Museum der Woche

Von Georg Gruber |
Eine Arbeiterstadt im Arbeiterstaat war Eisenhüttenstadt. Dort lebt die DDR auch heute noch weiter, 17 Jahre nach der Wiedervereinigung: Im "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR". Nicht Verklärung und Nostalgie, sondern einen Anstoß zur Diskussion über die Vergangenheit will es geben.
Besucherin: "Die Ausstellung ist super, das müssten sie allen Leuten zeigen, dann können sie sich ein Urteil erlauben, wie wir gelebt haben."

Das Leben der Menschen, nicht die hohe Politik, steht im Mittelpunkt des "Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR" in Eisenhüttenstadt.

Besucherin: "Ja, das war unser Leben. Unser Jahrgang hat genau das durchlebt und wir fanden es nicht schlecht, wir waren zufrieden."

Untergebracht ist das Museum in einem stattlichen Gebäude, errichtet 1953 im neoklassizistischen Stil als Kinderkrippe, die Teil der neu errichteten Wohnstadt war, für die Arbeiter des Eisenhüttenkombinats.

Andreas Ludwig: "Wir beginnen mit einer Chronologie, wir haben für 40 Jahre DDR 40 Würfel aufgebaut. Und jedes Jahr hat ein Objekt aus dem Alltag der DDR mit einem Alltagsereignis und eine ironische Kommentierung."

Erklärt der Leiter und Mitbegründer des Museums Andreas Ludwig. Die DDR-Alltagsgeschichte passt so in eine große Glasvitrine, die mitten in einem der ersten Ausstellungsräume steht.

"Wir haben 1949 die DDR- Nationalhymne mit Text in die Vitrine gelegt, bekannt war ja, dass ab einem gewissen Zeitpunkt der Text nicht mehr gesungen wurde, wegen der Textzeile Deutschland einig Vaterland. Und wer sich hier wundert, dass 1982 eine Platte der Rolling Stones steht, wird schnell darauf kommen, dass die DDR 20 Jahre gebraucht hat, um eine Schallplatte raus zu bringen. 1989 geht es natürlich um die Fluchtbewegung und da liegt ein Stadtplan von Prag, weil viele dann über die Botschaft dort geflohen sind."

Klar wird dabei, es geht in der Ausstellung nicht um Verklärung, sondern darum, Diskussionen über die Vergangenheit anzustoßen. Die gesellschaftlichen Widersprüche werden aufgezeigt, ohne Wertungen vorzugeben. Nostalgie ist erlaubt: In einem Raum ist zu sehen, was es in einem Dorfkonsum zu kaufen gab.

Besucher: "Mocca fix, Rondo, Spitzenklasse, Günter da oben gibt es noch Lauterer Tropfen!"

Ausgestellt sind ein paar Schritte weiter aber auch Übungshandgranaten der "Gesellschaft für Sport und Technik" und im Schaukasten gegenüber Bücher von Intellektuellen, die die DDR hinter sich ließen, wie Sarah Kirsch, Jurek Becker, Robert Bloch. Ein Raum widmet sich der Sozialpolitik, ein anderer Bildung und Erziehung. Dort stehen auf einer Tafel verschiedene Begriffe. Der Leiter des Museums Andreas Ludwig:

"Klassenarbeit kennt jeder und Turnbeutel und Hofpause, aber Milchgeld und Galerie der Freundschaft und Pioniernachmittag ist eben im Westen nicht so angekommen. Das kann man natürlich sehr gut nutzen, wenn Schülergruppen kommen, um die gesellschaftliche Rolle von Schule noch genauer zu besprechen."

Die Idee ein DDR-Alltagsmuseum aufzubauen, kam Andreas Ludwig, geboren 1954 in Westberlin, in der Nach-Wendezeit, als er mit seiner Familie das Berliner Umland erkundete und vor jedem Haus riesige Müllhalden sah:

Andreas Ludwig: "Als Historiker, der auch schon Museumserfahrung hatte, war mir klar, wenn das noch ein paar Jahre so weiter geht, dann ist von der DDR überhaupt nichts mehr übrig, in dem Sinne, dass man Anschauung hat, wie die Dinge ausgesehen haben und in einem zweiten Sinne, dass man über diese Dinge auch gar nicht mehr erfahren kann, wie das normale Leben gelaufen ist."

100.000 Objekte umfasst die Sammlung inzwischen, meist Schenkungen. Fast täglich kommen neue hinzu.

Bis zu 10.000 Besucher kommen jährlich in das Museum. Bis Anfang September ist eine Sonderausstellung zu sehen: "Wohnen im System", eine Schau über die Wohnkultur in der DDR von den späten 60er bis zu den 80er Jahren. Gleich im ersten Raum steht das Lieblingsstück des Museumsleiters. Eine schlichte Schrankwand aus dem Jahr 1968, Modell MDW, Montagesystem Deutsche Werkstätten.

Andreas Ludwig: "Das ist das Möbelsystem, zu dem Walter Ulbricht auf der Dresdner Kunstausstellung gesagt hat: das sind ja nur Bretter. Und damit hat er Recht. Er meinte das zwar als Tischler gar nicht nett, aber es ist die extreme Modularisierung von Möbeln in das einzelne Brett. Das, was man als Ikea-Prinzip in den 70er Jahren wird kennen lernen im Westen, wurde 1968 in der DDR entwickelt und auch produziert."

Einfach aufzubauen, in den verschiedensten Variationen:

Andreas Ludwig: "Raumteiler, Nachttische, reine Bücherregale, denn die Maße sind beliebig zusammenzusetzen. Man sieht es hat keinerlei Verzierung außer dem Material selber und man kann erahnen, was so etwas in einem Neubau bedeutet: das absolute Bekenntnis zur Moderne, zum Funktionalismus."

Schrankwand und Couchgarnitur als Inbegriff des guten Lebens: Ost und West – das wird beim Gang durch diese Ausstellung deutlich, lagen zumindest in der Wohnkultur oft gar nicht so weit auseinander.