Initiative Musethica
Avri Levitan, Gründer von Musethica, möchte Musikstudierende mit dem Konzertespielen und der Gesellschaft insgesamt in Kontakt bringen. © picture alliance / dpa / Javier Cebollada
Klassik abseits der Konzerthäuser
05:19 Minuten
Die Initiative Musethica ermöglicht Studierenden an Musikhochschulen, Konzerte mit internationalen Spitzenmusikerinnen und -musikern zu spielen – oft in sozialen Einrichtungen. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung und den Kontakt zum Publikum.
Neugierig strömen Kinder zwischen sechs und zehn Jahren mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt in die Aula der Nils-Holgersson-Grundschule in Berlin-Lichtenberg – einige im Rollstuhl, viele in Begleitung ihrer Erzieherinnen und Erzieher. Vorne stimmen die Musikerinnen und Musiker ihre Instrumente.
Das Konzert, das gleich starten wird, ist Teil der 5. Berliner Ausgabe des Internationalen Kammermusikfestivals der Initiative Musethica. Insgesamt 28 Konzerten soll es in fünf Tagen geben. So erlernen die ausgewählten jungen Musikerinnen nicht nur die nötige Konzertroutine, sie haben auch die Gelegenheit, von international anerkannten Spitzenmusikern zu lernen und mit ihnen gemeinsam zu arbeiten musizieren.
Die Beteiligten treten in Pflegeeinrichtungen und Schulen auf, in einer Justizvollzugsanstalt oder einer Notunterkunft für Frauen. Mehr als 85 Prozent aller Konzerte finden in sozialen Einrichtungen statt.
Näher am Publikum
Im Vordergrund steht dabei die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung in der Gesellschaft und die persönliche Begegnung mit dem Publikum. Eine besondere Erfahrung, auch für den polnischen Cellisten Mateusz Blaszszak:
"Das Tolle ist auch, dass du nach dem Konzert mit den Menschen reden kannst. Normalerweise hat man dazu keine Gelegenheit. Es ist wirklich wichtig zu reden, denn wir existieren mit dem Publikum. Darum sind wir Musiker."
Den Kindern der Nils-Holgersson-Schule gefällt das Konzert, aufmerksam lauschen sie der Musik von Bach und Mozart. Besonders still wird es bei der Verklärten Nacht von Arnold Schönberg. Keine leichte Kost, aber zumutbar – auch jenseits des elitären Konzertsaals. Eine Grundüberzeugung von Musethica. Im Vordergrund stehe die direkte Resonanz mit den Menschen, erzählt Alena Baeva, international erfolgreiche Violinistin und Tutorin bei der Initiative.
"Das Wunderbare an der Musik ist, dass wir trotz unserer Unterschiede alle irgendwie durch sie verbunden sind. Wir spüren hier besonders, was es bedeutet für Menschen zu spielen, die normalerweise nicht ins Konzert gehen können. Das ist sehr pure Kommunikation und das ist sehr wertvoll."
Ziel: Die Methode fest installieren
Deutlich wird das auch in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der DRK Kliniken Berlin Westend. Tonaufnahmen sind hier nicht erlaubt. Beim Besuch entsteht aber der gleiche Eindruck wie in der Lichtenberger Schule: Die Konzentration der Kinder und Jugendlichen ist von Anfang an spürbar. Das beobachtet auch der Musiktherapeut Hannes Potthoff.
Der Gründer der Initiative, Avri Levitan, möchte in Zukunft die Ausbildungsmethode fest an Musikhochschulen installieren. Obwohl Musethica seit der Gründung vor zehn Jahren auf etwa 3000 Konzerte zurückblicken kann, ist Levitan immer wieder überwältigt von den persönlichen Begegnungen und Reaktionen des Publikums, zuletzt in einem Berliner Hospiz.
Dort habe eine Frau gesagt, wie dankbar sie sei, und: "Ich war in einer anderen Welt", gibt Levitan sie wieder. Das habe allen noch mal die Bedeutung des Musikmachens klar gemacht, was Musik überhaupt sei, so der Musethica-Gründer. "Das erfährt man nicht immer im Konzerthaus und leider vor allem nicht in der Musikhochschule."