Museum der Woche

Von Heike Schwarzer |
Der sächsische Dichter Christian Fürchtegott Gellert war im 18. Jahrhundert ein Bestseller-Autor und eine bekannte moralische Instanz. Wenn überhaupt kennt man ihn heute noch als Fabeldichter. In Hainichen, Gellerts Geburtsort zwischen Leipzig und Chemnitz, gibt es ein ihm gewidmetes Haus, das ein Literaturmuseum und eine Kunstsammlung zur Fabel vereint.
"Nicht groß von Gestalt, zierlich aber nicht hager, sanfte, eher traurige Augen", "

so beschrieb Goethe den damals hochverehrten Erzieher, Lehrer und Autor Christian Fürchtegott Gellert in seinem Werk "Dichtung und Wahrheit".

" "... eine sehr schöne Stirn, eine nicht übertriebene Habichtsnase …"

Kleine taubenblaue Kästen hängen links und rechts in Kopfhöhe an den Wänden eines schlichten, weiß gestrichenen Ganges. Hier, in der Beletage der klassizistischen Parkvilla, wird der Besucher auf originalem Parkettboden empfangen. Wer die Kästen öffnet, darf lauschen:

"Er war der allgemeine Seelsorger und Gewissensrath seines Zeitalters."

Mit dem Familienleben im 18. Jahrhundert in Sachsen, erzählt am Beispiel der Pastorenfamilie Gellert und ihren zwölf Kindern, damit kann der Museumsbesuch starten. Oder enden. Oder auch mit dem Raum gegenüber, mit der Kunstsammlung und der Geschichte der Fabeldichtung.

Fabeln der Weltliteratur kann man hier in den Originalsprachen hören und nachlesen. Und natürlich Fabeln aus der Feder von Gellert, die ihn um 1750 in ganz Europa berühmt und zum meist gelesenen Autor seiner Zeit machten.

Aus einer Lesung: " Der Blinde und der Lahme. Einst war der Feind ins Land eingefallen. Da schleppte ein Blinder einen Lahmen auf seinem Rücken und ließ sich von diesem den Weg weisen. So retteten sich beide. Wenn man gegenseitig die Vorzüge des andern nutzt, kommt man gut voran. "

Ganz im Sinne der Aufklärung erreichte Gellert mit seiner einfachen Sprache und Poesie eine breite Masse und nicht nur ein gelehrtes Publikum.

Ein Prinzip, das auch Museumsleiterin Andrea Fischer verfolgt: mit einem engagierten museums-pädagogischen Programm und einer vor zwei Jahren völlig neu gestalteten Ausstellung. Die Hälfte aller Besucher ist jünger als 25 Jahre. Gellertfans aus ganz Europa und Übersee wird durch die Beschriftungen auch in Englisch und Französisch der Zugang erleichtert.

"Wir haben überlegt. Wir haben ein Haus aus dem 19. Jahrhundert, ein Thema aus dem 18. Jahrhundert und Sehgewohnheiten aus dem 20. und 21. Jahrhundert und die sollten miteinander verknüpft werden."

Die Gestaltung des historischen Literatur- und Fabelmuseums ist modern und luftig. Klar strukturierte Guckkästen säumen die Wände. In der Mitte steht meist eine schlichte Vitrine, die Ausstellungsobjekte enthält: zum Beispiel ein aufwendig mit Scherenschnitten gestaltetes Familienbuch der Gellerts, in dem geblättert werden darf.

"So, es gibt auch Handschuhe, damit das Original geschont wird."

Diese Vitrinen – im kleinen Reliquienkabinett sogar mit einer konservierten Butterbirne namens Gellert bestückt – dienen häufig als Tisch, um bequem in aufschiebbaren Karteikästen zu blättern.

Gerade zum Thema Epoche der Aufklärung, was kann ich jetzt voraussetzen an Wissen, an Begriffen? Insofern gibt uns das eine Möglichkeit, relativ viele Informationen so zu verpacken, dass man nicht sofort erschlagen wird, andererseits die Ausstellung ganz flexibel zu halten und zu ergänzen, um einem vielschichtig interessierten Publikum auch die Möglichkeit zur Selbstrecherche zu geben.

Und damit auch so manche Irrtümer aufzuklären, die dem in Hainichen geborenen Dichter und späteren Philosophieprofessor an der Leipziger Universität immer noch anhängen.

" Ach, der Volksdichter und der Dichter für die Pastoren und ihre Töchter … "

Dass dem nicht so ist, das wird im Hauptraum, einem prächtigen Salon mit Holzdecke, auch sinnlich nachvollziehbar. Jeweils ein Pult samt Begleitbuch und einer kleinen Schubkasten-Inszenierung stehen exemplarisch für die Vielschichtigkeit von Gellerts Werk: für die geistlichen Lieder, die Fabeln und Erzählungen.

Aber auch für seine heute unbekannten moralischen Universitätsschriften über Vernunft und Verstand, seine Abhandlung gegen den schwülstigen höfischen Briefstil, seine Lustspielsammlung oder den ersten deutschen Familienroman.

"Wir haben die 6 Pulte genau nebeneinander ganz gleichberechtigt stehen, weil Gellert zu unrecht reduziert wird auf zwei Werke: die Fabeln und die Lieder."

Kuriose Auswüchse des Gellertkultes – auch die kann man in Hainichen bestaunen: sein markantes Konterfei auf Teetassen und Pfeifenköpfen, sein Grabdenkmal für die gute Stube in Meißner Porzellan geformt und selbst ein Luxusschiff trug Gellerts Namen. Nach seinem Tod 1769 in Leipzig stürmten Fans sogar seine Grabstätte. Das erzählt man sich. Aber nachgewiesen ist das nicht. Noch nicht!, frohlockt die Museumsleiterin.

"Wir sind immer wieder überrascht. Er hat nicht so viele Werke hinterlassen, aber trotzdem haben die so eine große Auswirkung gehabt, weil: er bereitet die Entwicklungen der deutschen Sprache zur deutschen Klassik mit vor. Da wird noch einiges kommen. Ich bin sehr gespannt."