Ein Jazz-Label als Heimat
Alfred Lion und Francis Wolff flohen vor den Nazis in die USA, gründeten das Label "Blue Note" und verhalfen Musikern wie Jimmy Smith und Stanley Turrentine zu großen Karrieren. Regisseur Eric Friedler hat den Musikproduzenten einen Dokumentarfilm gewidmet.
Das Sidney Bechet Quintet mit dem Gershwin-Klassiker "Summertime" – das war 1939 der erste größere Erfolg von "Blue Note" – dem Label, das die beiden deutsch-jüdischen Flüchtlinge Alfred Löw und Frank Wolff kurz zuvor in New York gegründet hatten, und das in der Folge zu einem der renommiertesten und einflussreichsten Jazzlabels überhaupt werden sollte.
Die Geschichte von "Blue Note", die Geschichte von Alfred Lion und Francis Wolff, wie sie sich dann nannten – handelt nicht nur von zwei Jazz-Pionieren; es geht vor allen um zwei Freunde, die ihr Leben lang verbunden waren durch ihre Liebe zur Musik, ihren Glauben an die menschliche und künstlerische Freiheit und auch ihren unnachahmlichen deutschen Akzent, den sich zumindest Alfred Lion ein Leben lang bewahrt hat. "It must schwing! The Blue Note Story" heißt deshalb auch ein neuer Dokumentarfilm, der morgen in die Kinos kommt.
"Guys it´s not schwinging"
Musikkritiker Vincent Neumann hat den Film bereits gesehen, und der Titel "It must schwing!", gehe auf eine kleine Anekdote zurück. So habe Alfred Löw einen fast schon "cartoonhaftigen deutschen Akzent" gehabt, wie er im Deutschlandfunk Kultur sagt:
"Den er sich eigentlich auch sein ganzes Leben lang bewahrt hat, obwohl er viele Jahrzehnte in den USA gelebt hat. Immer dann, wenn eine Aufnahme noch nicht so war, wie er sich das vorgestellt hatte, dann sagte er: ´Guys it´s not schwinging. It must schwing.` Und alle wussten, was gemeint war. Das war schon bezeichnend für das Label und auch diese beiden ausgewöhnlichen deutschen Jazzpioniere."
Die Geschichte an sich ist nicht neu. Bereits in den 1990er-Jahren gab es einen Film über "Blue Note" in den deutschen Kinos. Dennoch hat sich Regisseur Eric Friedler noch einmal dieser Geschichte gewidmet:
"Zum einen könnte es vielleicht die letzte Gelegenheit gewesen sein, viele der direkt beteiligten Künstler aus den 50er- und 60er-Jahren noch mal vor die Kamera zu kriegen: Wayne Shorter, Sonny Rollins, Kenny Burrell – die sind ja alle schon weit über 80; Herbie Hancock ist 78. Und auch der legendäre Toningenieur Rudy van Gelder, der Anfang der 50er-Jahre bei 'Blue Note' einstieg, gab für den Film sein allerletztes Interview, bevor er dann vor gut zwei Jahren starb. Er war auch immerhin schon über 90. Wenn man die Geschichte von Alfred Lion, Francis Wolff und den Anfängen von 'Blue Note' erzählen will, dann sollte man es jetzt tun, sonst gehen einem ganz schnell die Zeitzeugen aus."
Zum anderen habe die Geschichte, die auch von Diskriminierung und dem unermüdlichen Einsatz für die Gleichbehandlung von Künstlern handelt, eine erschreckende Aktualität, sagt Vincent Neumann. Das habe ihm auch der Regisseur Eric Friedler im Interview erklärt:
Zum anderen habe die Geschichte, die auch von Diskriminierung und dem unermüdlichen Einsatz für die Gleichbehandlung von Künstlern handelt, eine erschreckende Aktualität, sagt Vincent Neumann. Das habe ihm auch der Regisseur Eric Friedler im Interview erklärt:
"Zweifelsfrei hat 'Blue Note' eine unglaubliche Bedeutung für die Jazzmusik, aber es hat auch eine politische Relevanz: Denn während afroamerikanische Künstler in den USA unter Diskriminierung und Ausgrenzung litten, sahen die zwei Deutschen Alfred Lion und Francis Wolff in den von ihnen engagierten Musikern einfach bewundernswerte, ungemein talentierte Menschen – egal, ob sie schwarz oder weiß waren. Und sie zollten den Künstlern Respekt und pflegten mit ihnen einen würdevollen, mitmenschlichen Umgang. Also bevor die Bürgerrechtsbewegung in den 50er- und 60er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte mit Martin Luther King in seiner berühmten Rede 'I Have a Dream' in Washington, lebte man bei 'Blue Note' diese Utopie schon sehr, sehr lange."
"Sie kamen als Verfolgte in die USA"
So seien Alfred Lion und Francis Wolff nicht nur Wegbereiter des modernen Jazz, sondern sie agierten auch als Vorboten der US-Bürgerrechtsbewegung – so sieht es Regisseur Eric Friedler, und diesem Aspekt gewähre er in seinem Film auch eine Menge Raum, so Neumann.
So ist der Film die erzählte Geschichte des Labels und seiner Gründer und auch eine Art historische Einordnung, so Vincent Neumann .
"Natürlich lässt sich ihre Arbeit rückblickend in einen ganz anderen Kontext setzen, aber dafür ist es eben auch wichtig ihre Geschichte zu erzählen, den Weg zu beschreiben, der sie dorthin geführt hat. Und dazu gehören natürlich auch die frühen Jahre ihres Lebens, mit denen der Film beginnt – als sie sich in Berlin kennenlernten, die Liebe zur Jazzmusik entdeckten und dann eben – der eine früher, der andere erst nach Ausbruch des Krieges – aus Nazi-Deutschland flüchten mussten, wegen ihrer jüdischen Herkunft. Das ist extrem wichtig, um die Situation von Alfred Lion und Francis Wolff zu verstehen, ihre Beweggründe: Sie kamen als Verfolgte in die USA, und mussten dort erleben, wie der farbige Teil der Bevölkerung massiv diskriminiert wurde.
Insofern ist es dann halt auch nachvollziehbar und nicht ganz so überraschend, dass die beiden allen Musikern eine Chance gaben, egal welche Hautfarbe sie hatten – ob das nun verkannte und lange Zeit unprofitable Genies wie Thelonious Monk waren – oder ein mit vielen privaten und gesundheitlichen Problemen beladener Bebop-Pionier wie Bud Powell. Denn auch um solche Problemfälle kümmerte man sich bei 'Blue Note' hingebungsvoll – ein entscheidender Unterschied zu den meist streng nach Profit arbeitenden anderen Labels."
Insofern ist es dann halt auch nachvollziehbar und nicht ganz so überraschend, dass die beiden allen Musikern eine Chance gaben, egal welche Hautfarbe sie hatten – ob das nun verkannte und lange Zeit unprofitable Genies wie Thelonious Monk waren – oder ein mit vielen privaten und gesundheitlichen Problemen beladener Bebop-Pionier wie Bud Powell. Denn auch um solche Problemfälle kümmerte man sich bei 'Blue Note' hingebungsvoll – ein entscheidender Unterschied zu den meist streng nach Profit arbeitenden anderen Labels."
Andere Labels machten zu der Zeit sicherlich mehr Profit. Der Film versucht aber auch zu ergründen, warum "Blue Note" dennoch eine herausragende Stellung in der Geschichte des Jazz einnimmt, erklärt Neumann.
"Da geht es natürlich um diesen speziellen 'Blue Note'-Sound, um den großartigen Ton-Ingenieur Rudy van Gelder, der über viele Jahre diesen ganz besonderen 'Wie-Live'-Sound perfektioniert hat; auch die markanten Cover-Designs von Reid Miles sind ein Thema. Denn kenn auch jeder, diese 'Blue-Note-Covers'. Aber letztendlich landet man immer wieder bei den beiden Protagonisten, bei den Fotos von Francis Wolff, die auch auf vielen Platten zu sehen sind, und beim genialen Produzenten Alfred Lion, der zwar – so erzählen es fast alle Beteiligten – nicht viel Ahnung von der Musik an sich hatte, aber immer das richtige Gefühl: Wie gesagt, 'It must schwing.' – er wusste immer, wann es noch nicht perfekt war. Und er hatte ein gutes Händchen: 'If he didn’t like it, he didn’t record it.' – 'Wenn er es nicht mochte, nahm er es auch nicht auf'– das ist noch so ein Zitat aus dem Film."
Außerdem habe es noch diese besondere Beziehung der beiden deutschen Musiker zu ihren Künstlern gegeben, wie Regisseur Eric Friedler noch einmal betont:
"Was mich beeindruckt hat, war die tiefe Liebe und Zuneigung aller Beteiligten zu diesen beiden Deutschen. Sie sahen sie und sehen sie immer noch als Freunde – nicht als Executives, nicht als Produzenten, nicht als Mentoren, sondern sie sagen: 'Blue Note' is Home Base, 'Blue Note' ist unsere Heimat. Und ohne Alfred Lion und Francis Wolff hätten wir niemals diese Karriere gemacht."
Das sagt Eric Friedler, Regisseur der neuen Dokumentation 'It Must Schwing! The Blue Note Story' , die am Donnerstag in den Kinos startet.