Musik als Warnung und Mahnung
1933 in Riga geboren, kam Don Jaffé über Israel und West-Berlin nach Bremen, wo er viele Jahre als Cellist im Staatsorchester wirkte. Heute komponiert er Sonaten und Symphonien - Musik, die auch seine bewegende Lebensgeschichte spiegelt.
"In diesem Werk beschreibe ich, wie kam ich aus Israel nach Deutschland. Meine ersten Eindrücke von Berlin. Damals war es im Jahre 1974."
Don Jaffé sitzt aufrecht auf einem alten Stuhl in seinem kleinen Arbeitszimmer im Keller. Ein gepflegter, schlanker Mann mit gebräunter Haut und kurzen, grauen Haaren. An einem Schrank aus den 1970er-Jahren klebt ein Aufkleber mit dem Spruch: "Wer immer Ordnung hält, ist zu faul zu suchen." Don Jaffé ist anscheinend nicht faul, denn hier herrscht ein gewaltiges Chaos: Unzählige CDs liegen auf dem Klavier und auf dem Sofa. Auf dem Boden stehen Ordner, Mappen und Schuber mit Kompositionen, an der Wand mit einer Jutefaser-Tapete hängen Urkunden seines Sohnes Ramon Jaffé, ein international bekannter Cellist. Don Jaffés Cello steht eingepackt in der Ecke des Raumes.
Der 79-jährige sitzt vor einem Synthesizer, dahinter steht ein großer Laptop. Er komponiert gerade den dritten Satz für eine Symphonie. Seine dunklen Augen leuchten, als er einen Teil des Werkes abspielt:
"Für mich Musik ist wahnsinnig viel. Ich bin überzeugt, dass wegen Musik bin ich in so fantastischem sportlichen und gesundheitlichen Zustand. Weil das hat mir wahnsinnig viel Kraft gegeben. Weil mein Leben war äußerst schwer."
Don Jaffé erzählt in seinen Kompositionen seine Lebensgeschichte. Und er hat eine ganze Menge zu erzählen. Am 24. Januar 1933 wurde er in Riga als eines von drei Kindern geboren. Der Familie ging es gut, sein Vater arbeitete als Ingenieur, war gebildet, sprach zwölf Sprachen, seine Mutter war Hausfrau. Mit acht Jahren lernte Don das Klavierspiel, er galt als Wunderkind. Doch bevor er mit seiner Karriere beginnen konnte, musste die jüdische Familie aus Lettland fliehen. Sowohl ihre deutsche Kulturzugehörigkeit als auch der Antisemitismus im Land machte dort ein Leben für sie unmöglich. Don Jaffé erinnert sich daran, wie er von den Kindern im Hof als Jude beschimpft wurde. In der Symphonie "Anni horribili" – übersetzt bedeutet dies "schreckliche Jahre" – ist davon zu hören.
Die Familie Jaffé floh nach Sibirien. Zu Fuß. Es war im Jahr 1941:
"Die Kinder starben wie Fliegen. Besonders die, die geflüchtet sind, mit Eltern und…Vor Hunger und riesige Fröste waren dort, das war Frost bis minus 56 Grad! Schrecklicher Winter, kann man sagen."
Don Jaffé und seine Familie blieben drei Jahre lang in Sibirien. Sie überlebten dank eines deutschen Kommunisten und seiner Frau:
"Ich erinnere seinen Namen: Friedrich Knoppke (lacht). Und er hat sehr mich geliebt, weil ich konnte singen alle deutschen Volkslieder und er hat gesehen, ich werde bald sterben von Hunger und von Krankheit und habe gehabt Furunkulose auf ganzen Körper."
Wieder zurück in Riga, erwartete den inzwischen elfjährigen Don und seine Familie ein Albtraum: Alle 70 lettischen Verwandten, die nicht wie sie geflohen waren, waren tot, Opfer des Antisemitismus.
Erst als der Krieg zu Ende war, konnte Don Jaffé mit seiner musikalischen Karriere beginnen. Er war 14 Jahre alt, als er einen Platz an der Musikschule für besonders begabte Kinder in Riga erhielt. Dort bekam er Cello-Unterricht und beendete die Schule nach vier anstatt der üblichen zehn Jahre. Es folgte eine Ausbildung an der Musikhochschule. Don Jaffé war ehrgeizig. Der zunehmende Antisemitismus im Land trieb ihn an, gut genug zu sein, um fortgehen zu können:
"Zehn Jahre habe ich unterrichtet in Musikschule für besonders begabte Kinder, wo ich gelernt habe mal, gleichzeitig im Orchester und als Solist beteiligt und als Kammermusiker. Ich muss sagen, ich habe sehr viel gearbeitet und selbst zuhause geübt, habe mich vorbereitet, auszureisen aus der Sowjetunion, habe gehofft.")
Mit 38 Jahren, im Jahr 1971, ging sein Wunsch in Erfüllung. Don Jaffé hatte inzwischen seine heutige Frau Elza kennengelernt und war Vater von zwei Kindern. Gemeinsam zogen sie nach Israel. Dort spielte er im Symphonieorchester des Israelischen Rundfunks und verdiente sehr gut. Doch dann kam wieder Krieg.
" Ich habe mich beteiligt am Yom-Kippur-Krieg als Panzerfahrer, das war eine schreckliche Schlacht. Am Kursk war es drei Tage und Nächte. Und dann habe ich verstanden, dass der Krieg im Nahen Osten wird bleiben fast ewig."
So siedelte Don Jaffé nach einem dreijährigen Aufenthalt in Israel mit seiner Familie nach West-Berlin. Dank ihrer deutschen Wurzeln erhielten sie schon nach einem Monat die deutsche Staatsbürgerschaft. Er spielte als Solo-Cellist im Symphonischen Orchester Berlin. Doch die geteilte Stadt beunruhigte ihn. In Riga hatte er gehört, dass die Sowjets auch West-Berlin okkupieren wollten. So bewarb er sich bereits ein Jahr später in Bremen auf eine Stelle im Philharmonischen Staatsorchester – und wurde zu einem Vorspiel eingeladen.
"Ich kam abends mit dem Auto aus Berlin, aber bevor ich schlafen gegangen bin – morgens musste Probespiel sein – habe ich angefangen, ein bisschen spazieren gehen in Bremen. Und dann bin ich geraten am Schnoor, am Rathaus, und dann war ich so begeistert von dieser Stadt, sie hat mich irgendwie erinnert an Riga."
Don Jaffé bekam die Stelle. Im Jahr 1975 wurde er Mitglied im Philharmonischen Staatsorchester Bremen, 22 Jahre lang, bis zu seiner Pensionierung. Das letzte Konzert, in dem er mitspielte, gefiel ihm nicht. Auf Anraten eines Kollegen begann er selbst zu komponieren, seine erste eigene Sonate für Violincello. Sie trug den Titel "Passionen".
Die Sonate feierte einen großen Erfolg auf der Insel Usedom und die positiven Resonanzen von Publikum und Presse spornten ihn an, weiter zu machen. Rund 20 neoklassische Werke hat Don Jaffé inzwischen komponiert. Sie alle werden gespielt, unter anderem von den Rundfunkorchestern der ARD. Doch Don Jaffé geht es nicht nur um den Erfolg. Er möchte aus seinem Leben erzählen, denn das, was ihm zugestoßen ist, soll sich niemals wieder ereignen. Er möchte aufrütteln, etwas verändern, Zeichen setzen:
"Musik als Warnung: Ich versuche mit allen Kräften warnen Menschen vor Diktatur. Ich weiß, das ist ein Tropfen auf heißen Stein. Wir haben schon vieles, vieles schon vergessen."
Don Jaffé sitzt in seinem Arbeitszimmer im Keller seines Hauses und streicht sich mit der Hand über die Narbe auf seiner Stirn. Sie ist kaum sichtbar zwischen seinem kurzen, grauen Haar. Überhaupt sitzt hier ein Mann, dem das, was er erlebt hat, nicht anzusehen ist. Ganz im Gegenteil: Don Jaffé ist drahtig, sportlich, macht jeden Tag eine Stunde Krafttraining und joggt zehn Kilometer. Er möchte leben, er möchte komponieren.
"… und ich bin glücklich, dass ich bin noch gebraucht für Menschen."
Don Jaffé sitzt aufrecht auf einem alten Stuhl in seinem kleinen Arbeitszimmer im Keller. Ein gepflegter, schlanker Mann mit gebräunter Haut und kurzen, grauen Haaren. An einem Schrank aus den 1970er-Jahren klebt ein Aufkleber mit dem Spruch: "Wer immer Ordnung hält, ist zu faul zu suchen." Don Jaffé ist anscheinend nicht faul, denn hier herrscht ein gewaltiges Chaos: Unzählige CDs liegen auf dem Klavier und auf dem Sofa. Auf dem Boden stehen Ordner, Mappen und Schuber mit Kompositionen, an der Wand mit einer Jutefaser-Tapete hängen Urkunden seines Sohnes Ramon Jaffé, ein international bekannter Cellist. Don Jaffés Cello steht eingepackt in der Ecke des Raumes.
Der 79-jährige sitzt vor einem Synthesizer, dahinter steht ein großer Laptop. Er komponiert gerade den dritten Satz für eine Symphonie. Seine dunklen Augen leuchten, als er einen Teil des Werkes abspielt:
"Für mich Musik ist wahnsinnig viel. Ich bin überzeugt, dass wegen Musik bin ich in so fantastischem sportlichen und gesundheitlichen Zustand. Weil das hat mir wahnsinnig viel Kraft gegeben. Weil mein Leben war äußerst schwer."
Don Jaffé erzählt in seinen Kompositionen seine Lebensgeschichte. Und er hat eine ganze Menge zu erzählen. Am 24. Januar 1933 wurde er in Riga als eines von drei Kindern geboren. Der Familie ging es gut, sein Vater arbeitete als Ingenieur, war gebildet, sprach zwölf Sprachen, seine Mutter war Hausfrau. Mit acht Jahren lernte Don das Klavierspiel, er galt als Wunderkind. Doch bevor er mit seiner Karriere beginnen konnte, musste die jüdische Familie aus Lettland fliehen. Sowohl ihre deutsche Kulturzugehörigkeit als auch der Antisemitismus im Land machte dort ein Leben für sie unmöglich. Don Jaffé erinnert sich daran, wie er von den Kindern im Hof als Jude beschimpft wurde. In der Symphonie "Anni horribili" – übersetzt bedeutet dies "schreckliche Jahre" – ist davon zu hören.
Die Familie Jaffé floh nach Sibirien. Zu Fuß. Es war im Jahr 1941:
"Die Kinder starben wie Fliegen. Besonders die, die geflüchtet sind, mit Eltern und…Vor Hunger und riesige Fröste waren dort, das war Frost bis minus 56 Grad! Schrecklicher Winter, kann man sagen."
Don Jaffé und seine Familie blieben drei Jahre lang in Sibirien. Sie überlebten dank eines deutschen Kommunisten und seiner Frau:
"Ich erinnere seinen Namen: Friedrich Knoppke (lacht). Und er hat sehr mich geliebt, weil ich konnte singen alle deutschen Volkslieder und er hat gesehen, ich werde bald sterben von Hunger und von Krankheit und habe gehabt Furunkulose auf ganzen Körper."
Wieder zurück in Riga, erwartete den inzwischen elfjährigen Don und seine Familie ein Albtraum: Alle 70 lettischen Verwandten, die nicht wie sie geflohen waren, waren tot, Opfer des Antisemitismus.
Erst als der Krieg zu Ende war, konnte Don Jaffé mit seiner musikalischen Karriere beginnen. Er war 14 Jahre alt, als er einen Platz an der Musikschule für besonders begabte Kinder in Riga erhielt. Dort bekam er Cello-Unterricht und beendete die Schule nach vier anstatt der üblichen zehn Jahre. Es folgte eine Ausbildung an der Musikhochschule. Don Jaffé war ehrgeizig. Der zunehmende Antisemitismus im Land trieb ihn an, gut genug zu sein, um fortgehen zu können:
"Zehn Jahre habe ich unterrichtet in Musikschule für besonders begabte Kinder, wo ich gelernt habe mal, gleichzeitig im Orchester und als Solist beteiligt und als Kammermusiker. Ich muss sagen, ich habe sehr viel gearbeitet und selbst zuhause geübt, habe mich vorbereitet, auszureisen aus der Sowjetunion, habe gehofft.")
Mit 38 Jahren, im Jahr 1971, ging sein Wunsch in Erfüllung. Don Jaffé hatte inzwischen seine heutige Frau Elza kennengelernt und war Vater von zwei Kindern. Gemeinsam zogen sie nach Israel. Dort spielte er im Symphonieorchester des Israelischen Rundfunks und verdiente sehr gut. Doch dann kam wieder Krieg.
" Ich habe mich beteiligt am Yom-Kippur-Krieg als Panzerfahrer, das war eine schreckliche Schlacht. Am Kursk war es drei Tage und Nächte. Und dann habe ich verstanden, dass der Krieg im Nahen Osten wird bleiben fast ewig."
So siedelte Don Jaffé nach einem dreijährigen Aufenthalt in Israel mit seiner Familie nach West-Berlin. Dank ihrer deutschen Wurzeln erhielten sie schon nach einem Monat die deutsche Staatsbürgerschaft. Er spielte als Solo-Cellist im Symphonischen Orchester Berlin. Doch die geteilte Stadt beunruhigte ihn. In Riga hatte er gehört, dass die Sowjets auch West-Berlin okkupieren wollten. So bewarb er sich bereits ein Jahr später in Bremen auf eine Stelle im Philharmonischen Staatsorchester – und wurde zu einem Vorspiel eingeladen.
"Ich kam abends mit dem Auto aus Berlin, aber bevor ich schlafen gegangen bin – morgens musste Probespiel sein – habe ich angefangen, ein bisschen spazieren gehen in Bremen. Und dann bin ich geraten am Schnoor, am Rathaus, und dann war ich so begeistert von dieser Stadt, sie hat mich irgendwie erinnert an Riga."
Don Jaffé bekam die Stelle. Im Jahr 1975 wurde er Mitglied im Philharmonischen Staatsorchester Bremen, 22 Jahre lang, bis zu seiner Pensionierung. Das letzte Konzert, in dem er mitspielte, gefiel ihm nicht. Auf Anraten eines Kollegen begann er selbst zu komponieren, seine erste eigene Sonate für Violincello. Sie trug den Titel "Passionen".
Die Sonate feierte einen großen Erfolg auf der Insel Usedom und die positiven Resonanzen von Publikum und Presse spornten ihn an, weiter zu machen. Rund 20 neoklassische Werke hat Don Jaffé inzwischen komponiert. Sie alle werden gespielt, unter anderem von den Rundfunkorchestern der ARD. Doch Don Jaffé geht es nicht nur um den Erfolg. Er möchte aus seinem Leben erzählen, denn das, was ihm zugestoßen ist, soll sich niemals wieder ereignen. Er möchte aufrütteln, etwas verändern, Zeichen setzen:
"Musik als Warnung: Ich versuche mit allen Kräften warnen Menschen vor Diktatur. Ich weiß, das ist ein Tropfen auf heißen Stein. Wir haben schon vieles, vieles schon vergessen."
Don Jaffé sitzt in seinem Arbeitszimmer im Keller seines Hauses und streicht sich mit der Hand über die Narbe auf seiner Stirn. Sie ist kaum sichtbar zwischen seinem kurzen, grauen Haar. Überhaupt sitzt hier ein Mann, dem das, was er erlebt hat, nicht anzusehen ist. Ganz im Gegenteil: Don Jaffé ist drahtig, sportlich, macht jeden Tag eine Stunde Krafttraining und joggt zehn Kilometer. Er möchte leben, er möchte komponieren.
"… und ich bin glücklich, dass ich bin noch gebraucht für Menschen."