Musik für die Menschheit
Mit "Beethoven. Der einsame Revolutionär" wagt der flämische Musikwissenschaftler Jan Caeyers eine Gesamtdarstellung des Genies. Dass er keine spektakuläre Neudeutung versucht, ist eine der Qualitäten des umfangreichen Werkes.
Beethoven steht als Denkmal vor uns. Etwas übergroß, auf einem steinernen Sockel, den der klassische Musikbetrieb nimmermüde poliert. Aber: Er wird uns auch immer fremder. So empfindet es etwa der finnische Dirigent Esa-Pekka Salonen: Unser Abstand zu Beethoven werde mit jedem Tag größer. Seine Symphonien, Sonaten, die Streichquartette und die einzige Oper "Fidelio" sind so sehr Kernbestand des Repertoires, dass man sich um das Verschwinden dieses außerordentlichen Werks wohl nicht sorgen muss. Aber was bedeutet seine Musik? Hören wir noch das Unerhörte?
Der flämische Dirigent und Musikwissenschaftler Jan Caeyers hat, auf über 800 Seiten, eine Gesamtdarstellung des Genies gewagt. Auch er weiß, dass die Beschreibung von Leben und Werk immer nur vorläufig sein kann: Jede Zeit malt sich ihren Beethoven neu. Der Untertitel gibt die Perspektive an: "Der einsame Revolutionär", das zielt aufs Gesellschaftliche wie auf die persönliche Tragik des Künstlers, der immerhin - "Alle Menschen werden Brüder!" – die ganze Menschheit mit seiner Musik adressierte.
Caeyers gelingt es dabei, die Widrigkeiten des Beethovenlebens – dauernd prekäre wirtschaftliche Umstände, Krankheiten, Abhängigkeiten, der Kampf um das Sorgerecht für den Neffen Karl, die unendliche (und immer noch nicht aufgelöste) Geschichte um die "unsterbliche Geliebte" – auf dem aktuellen Wissensstand zu referieren, ohne daraus eine Heldengeschichte zu destillieren, aber auch, ohne das Genie im Allzumenschlichen verschwimmen zu lassen. Dass Caeyers keine spektakuläre Neudeutung Beethovens unternimmt – eben das kann man als Qualität begreifen.
Dazu trägt bei, dass sich der Biograf der Auseinandersetzung mit der Musik nicht entzieht, die Werkbeschreibungen aber auch nicht platt aus dem Lebenskontext abzuleiten versucht. Es zahlt sich aus, dass der Autor aus der musikalischen Praxis kommt. Dennoch ist dies kein Buch für Spezialisten (die im Einzelnen wohl bedenklich das Haupt wiegen werden); Caeyers versteht es, über Musik zu schreiben, ohne in den technischen Jargon musikwissenschaftlicher Analyse zu fallen.
So schafft dieses dicke neue Beethoven-Buch das Wichtigste: neugierig zu machen, das Altbekannte wieder zu hören, und noch für das weite Feld der Gelegenheitswerke zu interessieren: Dass selbst Beethoven nicht jeden Tag genial war, darf festgestellt werden, ohne dass das Denkmal vom Sockel fallen muss. Wo seine Musik, tatsächlich: einsam aus dem musikgeschichtlichen Zusammenhang fällt, da braucht sie gar keinen Sockel, und ihr Komponist ist kein Denkmal, sondern Überbringer einer Botschaft, die gerade jeden Tag dringlicher zu werden scheint.
Besprochen von Holger Noltze
Jan Caeyers: Beethoven. Der einsame Revolutionär
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
C.H.Beck Verlag, München 2012
832 Seiten, 29,95 Euro
Der flämische Dirigent und Musikwissenschaftler Jan Caeyers hat, auf über 800 Seiten, eine Gesamtdarstellung des Genies gewagt. Auch er weiß, dass die Beschreibung von Leben und Werk immer nur vorläufig sein kann: Jede Zeit malt sich ihren Beethoven neu. Der Untertitel gibt die Perspektive an: "Der einsame Revolutionär", das zielt aufs Gesellschaftliche wie auf die persönliche Tragik des Künstlers, der immerhin - "Alle Menschen werden Brüder!" – die ganze Menschheit mit seiner Musik adressierte.
Caeyers gelingt es dabei, die Widrigkeiten des Beethovenlebens – dauernd prekäre wirtschaftliche Umstände, Krankheiten, Abhängigkeiten, der Kampf um das Sorgerecht für den Neffen Karl, die unendliche (und immer noch nicht aufgelöste) Geschichte um die "unsterbliche Geliebte" – auf dem aktuellen Wissensstand zu referieren, ohne daraus eine Heldengeschichte zu destillieren, aber auch, ohne das Genie im Allzumenschlichen verschwimmen zu lassen. Dass Caeyers keine spektakuläre Neudeutung Beethovens unternimmt – eben das kann man als Qualität begreifen.
Dazu trägt bei, dass sich der Biograf der Auseinandersetzung mit der Musik nicht entzieht, die Werkbeschreibungen aber auch nicht platt aus dem Lebenskontext abzuleiten versucht. Es zahlt sich aus, dass der Autor aus der musikalischen Praxis kommt. Dennoch ist dies kein Buch für Spezialisten (die im Einzelnen wohl bedenklich das Haupt wiegen werden); Caeyers versteht es, über Musik zu schreiben, ohne in den technischen Jargon musikwissenschaftlicher Analyse zu fallen.
So schafft dieses dicke neue Beethoven-Buch das Wichtigste: neugierig zu machen, das Altbekannte wieder zu hören, und noch für das weite Feld der Gelegenheitswerke zu interessieren: Dass selbst Beethoven nicht jeden Tag genial war, darf festgestellt werden, ohne dass das Denkmal vom Sockel fallen muss. Wo seine Musik, tatsächlich: einsam aus dem musikgeschichtlichen Zusammenhang fällt, da braucht sie gar keinen Sockel, und ihr Komponist ist kein Denkmal, sondern Überbringer einer Botschaft, die gerade jeden Tag dringlicher zu werden scheint.
Besprochen von Holger Noltze
Jan Caeyers: Beethoven. Der einsame Revolutionär
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
C.H.Beck Verlag, München 2012
832 Seiten, 29,95 Euro