Musik als Folter in Guantanamo

Britney Spears in Dauerschleife

Ein Häftling geht durch einen Gang im Gefängnis in Guantanamo. Darüber sind Noten gelegt.
In Guantanamo wurde auch mit Musik gefoltert. © imago / ZUMA Press / imagebroker / Montage: DLF Kultur
Genoel von Lilienstern im Gespräch mit Oliver Schwesig |
Es ist so unglaublich wie grausam: Vor zehn Jahren wurde bekannt, dass Gefangene in Guantanamo durch Pop-Songs in Endlosschleifen gefoltert wurden. Komponist Genoel von Lilienstern hat das Phänomen der musikalischen Folter in einem Musikstück verarbeitet.
Die Playlist des Horrors liest sich harmlos. Songs von Britney Spears, Eminem, Bruce Springsteen oder AC/DC finden sich darauf und sogar die Titelmusik der Sesamstraße. Doch durch endlose Wiederholungen und massive Lautstärke wird das Popgedudel zur nervtötenden Folter.
"Es handelt sich wirklich um eine ganz perfide, grausame Art der Folter, der No-Touch-Folter", erklärt Komponist Genoel von Lilienstern, der sich mit dem Thema in seinem Musikstück "Purple Dinosaur Variations" auseinandergesetzt hat. Prinzipiell kann jedes Musikstück für Folter missbraucht werden, erklärt Lilienstern.
"Je banaler und je einprägsamer dieses Stück ist, um so schneller wird man an die Grenzen seines eigenen Verstandes herangeführt."

Gefesselt und beschallt

In Guantanamo waren die Häftlinge während des ohrenbetäubenden Lärms in Endlosschleife außerdem in brutalen Folterstellungen gefesselt, erklärt Lilienstern.
"Die Leute sind damals – und heute wahrscheinlich auch noch – in Stresspositionen fixiert worden. Sie durften nicht auf die Toilette gehen, haben Kopfhörer aufgesetzt bekommen und sind dann stundenlang mit einem einzigen Song beschallt worden."
In seiner Komposition "Purple Dinosaur Variations" hat Lilienstern die Nummer Eins der Folterplaylist verwendet, um sich mit dem Thema musikalisch auseinanderzusetzen. Dabei handelt es sich ausgerechnet um einen Song von Barney, dem niedlichen, purpurfarbenen Dinosaurier aus einer TV-Serie für Kinder.
"In diesem Song gibt es die Textzeile 'I love you. You love me. We are happy family'", erklärt Lilienstern. "Das habe ich innerhalb der Komposition 15 Mal wiederholt."

Unsichtbare Gewalt

Vorgetragen wird der Song während der Aufführung von zwei Sängern, die einen dritten durch ihren nervtötenden Gesang dazu bringen wollen, sein Schweigen zu brechen. Nicht nur der Mann auf der Bühne, auch das Publikum leidet im Laufe der Vorführung unter der akustischen Attacke.
"Dieser Song wird von den zwei Sängern immer wiederholt, aber er verändert sich, er wird immer kruder und krasser, bis es dann zu Handgreiflichkeiten kommt."
Doch während in Liliensterns Inszenierung es am Ende doch in körperlicher Gewalt eskaliert, bleibt die Folter in Guantanamo auf gespenstische Weise körperlos. Genau das sei das Perfide an dieser Art der Folter, erklärt Lilienstern:
"Die Gewalt muss im Verborgenen stattfinden. Es bleibt keine Narbe. Man kann es nachher nicht mehr sehen. Das ist der besondere Horror an dieser Thematik."
(mw)
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