Kirche sucht den Superstar
Musik spielt auf dem Stuttgarter Kirchentag eine wichtige Rolle - nicht nur klassische aus dem Gesangbuch oder Choräle, sondern auch christliche Popmusik. So such etwa eine fromme Castingshow das "Song Talent". Doch Mainstream-Pop ohne das Etikett "christlich" hat oft mehr an Transzendenz zu bieten.
Jetzt also auch noch das : Die organisierte evangelische Christenheit ist im Zeitalter der Casting Shows angekommen. Schlicht "Song Talent" nennt sich die fromme Variante von "Deutschland sucht den Superstar". Die Clips der Finalisten sind online zu hören: ein bisschen Hiphop, ein bisschen Pop, ein bisschen Neo-Folk. Musikalisch passiert nichts Neues und inhaltlich erst recht nicht.
Die Texte bewegen sich im engen Kosmos erwecklicher Frömmigkeitsmuster aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert: Das Ich des Sängers oder Sängerin, glaubensstark und frohgemut auf der einen Seite – auf der anderen Seite das große mächtige DU. Besungen wird eine intakte hierarchische Beziehung von oben nach unten. Paarkonflikte? - Fehlanzeige. Es ist ein ziemlich langweiliges Verhältnis, das da über den grünen Klee gelobt wird. Weichgespülter Pop ohne einen Funken Rock 'n Roll. Keine Spur von Rock und Roll im Sinne von Aufbegehren, Wut, Verneinung oder Exzess.
Auch ich bekenne, früher auf Kirchentagen wie blöde vor Begeisterung modernes Liedgut mitgesungen zu haben. Jahrelang gehörten die singenden und klampfenden jungen Menschen in Straßen und U-Bahnen zum Bild der Kirchentage. Noch heute kann mir Peter Jannssens Kirchentagshymne der späten 70er- und 80er-Jahre "Der Himmel geht über allen auf" religiöse Schauer über den Rücken jagen.
Liegt es daran, dass ich älter geworden bin, dass heute neue fromme Musik fast immer nach Kopie klingt? Warum sollte ich mir zum Beispiel in Stuttgart die A- Capella Formation "Vier vor der Ehe" anhören mit ihrer Vertonung des Kirchentagsmottos, wenn ich mir auch "Belle and Sebastian" anhören kann?
Mehr Fragen als Bekenntnisse
Und die Texte? In ihrer Glaubensgewissheit so vorhersehbar wie das Happyend im allerkitschigsten Groschenroman, denn Kitsch lässt im Gegensatz zur Kunst keinen Spielraum für Interpretation. Kein Vergleich etwa zu den Texten der Lieder aus der Reformationszeit oder auch zu den Gospels amerikanischer Sklaven: "Wachet auf, ruft uns die Stimme" - "Swing low ,sweet chariot" : Eine ganze Welt biblischer Bilder steckt da in einer Zeile.
Und kein Vergleich zu dem, was Mainstream-Pop ohne das Etikett "christlich" heute an Transzendenz zu bieten hat in offenen Bildern, mehr Fragen als Bekenntnisse: In ihrem vorletzten Album stellte zum Beispiel Singer-Song-Writer Regina Spektor nüchtern fest, dass im Krieg oder auf der Intensivstation keiner über Gott lacht, um am Ende ein solidarisches Miteinander von Mensch und Gott anzudeuten.
(Liedausschnitt:) "God is laughing with us"
Und Joane Osborne fragte vor ein paar Jahren:
(Liedausschnitt:) "What if God were one of us?"
Alte Lieder aufregender als neue Popsongs
Was, wenn Gott einer von uns wäre? Menschwerdung, Theodize, alles drin in einem Song. Aber zurück zum Kirchentag. Einen Lichtblick gibt es dann doch im Programm: Die Konzerte und Workshops des Trimum-Chores; Trimum von "Musik des Trialogs". Seit drei Jahren treffen sich christliche , jüdische und muslimische Theologen, Musiker und natürlich Sänger und Sängerinnen in der Stuttgarter Bach-Akademie und üben frommen Lieder der eigenen und der jeweils anderen Traditionen.
(Liedausschnitt:) "Egal wer Du auch bist … Das ist kein Grund für Zwist und Streit."
Auf dem Papier klingt das Bekenntnis zur Vielfalt vielleicht hölzern , aber wenn dann alle zusammen erst Psalmen auf hebräisch, Sufi-Gesänge auf arabisch oder türkisch und dann einen gregorianischen Choral anstimmen, dann klingen die alten Lieder aufregender als jeder neue Christen-Popsong.
(Liedausschnitt:) "What if God were one of us?"
Was wenn Gott als einer von uns sich auf dem Kirchentag verirren würde ? Er würde sich beim "Song Talent" kaputt lachen, in den anderen Konzerten einschlafen und beim Trimum-Chor mitsingen, je nachdem wo gerade eine Stimme fehlt, ganz, ganz sicher.