Symbol für ein multikulturelles und einiges Amerika
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Bei der Vereidigung von Joe Biden als US-Präsident treten viele Stars der US-Musikszene auf. Diese sind offenbar nach dem Prinzip gecastet worden, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Selbst für die Trump-Fans ist jemand dabei.
Mascha Drost: Vor vier sehr langen Jahren wurde Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt, und die größten Namen ließen es sich damals nicht nehmen, durch Abwesenheit zu glänzen. Keiner wollte: Elton John nicht, Celine Dion, Gene Simmons und selbst Trump-Freund Andrea Bocelli nicht.
Sie alle lehnten ab, bei den Feierlichkeiten aufzutreten. Am Ende blieb nur Jackie Evancho, Zweitplatzierte bei der Fernseh-Casting-Show "America's Got Talent" und ehemaliger Kinderstar mit einem Faible für Weihnachtslieder. Sie sang dann die Nationalhymne.
Bei der heutigen Amtseinführung für Joe Biden wird das Aufgebot wesentlich größer sein. Die Nationalhymne wird von Lady Gaga gesungen werden. Auch Jennifer Lopez und Garth Brooks treten auf. Letzterer vermutlich mit seinem Song "We Belong to Each Other", den er als Hymne für den Zusammenhalt Amerikas verstanden wissen will. Besinnung auf Zusammenhalt soll ja auch das Motto der Biden-Ära werden.
Wie werden politische Botschaften im musikalischen Programm von Amtseinführungen ausgedrückt? Die heutige Amtseinführung wird aufgrund von Corona etwas kleiner ausfallen als gewöhnlich. Ein öffentliches Programm gibt es aber - wie sieht das aus?
Von Lady Gaga bis Garth Brooks
Wolff: Die juristisch erforderlichen Teile der Veranstaltung, die Vereidigungen, werden von musikalischen, lyrischen und religiösen Elementen umrahmt, also Gebete und Gedichte und eben Musik. Die Militärkapelle der Marines wird vor der Zeremonie "Fanfare on Amazing Grace" spielen, ein Stück des Komponisten Adolphus Hailstork. Es ist übrigens erst das zweite Mal in der Geschichte, dass Musik eines noch lebenden schwarzen Komponisten in diesem Rahmen gespielt wird. Die Nationalhymne "The Star-Spangled Banner" wird von Lady Gaga gesungen. Was genau Jennifer Lopez und Country-Megastar Garth Brooks singen werden, ist noch nicht bekannt. Er hat angekündigt, dass er alleine, nur mit der Gitarre, auftreten wird.
Drost: Im Gegensatz zu Trump hat es das Biden-Team wohl einfacher gehabt, Künstlerinnen und Künstler zu finden. Die Auswahl ist also sicher auch symbolisch. Aber wofür steht sie?
Wolff: Das Leitmotiv ist eine Rückkehr zu dem Ideal, das von Trump und den Republikanern so offensiv bekämpft wird – Amerika als multikulturelles und doch gemeinsam stehendes Land. Man könnte fast meinen, dass nach diesem Prinzip gecastet wurde. Die Hymne wird mit Lady Gaga von einer Italo-Amerikanerin mit großer, queerer Fan-Gemeinde gesungen. Eine Latina-Künstlerin tritt auf, genauso wie ein weißer, rechter Country-Star, der dann vielleicht die Trump-Wählerschaft ansprechen soll.
Das Begleitprogramm macht das noch deutlicher, fügt dem noch Schattierungen hinzu: Im Gottesdienst, den die Bidens besuchen werden, spielt die irische Geigerin Patricia Tracy zwei irische Stücke. Vizepräsidentin Kamala Harris wird von der Marschkapelle ihrer Alma Mater Howard University eingeführt, einem historisch schwarzen College. Und auch die Wahl von Adolphus Hailstork verweist auf das afroamerikanische Erbe, eingebettet in Patriotismus: Sein Stück "Fanfare on Amazing Grace" erinnert sehr an die amerikanischen Klangteppiche von Aaron Copland wie zum Beispiel "Fanfare for the Common Man".
Die Nationalhymne lässt sich schlecht singen
Drost: Die Nationalhymne wird von Lady Gaga gesungen werden, die ersten Takte kennt man auch in Europa. Aber was ist das eigentlich für ein Lied?
Wolff: Nationalhymnen sind ja meistens sehr merkwürdige Konstruktionen. Und "The Star-Spangled Banner" ist noch mal ein bisschen merkwürdiger. Es ist erst seit knapp 90 Jahren die offizielle Hymne des Landes. Vorher gab es verschiedene Lieder, die diese Funktion erfüllt haben, die quasi nach Belieben gesungen wurden: "America the Beautiful" oder "My Country, Tis Of Thee", das übrigens 2009 bei der Amtseinführung von Barack Obama von Aretha Franklin, damals mit der großen Schleife am Hut, gesungen wurde.
"The Stars-Spangled Banner" stammt auch gar nicht aus dem Revolutionskrieg, sondern aus dem Krieg von 1812, bezieht sich auf die Schlacht um Baltimore. Es ist auch ein bemerkenswert unhandliches Lied, also viel zu textlastig und wortgewaltig, schwulstig und kantig, mit Zeilen wie "O'er the ramparts we watched, where so galllantly streaming" hat die Zunge schon wirklich zu tun, die lassen sich schlecht singen.
Es gibt eine Handvoll Interpretationen, die zeigen, was sich aus diesem Lied dann doch machen lässt: Marvin Gaye sang es 1983 bei einem NBA-All-Star-Game, Whitney Houston 1991 beim Superbowl, das war damals im Golfkrieg mit besonders patriotischen Vorzeichen – das war auch ein bisschen ein erhobener Mittelfinger an Teile der schwarzen Community, die Houston damals Ausverkauf vorwarfen, wo "Lift Every Voice and Sing" eigentlich als Hymne gilt.
Durch die Proteste von Colin Kaepernick und anderen Sportlerinnen und Sportlern, die #BlackLivesMatter unterstützen und dann während der Hymne knien, steht diese bis heute im Mittelpunkt von Kontroversen. Ich glaube, auch um diese ganze Dimension zu vermeiden, wird mit Lady Gaga eine weiße Künstlerin das Lied singen.
Kollektives Aufatmen
Drost: Neben Lady Gaga werden noch zahlreiche andere Stars auftreten, nicht bei der Zeremonie selbst, sondern dann in der Fernsehgala "Celebrating America", darunter Justin Timberlake, Demi Lovato und auch Bruce Springsteen. Präsident Trump ist es nie gelungen, solche großen Namen anzulocken. Wofür steht jetzt dieses Aufgebot?
Wolff: Die Biden-Ära beginnt ja mit einem kollektiven Aus- und Aufatmen, dass Trump nicht mehr Präsident ist. Auch wenn die Probleme des Landes – Covid-19, Rechtsradikalismus und Rassismus, die GOP und Armut – nicht einfach verschwinden werden. Aber bei aller Kritik an Biden und den Demokraten, die notwendig ist, darf es einfach nicht unterschätzt werden, was es für viele Menschen in den USA bedeutet, keinen offenkundig rassistischen Irren im höchsten Amt des Landes zu sehen, sondern jemanden, der sich, ganz banal gesprochen, immerhin um Anstand bemüht.
Auch die Entertainment-Branche ist natürlich einfach froh, in Joe Biden und Kamala Harris Leute zu haben, neben die man sich ohne größere Skrupel stellen kann. Gleichzeitig ist es auch so, dass unter Trump viele Künstlerinnen und Künstler zur Politik gefunden haben, von so platten "President Cheeto"-Sprüchen hin zu profunden Statements über strukturellen Rassismus und Ungleichheit – und das auch in allen Musikgenres, von Country und Jazz bis hin zu Hiphop und Pop.
Es ist zu hoffen, dass sich diese Energie nicht verliert, denn die Biden-Ära wird von harter Arbeit geprägt sein und schmerzhafter, hoffentlich ehrlicher Aufarbeitung, also von 1619 bis hin zur Stürmung des Kapitol-Gebäudes vor zwei Wochen.
Musik kann hier einen Teil beitragen – und das auch, vielleicht sogar gerade – wenn sie einen aus europäischer Sicht vielleicht peinlichen Patriotismus nicht scheut, also kritischen Patriotismus, "My Country, Right or Wrong", wie zum Beispiel dem von Bruce Springsteen, der einmal gesagt hat: "Amerika liegt nicht immer richtig, aber Amerika ist immer wahrhaftig." Und wie diese ungeschönte amerikanische Wahrheit aussieht, davon darf Musik gerade jetzt nicht schweigen.