Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" im Klever-Verlag, kürzlich ihr Essayband "Schluss mit dem Sex".
"Influencerin" als fragwürdiges Etikett
04:34 Minuten
"Künstlerin, Powerfrau, Influencerin", so kündigt der Düsseldorfer Kunstpalast Angelika Kauffmann an. Interessantes Detail: Die Malerin lebte im 18. Jahrhundert. Und war deshalb ganz bestimmt keine "Influencerin", ärgert sich Andrea Roedig.
Angelika – who? Für alle, die nicht recht wissen, wer noch mal gleich Angelika Kauffmann war oder ist, hat der Untertitel der Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast eine verlockend einfache Antwort: Ach so. Eine Künstlerin, eine Powerfrau, eine Influencerin. Erstaunt wird sich dann vielleicht mancher Besucher im Museum zwischen ziemlich verstaubt wirkenden Ölschinken wiederfinden, zwischen klassizistischen Porträts und Historienmalereien mit Motiven wie: "Tanz der Grazien" oder "Die Trauer des Telemachos". Ungewollt absurd wirkt der Untertitel der Ausstellung, als habe man sich im Genre mal kurz um 250 Jahre vergriffen.
Influencer: Konsumvermarktung aus Mangel an Ideen?
Offenbar muss das Museum eine Malerin des 18. Jahrhunderts sexy verkaufen und offenbar gilt das Wort "Influencer" mittlerweile als Adelsprädikat. Was kann nach "Künstlerin" und "Powerfrau" noch kommen? "Influencerin". Toller geht’s nicht. Das Phänomen des Influencing ist noch nicht besonders gut verstanden, also warum man berühmt damit werden kann, per Youtube oder Instagram anderen zu erzählen, was man gut findet. Um es mit dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich zu sagen: Ein Influencer ist "ein Mensch, der aus Mangel an Ideen darauf kommt, ihm gerade zur Verfügung stehende Konsumprodukte zu fotografieren." Ein Ausweis von Kreativität – also etwas Schöpferischem – seien Influencer gerade nicht, meint Ullrich.
Warum Kauffmann keine "Öl-Selfies" gemalt hat
Wenn aber, die Frage sei gestattet, Angelika Kauffmann heute lebte, wäre sie dann eine Influencerin und könnte man ihre Kunst, in die Gegenwart transportiert, nicht doch "influencing" nennen? Sie war für ihre Zeit eine extrem erfolgreiche Malerin, "in ganz Europa vernetzt", wie die Ausstellungsankündigung betont, mit besten Kontakten zu Herrschenden und vielen Auftraggebern. Etliche Selbstporträts von ihr gibt es auch – "Ölselfies" sozusagen. Aber wie man es biegt und wendet, der Vergleich will nicht passen. Zwischen Ölbild und Video, zwischen gemalten Szenen antiker Geschichte und dem Videoclip mit Schminktipp, zwischen Selbstbildnis und Selfie liegt eine ganze Welt.
Der Unterschied besteht im Ich, beziehungsweise dem Verhältnis des Ich zur Welt. Denn Angelika Kauffmann hat nicht sich vermarktet, sondern ihre Kunst. Sie stellt Inhalte dar, nicht Konsumgegenstände und es ging ihr beim Malen vermutlich eher um Qualität als um Reichweite. Wer sich ihre Bilder anschaut, sieht eines: Hingegebenheit an die Malerei. Kauffmann glaubte an sich als Künstlerin, nicht an sich als Produkt. Selbstbildnisse waren nicht zum Verkauf bestimmt.
Vermarktbarer Narzissmus
Institutionen werden langsam aber sicher ihre Macht an Influencer abgegeben, vermutete neulich die Wochenzeitung "Der Freitag" anlässlich des Rückzugs von Prinz Harry und Herzogin Meghan – good bye Königshaus, hello royales Marketing. Als Influencer kann man heute mehr bewirken. Denn was die Gegenwart vom 18. Jahrhundert trennt, ist ein gnadenlos vermarktbarer Narzissmus.
Zugunsten Angelika Kauffmanns und als Tipp an die PR-Abteilung des Kunstpalastes möchte man festhalten: "Influencerin" ist nicht unbedingt eine schmeichelhafte Bezeichnung. Und was die Philosophie zu all dem sagen würde, ist sowieso klar: Ihr wären Hunderttausende Follower als Qualitätsmerkmal suspekt. Je mehr Menschen etwas gut finden, desto fragwürdiger: "Sie aber treiben dahin die Verblödeten, unentschiedene Haufen, denen das Sein und Nichtsein für dasselbe gilt." Steht beim Vorsokratiker Parmenides, Fragment Nummer 6, ist rund 2500 Jahre alt – stimmt noch immer.