man hat sie, glaube ich, jedes Mal von Neuem gemacht. Und wenn noch einer dazu kam, wurden sie geändert. Wie das so ist bei Kinderspielen."
Mehr als ein Kinderspiel
Murmeln - das ist nicht nur ein beliebtes Kinderspiel, sondern ein richtiger Sport: mit Mannschaften, Vereinen und Turnieren. Sogar eine Weltmeisterschaft im Murmeln gibt es. Sie findet jedes Jahr in England statt.
Mit hartem Training bereiten sich die Sportler des 1. MC Erzgebirge auf die nächste Weltmeisterschaft im Murmeln vor. Die WM findet immer zu Ostern im englischen Flecken Tinsley Green statt. Gespielt wird nach den Regeln des englischen Ringspiels, bei dem die Murmeln mit dem Finger aus dem Spielfeld gekickt werden müssen.
Bei Deutschen Meisterschaften hingegen wird unter strenger Aufsicht des Deutschen Murmelrates nach den Bestimmungen des Lochklickerns gebuckert. Ob Duxer, Glaser, Klicker oder Wetzel, so verschieden ihre Namen, so zahlreich sind die Möglichkeiten, mit ihnen um die Wette zu dotzen, tuppen oder schnippen.
Murmelspiele 1: "Werfen und schnippen"
Der Werfer erhält den Einsatz von allen und wirft die Murmeln in die Luft, so dass sie wahllos auf dem Boden verstreut liegen. Er darf sich nun eine Murmel aussuchen, mit der er nach einer anderen schnipst, um diese zu treffen. Trifft er, behält er die erste Murmel und darf mit der Angestoßenen so lange weiterspielen bis ein Schuss daneben geht. Dann ist der nächste Spieler dran.
Chris: "Wir sind hier beim 1. Murmelclub Erzgebirge, Neukirchen. Wir sind ein Murmelverein. Wir trainieren heute, haben sonntags immer Training. Wir bereiten uns heute unter anderem vor auf die Weltmeisterschaft."
Trümper: "Die Weltmeisterschaften sind in England, da kommen sie aus aller Herren Ländern, aus Amerika, aus Polen, die Tschechen spielen, alle murmeln!"
Eine Weltmeisterschaft nach den Regeln eines Kinderspiels?
Murmeln werden auch heute in kaum einem Kinderzimmer fehlen. Doch wird mit ihnen weniger um die Wette gespielt, sondern auf Kugelbahnen. Dort rollen sie über Stufen mit Glöckchen und Melodiebausteinen, durch Klangrohre oder Spiralen, sie springen über Schanzen und machen Loopings. Für müde Finger gibt es sogar Aufzüge, welche die Murmeln automatisch wieder an den Start befördern. Doch zurück zur klassischen Art des Murmeln. Wie kann aus einem Kinderspiel eine Sportart werden, in der sogar um den Weltmeistertitel gekämpft wird?
"Wenn ich es auf eine Formel bringen sollte, dann würde ich sagen, dass jeder Sport ein Spiel ist - aber nicht jedes Spiel, ist ein Sport", sagt die Historikerin Christiane Eisenberg.
Eines ihre Fachgebiete ist Sportgeschichte: "Zu den gemeinsamen Merkmalen gehört zum Beispiel die Begrenztheit des Ereignisses, räumlich und zeitlich. Es hat Ereignischarakter, das Spiel wie der Sport. Der Ablauf ist durch Regeln festgelegt. Ganz wichtig ist das Kriterium der Ergebnisoffenheit, sonst haben sie keine Spannung, sonst wollen sie sich das gar nicht angucken."
Murmelspiele 2: "Gegen die Wand"
Vor einer Wand wird im Abstand einer Schuhlänge eine parallele Linie gezogen. Aus drei Meter Abstand werfen alle ihre Murmel gegen die Wand, sodass sie abprallen und zur Linie rollen. Wessen Murmel am nächsten an der Linie liegt, gewinnt alle anderen.
"In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da war in der Tat Körperkraft und Körperlichkeit ein zentrales Kriterium des modernen Sports. Aber diese Möglichkeit, Sportarten zu erfinden und sie neu zu erfinden, die führt dazu, dass diese bunte Sportwelt entsteht, wie wir sie heute haben", sagt Christiane Eisenberg. "Also, es ist etwas kühn, an die Murmelei den Sportbegriff des 21. Jahrhunderts anzulegen, aber im Prinzip kann man aus allem einen Sport machen, auch aus der Murmelei. Dass es da Organisationen gibt [den Deutschen Murmelrat] - und dass es schriftliche Regeln gibt".
Wie die vom Deutschen Lochklickern oder Kuhlemurmeln, dem Englischen Ringspiel und dem Deutschen Tischmurmeln: "Das würde man als einen ganz wichtigen Aspekt der Versportlichung des Murmelspiels betrachten. Man müsste auch dafür sorgen, dass ein unabhängiges Kampfgericht existiert, dass die Ergebnisse des Wettkampfes veröffentlicht werden."
Weltmeister:
2010 1. MC Erzgebirge
2011 Yorkshire Meds
2012 1. MC Erzgebirge
2013 Black Dogs
"Und dass bei sportlichen Spielen ein Element der Konkurrenz oder des Kampfes dazu kommen muss, um das unschuldige Kinderspiel von einem ordnungsgemäßen Murmelwettkampf zu unterscheiden", sagt Christiane Eisenberg.
Wie bereitet man sich auf solch einen Wettkampf vor?
Seppo, Jens, Stefanie und Chris - vier von 16 Mitgliedern des 1. Murmelclubs Erzgebirge, dem mehrmaligen Weltmeister vergangener Jahre. Alle sind um die 30 Jahre alt.
"Den Verein haben wir ja schon zu Schulzeiten gegründet, so in Klasse 11, Klasse 12", sagt Jens. "Die haben uns natürlich alle ausgelacht. Wir machen einen Murmelverein, das ist ein Kinderspiel, das kann man doch nicht ernst nehmen! Aber irgendwann, wenn man sich Weltmeister nennen kann, guckt natürlich jeder schon ganz anders und mittlerweile waren wir ja auch schon zwei, drei Mal im Fernsehen. Wenn man das erzählt, dann vergeht das Lachen ganz schnell wieder."
"Den Verein haben wir ja schon zu Schulzeiten gegründet, so in Klasse 11, Klasse 12", sagt Jens. "Die haben uns natürlich alle ausgelacht. Wir machen einen Murmelverein, das ist ein Kinderspiel, das kann man doch nicht ernst nehmen! Aber irgendwann, wenn man sich Weltmeister nennen kann, guckt natürlich jeder schon ganz anders und mittlerweile waren wir ja auch schon zwei, drei Mal im Fernsehen. Wenn man das erzählt, dann vergeht das Lachen ganz schnell wieder."
Auf das "Englische Ringspiel" spezialisiert
Für ihr wöchentliches Training hat die Murmeltruppe aus Neukirchen das Pförtnerhäuschen einer stillgelegten Eierfabrik angemietet. Der 1. MC Erzgebirge hat sich auf das Englische Ringspiel spezialisiert.
Seppo: "Das ist eine Murmelplatte, eine Holzplatte 1,83 Meter im Durchmesser, kreisrund, und es befindet sich ganz feiner Quarzsand darauf, damit die Murmeln ein wenig gebremst werden, sonst würden sie ganz leicht da runter rollen. Wir sehen, hier in der Mitte sind 49 kleine Murmeln zu einem Pulk zusammen gelegt, und das Ziel ist es, mit seiner Spielmurmel, die sich Tolley nennt, so viele Murmeln wie möglich von der Platte herunterzuschnipsen.
Es erinnert entfernt an Poolbillard. Dabei sind die Kugeln zwar größer, werden mit einem Queue angestoßen und müssen nicht vom Tisch rollen, sondern in Löcher. Aber im Prinzip muss bei beiden Spielen eine Stoßkugel auf einen Haufen anderer so geschossen werden, dass diese in bestimmte Richtungen laufen. Niemand käme wohl auf den Gedanken, Billard als lächerliche Ableitung eines Kinderspiels zu klassifizieren, obwohl es sich ursprünglich ganz sicher daraus herleitet.
"Das Grundprinzip heißt nuggling down", ergänzt Chris. "Bedeutet, ich muss einen Knöchel meiner Hand auf der Murmelplatte absetzen, und ich darf dann nicht mehr eine Bewegung mit der Hand vornehmen, die der Murmel einen Drall durch die Hand gibt, sondern, ich muss die Murmel bewegen durch einen Drall, der ausgelöst wird durch die Schnippsbewegung meiner Finger."
Chris legt seine Spielmurmel in die Beuge des rechten Zeigefingers. Er geht in die Hocke und stützt seine Hand mit dem Knöchel des Mittelfingers auf der Platte ab:
"Ich setze jetzt hier mit dem Knöchel an, Zeigefinger und Daumen machen jetzt die Schnippsbewegung, und ich ziele, und ich habe leider nicht getroffen. Ich probier's noch mal. Jetzt habe ich getroffen, trotz alledem habe ich nichts bewegt."
Nicht sein Tag, obwohl Chris mehrmaliger Deutscher Meister in dieser Disziplin war. "Ich schlage vor, dass es einfach mal der Seppo versucht, der hat das vorhin schon hinbekommen. Das Ziel muss es sein jetzt, mit der Murmel den Pulk mit den 49 Murmeln zu treffen und eine von den roten Murmeln von der Platte herunter zu schnipsen.
Im Idealfall bleibe ich dann mit der Spielmurmel auf der Platte irgendwo liegen, und ich kann dann ähnlich wie beim Billard von dieser Stelle, wo sie liegen geblieben ist, auf die nächste rote Murmel spielen. Und wer von 49 als erstes 25, sprich mehr als die Hälfte herunter geschnippst hat, hat gewonnen. Wenn es schnell geht, kann das durchaus in fünf Minuten beendet sein, es gibt aber sicherlich auch Spiele bei Weltmeisterschaften, wo die Qualität der Spieler es nicht zulässt, in fünf Minuten das abzuschließen, dann kann es schon mal bis zu fünfundzwanzig Minuten dauern."
In Deutschland besonders verbreitet: Kuhlemurmeln
Liegt vielleicht daran, dass es für die Teilnahme an der englischen Weltmeisterschaft nicht notwendig ist, sich wie bei anderen Sportarten über nationale Wettkämpfe zu qualifizieren. Die gibt es natürlich auch, zum Beispiel in Tschechien, den USA, Frankreich, den Niederlanden und natürlich in Deutschland, unter dem Dach des Deutschen Murmelrats.
"Also, es gibt auch andere Murmelvereine in Deutschland", sagt Stefanie. "Man trifft sich ja dann zur Deutschen Murmelmeisterschaft. Die findet jedes Jahr in einem anderen Bundesland statt."
Ausgetragen werden sie vom örtlichen Murmelverein. Chris: "In Sachsen gibt es zwei Vereine, in Thüringen kennen wir zwei Vereine, die Köstritzer Schwarzmurmler und Sachsenbrunner Murmler und dann gibt es in Hessen, rund um Frankfurt, Ludwigsburg und auch im Norden Deutschlands gibt es Vereine."
Mehr als 15 Klickervereine sind über ganz Deutschland verstreut. Von Oldenburg bis Krummhörn-Pewsum über Wölfersheim bis nach Waldsolms/Brandoberndorf.
"Es gibt zwei Formen in Deutschland, was gespielt wird", erklärt Chris. "Das ist einmal das Deutsche Tischmurmeln, das wird halt nicht auf einer Platte gespielt, sondern auf einem Tisch, kreisrunder Tisch und da sind Murmeln drauf, und die gilt es auch herunterzuschnipsen nach eine ähnlichen Prinzip. Das, was in Deutschland am verbreitetsten ist und auch die größte Akzeptanz hat mit den meisten Vereinen, die das regelmäßig spielen, wo auch die Deutsche Meisterschaft den Fokus drauf hat, ist das Deutsche Kuhlemurmeln. Und das wird gespielt auf einer Murmelbahn 6 Meter mal 2 Meter, 3 Meter. Auf jeden Fall geht es darum, vier Murmeln auf ein kleines Loch anzuwerfen und dann die Murmeln mit einer Handbewegung zu ditschen und letztendlich die Murmeln in diesem Loch zu versenken."
Murmelspiele 3: Murmel-Boule
Eine große Zielmurmel und je eine Spielmurmel pro Spieler.
Die große Murmel wird von der Spiellinie ausgeworfen. Alle Spieler versuchen nun, mit ihrer Spielmurmel die große zu treffen. Trifft keiner, gibt es eine zweite Runde von der Stelle aus, wo die eigene Murmel liegt. Wer als erster trifft, bekommt von jedem Mitspieler eine Murmel, und das Spiel beginnt von vorn.
Gut vorstellbar, dass Kinder schon in der Steinzeit mit kleinen Kügelchen spielten. Ob Kieselsteine, Nüsse, Kastanien oder Eicheln - mit allem, was klein und halbwegs rund war, konnte man allein oder um die Wette kullern, stupsen oder werfen. Im alten Ägypten, also vor 5000 Jahren, schoben bereits Erwachsene in einer Art Rillenlabyrinth kleine Steinkugeln ihrem Ziel entgegen. In Gräbern ihrer Pharaonen fand man Murmeln als Grabbeilage, in welche ihre Namen eingeritzt waren. Und in Kindergräber aus dieser Zeit legte man abgenutzte Kügelchen, mit denen die Kinder wohl einst gemurmelt hatten.
Im antiken Kreta, vor etwa 3500 Jahren, spielte man mit polierten Murmeln aus Halbedelsteinen. Und aus dem griechischen Wort für einen weißen, gebrochenen Felsblock, màrmaros, leitet sich schließlich das Wort Marmel oder Murmel ab.
Springen wir ins Jahr 1560, in dem der flämische Maler Pieter Brueghel sein Gemälde "Die Kinderspiele" malte. Man sieht sie dabei auch beim Murmelschießen. Aus eben dieser Zeit stammen die Murmeln, welche die Archäologin Eva-Maria Melisch in Berlin ausgegraben hat. Im dortigen Neuen Museum kann man sie betrachten: "In der Vitrine sehen wir Spielzeug und dann sehen wir Murmeln. Und zwar sehen die aus, als wären sie aus Ton, ich weiß aber, weil ich die da selber rein getan habe, dass einige von denen aus Stein sind.
Etwa so groß wie heutige Glasmurmeln, sagt Melisch. "Und wenn man genau hinguckt, dann ist jede Murmel etwas anders gestaltet. Dort hinten diese gebänderte, diese schöne Murmel mit dem weißen Punkt in der Mitte, das ist irgendein gebänderter Stein, den ich so auch nicht kenne, ist kein Granit oder Speckstein. Ich denke mal, die Kinder, die mit den Murmeln gespielt hatten, die kannten ihre Murmeln auch ganz genau."
Ausgegraben wurden sie auf einem ehemaligen Kirchhof neben den Resten einer Lateinschule:
"Und die Schüler mussten über den Kirchhof in die Schule gehen. Obwohl in den Schulgesetzen ausdrücklich stand, dass den Kindern das Spielen auf dem Kirchhof während der Pausen ausdrücklich verboten ist, haben wir trotzdem eben vor dieser Schule jede Menge Murmeln gefunden. Und wir sehen, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Murmelspielen nach Berlin kommt. Das sind meines Wissens nach die ältesten Funde."
Bis nach Afrika und Amerika verschifft
Der Ursprung der Steinmärbelindustrie liegt hundert Jahre später in Thüringen und Oberfranken. Die kleinen Steinkugeln wurden aber zunächst nicht zum Spielen für Kinder hergestellt, sondern als Munition für Musketen. Als Zusatz für Sprengungen in Steinbrüchen wurden die thüringischen Märbeln bis nach Afrika und Amerika verschifft.
"Unter anderem gibt es Armbrüste, die mit Steinkugeln geschossen haben. Das waren die Kugelschnäpper. Man denkt immer Armbrust hat nur mit einem Bolzen geschossen, nein, die haben auch 1640 aus ökonomischen Gründen mit Kugeln geschossen, weil die leichter in Massen herzustellen waren", sagt Axel Trümer, der im thüringischen Sachsenbrunn ein Murmelmuseum in einer ehemaligen Märbelmühle betreibt.
Den Rohstoff dafür lieferte der in dieser Gegend gelagerte Kalkstein.
"Zwischen Sonneberg, Coburg, der Stadt Eisfeld, hier sind die Steinkugeln hergestellt worden. Und zwar waren es drei Berufe, einmal der im Tagebau, um den dichtesten, festesten Kalkstein rauszuholen. Der musste ja bei einer Explosion als Munition auch einen gewissen Druck aushalten. Dann sind diese Platten mit Karren runter gefahren ins Dorf, jetzt hier Sachsenbrunn und haben diese Platten verkauft an die Dorfbevölkerung. Oma, Opa, alle haben mitgeklopft aus den Platten viereckige Würfel und dann haben sie es wieder an diese Märbelmühlen verkauft.
Wie aus Patronen ein Spielzeug wurde
Die Märbelpicker erhielten für 1000 dieser zwei Zentimeter großen Würfel 20 Kreuzer, umgerechnet etwa 30 Cent. Axel Trümper ist dabei, eine alte Märbelmaschine wieder in Gang zu setzen:
"Das ist jetzt eine richtige Steinkugelmaschine, heißt Märbelgang. Und zwar ist das ein absenkbarer Buchenklotz, der dann über Mühlräder betrieben wurde mit einer Mittelachse und darunter ist eine Eisenplatte. Jeden Zentimeter hat die Wölbungen drin, Rillen."
Und in den Rillen lagen die Steinwürfel. Wie bei einer Getreidemühle dreht sich also der Buchenklotz per Wasserkraft über der runden Metallplatte mit den Kalksteinwürfeln und malt sie rund:
"Das Ganze hat zwei, drei Stunden gedauert, dann die fertigen Kugeln raus, die viereckigen Würfelchen wieder rein. Um 1850 hörte ja die Munitionsgeschichte auf, da ist die Patrone erfunden worden. Und deswegen ist man dann auf die Idee gekommen, Spielzeug herzustellen. Die ganzen Murmeln, die hergestellt wurden, die sind nach England gegangen. Wir haben die ganzen Originalschachteln, da steht englisch oben drauf, feinste Qualität. Das waren so mittelgroße, also, nicht wie man in Berlin vielleicht sagt, die Bucker. Das waren ja meist so Glaskugeln, die wir selbst als Kind immer gehandelt, getauscht haben."
4. Murmelbahn
An eine Wand wird ein Brett schräg aufgestellt. Der erste Spieler lässt seine Murmel darauf herunterrollen. Der Zweite schickt seine Murmel hinterher und versucht, die erste zu treffen. Trifft er, darf er beide nehmen. Wenn nicht, bleiben beide für den nächsten Spieler liegen. Der darf nun alle nehmen, wenn er eine trifft.
Als Museumsbetreiber Trümper in seiner Kindheit Bucker tauschte, waren gerade hundert Jahre vergangen, seitdem die ersten Glasmurmeln überhaupt hergestellt wurden. Die Gebrüder Greiner kamen im thüringischen Lauscha um 1850 auf die Geschäftsidee, solche Kullern aus Glas herzustellen. Erfahrungen hatten sie als Glasmacher bereits durch die Herstellung von Glasknöpfen und Tieraugen für Stofftiere.
Innerhalb weniger Jahre erlangten die Lauschaer Märbeln Weltruhm, und man belieferte damit ganz Europa und Übersee, speziell die USA. Das Geschäft florierte bis zum Ersten Weltkrieg, dann übernahmen die Amerikaner mit maschineller Produktion und Lauscha wurde zum Nebenschauplatz. Heute werden Murmeln fast ausschließlich in China oder in Mexiko hergestellt. Dort steht die größte Murmelfabrik der Welt mit einer Produktionskapazität von 12 Millionen Kugeln am Tag.
In Silber gefasst wird aus Murmeln Schmuck
Aber Glasmurmeln werden auch noch in Handarbeit gefertigt. Dabei schmelzt man die Enden von farbigen Murmelglasstäben über dem Bunsenbrenner nacheinander ein. Wie das genau geht, zeigt Johanna Rose-Schmidt auf den Lauschaer Glasperlentagen:
"Ich beginne mit einem oparken Farbstoff. Das ist jetzt hier ein helles Grün. Das halte ich in der Flamme und warte, bis das anfängt zu schmelzen."
Johanna ist 33 Jahre alt. Als Autodidaktin experimentiert sie seit 15 Jahren mit der Herstellung von Glasmurmeln.
"Jetzt kommt als nächstes eine Farbschicht mit dunklem Türkis." Ihre Murmeln werden in Silber gefasst und als Schmuck verkauft.
"So, ich beginne jetzt, beide Farben miteinander zu verschmelzen, indem ich das in der Flamme miteinander vermische, so ähnlich wie flüssiger Honig oder so ähnlich sieht das aus."
In den glühenden Glasklumpen gibt Johanna etwas fluoreszierendes Pulver. Sie nennt es Feenstaub. Durch beständiges Drehen nimmt der glühende Wulst in der Flamme allmählich Form an und das farbige Glas verdreht sich ineinander:
"Früher oder später wird die Kugel rund. Jetzt gehe ich mal raus aus der Flamme und stabilisiere das mal außerhalb ein bisschen. Und dann können wir schon mal den ersten Blick wagen ins Innere. Das sieht schon verheißungsvoll aus!"
Die Murmel muss im Ofen langsam heruntergekühlt werden, damit das Glas nicht springt.
Außer zu den Glasperletagen werden in Thüringen kaum noch Murmeln produziert. Doch für ihre Herstellung sind die farbigen Glasstäbe aus Lauscha international begehrt. Damit werden von Glaskünstlern komplexe Gebilde in die Kugeln hineingeschmolzen. Auf Murmelbörsen ist der amerikanische Kunde durchaus bereit, dafür bis zu 30.000 Dollar zu bezahlen - nachdem mit einem Laser ihre Oberfläche auf Rundung und Glattheit überprüft wurde, versteht sich. Solche Preise erzielt Johanna Rose-Schmidt mit ihren Freestyle-Murmeln ganz bestimmt nicht. Aber sicher will sie das auch gar nicht:
"Ja, die Kugel ist fertig. Wir haben sie gerade aus dem Ofen herausgeholt. Und wenn wir jetzt mal hier ins Licht gehen, wir laden jetzt mal auf, denn da ist ja Feenstaub drin, der da im Dunkeln leuchten kann und jetzt sehen wir, oh, wunderschön wie das jetzt ausschaut, wie so eine Unterwasserwelt oder das Weltall!"
5. Werfen
Eine Kuhle wird mit dem Absatz in den Boden gedreht. Der erste Spieler bekommt den Einsatz von allen und versucht nun diese Murmel mit einem Mal in das Loch zu werfen. Was in der Kuhle liegt, darf er behalten. Was daneben geht, bekommt der nächste Spieler. Der wirft nun mit den restlichen Murmeln und so weiter.
Die Sportler des 1. MC Erzgebirge spielen zwar nicht mit handgefertigten Murmeln, doch ihre Spielmurmel, der Tolley, muss schon etwas Besonderes sein.
"Ich habe tatsächlich einen Tolley aus Lauscha, der ist von der Farbe her grün, also, auch so gedreht und den spiele ich zur WM, am WM-Tag ausschließlich, ist mein Glücksbringer", sagt Chris.
Jens meint: "So wie der Fußballer sich vermutlich an seine Fußballschuhe gewöhnt und die dann wechselt, wenn sie auseinander fallen, so gewöhnt man sich an den Tolley. Man muss die erst einspielen, dass die ein bisschen abgenutzt ist und nicht mehr ganz so glatt, damit man die auch griffiger halten kann."
Die Murmel-Weltmeisterschaft findet jedes Jahr am Karfreitag im englischen Flecken Tinsley Green statt. Vor dem Greyhound-Pub, einem der fünf Häuser, aus denen der ganze Ort besteht, wird jedes Jahr um den Weltmeistertitel gemurmelt.
"Dort ist eine Murmelplatte aus Beton, die ist auch schon uralt, das geht bis in die dreißiger Jahre zurück. Und am Ende ist das dort wie ein kleines Volksfest. Dort kommen Mannschaften hin, nur um Spaß zu haben und Bier zu trinken - und dort ist noch ein Barbecue aufgebaut -, einfach einen schönen Tag zu haben", sagt Jens. "Amerikaner sind sehr oft da und aus Europa kommen Holländer, Tschechen. Das ist aber von Jahr zu Jahr ein bisschen unterschiedlich."
Das echte Murmelflair gibt es nur in England
Wie beim Boxsport, so gibt es auch für das Murmeln verschiedene Verbände, die für sich in Anspruch nehmen, Weltmeisterschaften auszutragen. Doch sie konkurrieren nicht miteinander, denn es wird jeweils nach anderen Regeln gespielt. So richtet die französische Organisation Mondial Billes jedes Jahr im August das Weltfinale im Sandmurmeln an der französischen Atlantikküste aus. Teilnehmen dürfen Spieler, die sich über den jeweiligen Landestitel qualifiziert haben.
"Das nennt sich in Prag auch Weltmeisterschaft, aber Weltmeisterschaft in dieser einen Disziplin", sagt Chris. "Wir haben daran noch nie teilgenommen. Die Tschechen spielen das ähnlich wie das Deutsch Kuhlemurmeln. Ob sie den Namen Weltmeisterschaften verdienen, mag ich nicht beurteilen. Seit 1932 wird in England die WM ausgetragen."
Jens: "Wir haben dort schon sehr oft erfolgreich teilgenommen. Wir sind mittlerweile sechs mal Mannschaftsweltmeister, fünf mal der Chris, Einzel, die Susi hat das Fraueneinzel in einem Jahr mal gewonnen."
Für den Weltmeister gibt es nur einen einfachen Wanderpokal. Für jeden Zweitplatzierten Mannschaftskämpfer sponsert der Wirt des Greyhound-Pub jedoch einen Kasten Bier.
"Man redet ja so gerne von Tradition, von Traditionsvereinen", so Chris. "Und wenn man wirklich das traditionelle Murmeln, das Murmelflair erleben möchte, dann erlebt man das meiner Meinung nach ausschließlich in England."