Oligarchen sind auch nur Menschen
In Kiew hat das erste ukrainische Ethno-Musical Premiere gefeiert: "Der Oligarch" erzählt die vorhersehbare Geschichte eines armen Oligarchen, der alles außer Liebe zu haben scheint. Damit füllt das Musical eine Lücke im Kiewer Kulturangebot und steht einem wohlgesinnten Publikum gegenüber.
Dies ist die Geschichte vom armen Oligarchen. Er kann schier alles haben, nur seine große Liebe nicht, die sich nicht locken lässt von Jacht und märchenhaftem Reichtum. Ein reichlich kitschige Geschichte also. Gesellschaftskritik wird nur gestreift - in einer Szene monologisiert der Kofferträger des Magnaten:
"Seit drei Jahren trage ich diesen Koffer umher, was da wohl drin ist? Besser, ich weiß es nicht, dann kann ich ruhig schlafen."
"Es gibt auch Vermögende, die sich für die Kultur engagieren"
Oligarchen sind auch nur Menschen: Die Macher des Musicals gehen nicht zufällig sanft um mit jenen Magnaten, die die Ukraine seit der Unabhängigkeit so prägen. Produzent Swjatoslaw Kondratjew:
"Es gibt in der Ukraine viele Menschen mit dickem Finanzpolster, die ständig negativ beurteilt werden. Man geht davon aus, wer viel Geld hat, muss es irgendwo geklaut haben. Tatsächlich kennen wir viele Vermögende, die sich für die Kultur engagieren und sie finanzieren. Es gibt nicht nur schwarz und weiß. Natürlich sind darunter und besonders in unserem Land auch Leute, die ihr Geld nicht ehrlich verdient haben. Aber es wäre gefährlich, wenn Hass auf alle Reichen zu unserer Grundeinstellung würde."
Kondratjew will zunächst unterhalten, sagt er.
Kondratjew will zunächst unterhalten, sagt er.
"In stabilen Ländern ist es sicher wichtig, dass Künstler die Menschen aufrütteln. Unsere Aufgabe ist hingegen, zur Entspannung beizutragen in einem ohnehin überreizt politisierten Land."
Vakuum mit ukrainischen Inhalten füllen
Sein Musical stößt in eine Lücke. Bis zum Konflikt mit Russland nämlich, war die Populärkultur in der Ukraine stark von russischen Großproduktionen geprägt. Seither ist das vorbei. Russische Künstler kommen nicht mehr, weil sie nicht wollen, oder weil sie wegen öffentlicher Unterstützung für Putins Ukraine-Politik auf den schwarzen Listen der ukrainischen Kulturbürokratie gelandet sind: Auftrittsverbot. Und so sind die ukrainischen Kulturschaffenden plötzlich auf die eigenen, begrenzteren Ressourcen beschränkt.
"Es gibt in der Ukraine momentan leider keinen richtigen Markt fürs Showbusiness. Es gibt ein Vakuum, und es ist wichtig, dieses Vakuum mit ukrainischen Inhalten zu füllen, denn sonst kommt ein fremdes Produkt."
Denn in seinem Musical "Oligarch" greift Kondratjew auf das ukrainische Kulturerbe zurück, auf die Melodien hunderttausender uralter Volkslieder, auf ukrainische Instrumente wie das Zupfinstrument Kobza, kosakische Tanzfiguren und Trachten, das alles zerschmolzen in einer Melange aus modernen, internationalen Stilarten von Rap bis Blues. Durch massentaugliche Einbettung will er die Volkskunst vom Verdacht des Provinziellen befreien, sie gleichsam kulturell erheben und neu beleben. In einem historischen Moment, da sich die ganze Nation ihrer eigenen Identität vergewissert.
"Wir haben gerade eine einmalige Chance, die wir ergreifen müssen, und die so bald nicht wieder kommt."
"Wir haben gerade eine einmalige Chance, die wir ergreifen müssen, und die so bald nicht wieder kommt."
Applaus für ein verbesserungswürdiges Musical
Leichter gesagt als getan. Denn "Oligarch" das Musical, ist durchaus verbesserungswürdig. Die Story vorhersehbar, die Schauspieleinlagen bemüht, die technische Umsetzung mangelhaft. Doch das Publikum im schlecht beheizten Kiewer Kulturhaus sowjetischer Prägung hilft nach Kräften mit, während der zahlreichen Tonausfälle füllt es die Lücke mit rhythmischem Klatschen.
Wett macht vieles die beeindruckende Stimmkraft der ukrainischen Solisten, und immer wieder die mitreißen Melodien ukrainischer Volkslieder, die viele hier lange nicht gehört haben, die aber doch abgelegt sind im kollektiven Gedächtnis – und jetzt, angesichts der Gefahr, dass die Ukraine als Land zerrissen wird, immer öfter wachgerufen und nachgesungen werden.
Am Ende freundlicher Applaus für das laut Eigenwerbung erste "ukrainische Ethno-Musical" überhaupt.