Musik mit Bambusrohren und Bourbonflaschen
Der Intendant der Ruhrtriennale Heiner Goebbels hat das jüngste Werk von Harry Partch inszeniert und meint, es ginge dem Komponisten vor allem um das körperliche Musikmachen. Dass Partch in Europa noch so unbekannt sei, liege an seinen selbstgebauten Instrumenten, die in Amerika lagern. Für die Ruhrtriennale wurden sie nachgebaut.
Heiner Goebbels: Harry Partch ist ein amerikanischer Komponist, ein Einzelgänger, der so radikal war, dass er im Grunde nur Musik für die Instrumente geschrieben hat, die er selber gebaut hat, weil er dem europäischen Tonsystem nicht getraut hat. Er fand das eine extreme Einschränkung der Möglichkeiten. Er hat das immer verglichen mit der Tatsache, wie wenn ein Maler nur rot und gelb und grün und blau hätte, und nicht diese ganzen Abstufungen dazwischen. Deswegen hat er die Tonleiter nicht durch zwölf Töne geteilt, sondern durch 43.
Das klingt sehr kompliziert. Das war er wahrscheinlich auch. Er hat auch als Hobo, als Landstreicher und Tagelöhner, teilweise seine Zeit verbracht, war auf den Zügen während der amerikanischen Depression unterwegs, hat aber zugleich eine sehr geerdete Musik gemacht. Also jetzt bei der Arbeit an "Delusion of the Fury" hören wir, das ist für mich eigentlich eine Art frühe Popmusik. Das Wichtigste war ihm, glaube ich, der unakademische Impuls bei allen hohen Ansprüchen, die er an die Musiker hatte. Aber ihm war es wichtig, dass es aus den reglementierten Konzertritualen rauskommt, dass die Körper eine Rolle spielen, dass das körperliche Musikmachen überhaupt die Grundlage seines theatralischen Konzeptes war. Und dadurch, dass die Instrumente meistens Perkussionsinstrumente sind, findet das auch statt: Die Musiker kommen in ein körperliches Musizieren, wie sie das wahrscheinlich am Klavier oder an der Flöte sonst weniger tun würden.
Susanne Burkhardt: Johnny Depp hat ihn als einen der wichtigsten, einflussreichsten Künstler bezeichnet. Wie kommt es, dass Harry Partch hier so gut wie unbekannt ist?
Goebbels: Gut, Fachleute kennen ihn, sowohl in der akademischen Moderne, vielen Komponisten, wenn man denen davon erzählt, ob das Lachemann ist oder wer auch immer, die wissen sofort, worum es geht. Auch viele Popmusiker kennen ihn, Frank Zappa und Tom Waits. Bob Wilson hat mir gerade gestern erzählt, dass er bei der Arbeit mit Tom Waits an "The Black Rider", dass sie immer nur über Harry Partch gesprochen haben. Dass man den in Europa weniger kennt als in Amerika, hat einen ganz einfachen und logistischen Grund: Seine Instrumente lagern in Amerika, sind baufällig und zum Reisen nicht mehr geeignet. "Delusion of the Fury" jetzt bei der Ruhrtrienale ist auch ein Startschuss für die Möglichkeit, seine Werke in Europa in den nächsten zehn, 20 Jahren überhaupt erst mal aufführbar und bekannt zu machen. Denn wir haben zusammen mit dem Ensemble Musikfabrik alle Instrumente nachgebaut.
Burkhardt: Sind haben die Instrumente nachgebaut. Das sind Instrumente, die haben so lustige Titel wie blauer Regelbogen oder Flaschenkürbisbaum. Was für Instrumente sind das, wie sehen die aus?
Goebbels: Die sind sowohl aus sehr unterschiedlichen Materialien teilweise zusammengesucht. Es sind auch Radkappen dabei und die von Harry Partch fleißig leergetrunkenen Bourbonflaschen zum Beispiel. Es sind viele Bambusrohre dabei, es sind Marimbas dabei, die über unsere Vorstellungen groß sind. Das ist ein Instrument, das mich ganz besonders immer wieder frappiert bei jeder Aufführung. Da ist der einzelne Marimbaton so lang und so tief, dass man ihn eigentlich gar nicht hört, sondern nur noch spürt, was auch noch mal sein Interesse an einer körperlichen Wahrnehmung von Musik unterstreicht.
Burkhardt: Wie haben dann die Musiker, die heute Abend diese Musik oder diese Geräuschcollage spielen werden, wie haben die sich die Instrumente angeeignet?
Goebbels: Sie mussten ihre angestammten Instrumente, mit denen sie seit 30, 40 Jahren sozusagen fast verwachsen sind, mal beiseite legen. Die lernen die seit über einem Jahr. Und wir haben auch mit den szenischen Proben schon im Oktober letzten Jahres mal begonnen, mal so zwei, drei Tage. Das ist wirklich eine große Umstellung, das ist eine gigantische Leistung, und aber auch ein großes Vergnügen, glaube ich, für das Ensemble Musikfabrik, plötzlich sich so einem komplett neuen Instrumentarium noch mal zu widmen, eine andere Art des Musikmachens zu erleben, und dabei sich auch noch szenisch sozusagen so zu befreien, wie es das Stück hergibt.
Burkhardt: Sie haben im vergangenen Jahr die Ruhrtrienale eröffnet mit den "Europeras" von John Cage, in diesem Jahr Harry Partch. Fällt es Ihnen – Sie sind ja selber Komponist – fällt es Ihnen schwer, den Komponisten da mal zurückzustellen und als Regisseur mit dieser Musik zu arbeiten?
Goebbels: Nein, überhaupt nicht. Ich habe oft auch bei meinen eigenen Theaterstücken, die ich entwickelt habe, auf Musik von anderen Komponisten zurückgegriffen. Ich kann da gerne mal zurücktreten, das ist entspannt. Es gibt wunderbare Komponisten, von denen man viel lernen kann, auch von Harry Partch.
Ich habe auch mal ein Stück gemacht mit Musik von den Beachboys, von Brian Wilson, und – die übrigens was miteinander zu tun haben, glaube ich. Also ich weiß nicht, ob sie sich kannten, oder ob Brian Wilson Harry Partch viel gehört hat, aber manchmal kommt mir das so vor wie die Zeit, als "Pet Sounds" entstanden ist von den Beachboys oder kurz vor "Sergeant Pepper". Also die experimentellen Seiten der Popmusik in den 60er-Jahren – "I am the Walrus" –, also auch das Abfeiern sozusagen des nichtakademischen Singens, sondern der Amateurstimme, das ist irgendwie ganz klasse bei Harry Partch, und hat eine große Nähe zu dieser Musik.
Burkhardt: Ist es jetzt Zufall, dass es zwei amerikanische Komponisten in Folge sind oder ist es so, dass die Amerikaner einfach die aufregenden Komponisten in dieser Art von Musik zu bieten haben?
Goebbels: Dass es in Folge ist, ist Zufall, aber dass Amerika sozusagen mit seiner Freiheit gegenüber der europäischen Tradition unabhängiger ist, das ist kein Zufall, und dass die aber auch hier im Konzertbetrieb weniger vorkommen, ist auch kein Zufall.
Burkhardt: Sagt Heiner Goebbels hier im Deutschlandradio Kultur. Der Komponist und Theatermacher leitet zum zweiten Mal die Ruhrtrienale. Heute Abend gibt es die Eröffnungspremiere mit Harry Partchs "Delusion of the Fury" in der Jahrhunderthalle in Bochum.
Sie haben für die zweite Ausgabe der Ruhrtrienale erneut große Namen und große Themen eingeladen. Unter anderem trifft Massive Attack auf Adam Curtis, den Dokumentarfilmer, der Choreograf Boris Charmatz ist da, Ann-Theres de Keersmaeker wird zu Gast sein, um nur einige zu nenne. William Forsythe ist gleich mit mehreren Arbeiten vertreten.
Die Performance-Gruppe Rimini Protokoll verwischt einmal mehr die Grenzen zwischen Bühne und Publikum. Sie lädt ein zu einer Tour, in der die Besucher in die Welt des Waffenhandels eingeführt werden. Sie haben diese Tour selbst schon mitgemacht, Herr Goebbels, da tauchen die Teilnehmer in einem Labyrinth von ganz verschiedenen Räumen ein, man läuft mit so einem iPad herum und bekommt Geschichten erzählt, bekommt auch Anweisungen, wo man jetzt hinlaufen soll, und man muss bestimmte Aktionen ausüben. Wie ging es Ihnen, als Sie da durchgelaufen sind?
Goebbels: Sehr ambivalent, weil ich war einerseits fasziniert und bin immer begeistert von dieser Erfindung eines völlig neuen Theaterformats, wo man mit Geschichten konfrontiert wird auf eine Weise, die einen selbst zum Teilnehmer oder zum Agenten dieser Geschichten macht. Das heißt, es ist nicht eine Repräsentation von der Bühne herab, sondern es ist wirklich ein Erleben von Räumen, von Situationen, die einen sehr reinziehen.
Was man dann allerdings hört, sind teilweise sehr erschütternde Erlebnisse von Leuten, deren Biografien von Waffen geschrieben sind: ein Arzt, der Operationen in Afrika in einem Lazarett unter merkwürdigen Bedingungen machen muss oder ein Kindersoldat, oder andere Geschichten, die sich überall auf der Welt permanent zutragen, von denen wir das in dieser Konkretion, glaube ich, noch nie nachvollziehen konnten, und das geht mit Rimini Protokoll.
Burkhardt: Das ist auch ein Projekt, was wirklich darauf aufbaut, dass die Zuschauer wirklich mitspielen, sonst funktioniert es nicht.
Goebbels: Ja, man muss sich das Mitspielen nicht zu offensiv vorstellen - also ich hasse das ja immer, wenn man mitspielen muss –, nein, nein, das ist sehr diskret. Man geht einfach durch Räume, man begegnet auch mal einem anderen Zuschauer und vergleicht ihn mit dem Film, indem man sozusagen die handelnde und erzählende Person sieht, und gleicht sozusagen immer wieder die Realität dieses Rundgangs durch diesen Filmset ab mit der Realität, von der berichtet wird.
Und gelegentlich zieht man sich mal eine Jacke an oder isst mal eine Suppe in einer russischen Kantine eines Waffenwerks. Aber genau diese kleinen, diskreten Möglichkeiten, eben auch Dinge zu tun, sei das nur eine Fahrstuhltür zu öffnen oder ein Bild anzuschauen oder etwas zu sehen, was man nur eben in dieser Intimität eines kleinen Raumes entdecken kann, das macht, glaube ich, die Stärke des Projektes aus.
Burkhardt: Die alten Industriedenkmäler, die sind, heißt es ja immer wieder, die Hauptdarsteller dieser Ruhrtriennale, werden zum Leben erweckt durch Aufführung, durch Kunst. Ohne sie wäre ein solches Festival nicht denkbar. Gibt es für Sie, Heiner Goebbels, einen Raum, der Ihnen besonders lieb ist, den Sie besonders mögen, und wo Sie besonders gern hingehen?
Goebbels: Die Räume haben erstaunlicherweise eine sehr unterschiedliche Ausstrahlung. Das hat einfach damit zu tun, dass sie eine unterschiedliche Funktion haben, und auch ihre Ästhetik folgt dann ausschließlich der Funktion. Und deswegen könnte ich Ihnen zu jedem Raum sagen, was mich an ihm reizt. Meinetwegen in Gladbeck die Ruhe, die dieser Raum jetzt ausstrahlt, nachdem es wahrscheinlich vor 30, 40 Jahren da noch heftig gekracht hat.
In Zollern ist es die Jugendstilarchitektur mit einer ganz eigenen Akustik, in der Mischanlage ist es die Unwirklichkeit dieser Wände, die bisher, bis vor zehn, zwölf Jahren nur Kohle und Koks gesehen haben und noch schwarz davon gezeichnet sind. Ich finde alle diese Räume wahnsinnig stark, wenn man sich auf sie einlässt und wenn man sie nicht nur als Dekor oder Kulisse benutzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Kulturmagazin "Fazit" berichtet direkt von der Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum - in einer Sondersendung zur Ruhrtriennale, am 23. August, ab 23.05 Uhr.
Auftakt zu sechs Wochen Ruhrtriennale
Sondersendung aus Bochum zur Festivaleröffnung
Das klingt sehr kompliziert. Das war er wahrscheinlich auch. Er hat auch als Hobo, als Landstreicher und Tagelöhner, teilweise seine Zeit verbracht, war auf den Zügen während der amerikanischen Depression unterwegs, hat aber zugleich eine sehr geerdete Musik gemacht. Also jetzt bei der Arbeit an "Delusion of the Fury" hören wir, das ist für mich eigentlich eine Art frühe Popmusik. Das Wichtigste war ihm, glaube ich, der unakademische Impuls bei allen hohen Ansprüchen, die er an die Musiker hatte. Aber ihm war es wichtig, dass es aus den reglementierten Konzertritualen rauskommt, dass die Körper eine Rolle spielen, dass das körperliche Musikmachen überhaupt die Grundlage seines theatralischen Konzeptes war. Und dadurch, dass die Instrumente meistens Perkussionsinstrumente sind, findet das auch statt: Die Musiker kommen in ein körperliches Musizieren, wie sie das wahrscheinlich am Klavier oder an der Flöte sonst weniger tun würden.
Susanne Burkhardt: Johnny Depp hat ihn als einen der wichtigsten, einflussreichsten Künstler bezeichnet. Wie kommt es, dass Harry Partch hier so gut wie unbekannt ist?
Goebbels: Gut, Fachleute kennen ihn, sowohl in der akademischen Moderne, vielen Komponisten, wenn man denen davon erzählt, ob das Lachemann ist oder wer auch immer, die wissen sofort, worum es geht. Auch viele Popmusiker kennen ihn, Frank Zappa und Tom Waits. Bob Wilson hat mir gerade gestern erzählt, dass er bei der Arbeit mit Tom Waits an "The Black Rider", dass sie immer nur über Harry Partch gesprochen haben. Dass man den in Europa weniger kennt als in Amerika, hat einen ganz einfachen und logistischen Grund: Seine Instrumente lagern in Amerika, sind baufällig und zum Reisen nicht mehr geeignet. "Delusion of the Fury" jetzt bei der Ruhrtrienale ist auch ein Startschuss für die Möglichkeit, seine Werke in Europa in den nächsten zehn, 20 Jahren überhaupt erst mal aufführbar und bekannt zu machen. Denn wir haben zusammen mit dem Ensemble Musikfabrik alle Instrumente nachgebaut.
Burkhardt: Sind haben die Instrumente nachgebaut. Das sind Instrumente, die haben so lustige Titel wie blauer Regelbogen oder Flaschenkürbisbaum. Was für Instrumente sind das, wie sehen die aus?
Goebbels: Die sind sowohl aus sehr unterschiedlichen Materialien teilweise zusammengesucht. Es sind auch Radkappen dabei und die von Harry Partch fleißig leergetrunkenen Bourbonflaschen zum Beispiel. Es sind viele Bambusrohre dabei, es sind Marimbas dabei, die über unsere Vorstellungen groß sind. Das ist ein Instrument, das mich ganz besonders immer wieder frappiert bei jeder Aufführung. Da ist der einzelne Marimbaton so lang und so tief, dass man ihn eigentlich gar nicht hört, sondern nur noch spürt, was auch noch mal sein Interesse an einer körperlichen Wahrnehmung von Musik unterstreicht.
Burkhardt: Wie haben dann die Musiker, die heute Abend diese Musik oder diese Geräuschcollage spielen werden, wie haben die sich die Instrumente angeeignet?
Goebbels: Sie mussten ihre angestammten Instrumente, mit denen sie seit 30, 40 Jahren sozusagen fast verwachsen sind, mal beiseite legen. Die lernen die seit über einem Jahr. Und wir haben auch mit den szenischen Proben schon im Oktober letzten Jahres mal begonnen, mal so zwei, drei Tage. Das ist wirklich eine große Umstellung, das ist eine gigantische Leistung, und aber auch ein großes Vergnügen, glaube ich, für das Ensemble Musikfabrik, plötzlich sich so einem komplett neuen Instrumentarium noch mal zu widmen, eine andere Art des Musikmachens zu erleben, und dabei sich auch noch szenisch sozusagen so zu befreien, wie es das Stück hergibt.
Burkhardt: Sie haben im vergangenen Jahr die Ruhrtrienale eröffnet mit den "Europeras" von John Cage, in diesem Jahr Harry Partch. Fällt es Ihnen – Sie sind ja selber Komponist – fällt es Ihnen schwer, den Komponisten da mal zurückzustellen und als Regisseur mit dieser Musik zu arbeiten?
Goebbels: Nein, überhaupt nicht. Ich habe oft auch bei meinen eigenen Theaterstücken, die ich entwickelt habe, auf Musik von anderen Komponisten zurückgegriffen. Ich kann da gerne mal zurücktreten, das ist entspannt. Es gibt wunderbare Komponisten, von denen man viel lernen kann, auch von Harry Partch.
Ich habe auch mal ein Stück gemacht mit Musik von den Beachboys, von Brian Wilson, und – die übrigens was miteinander zu tun haben, glaube ich. Also ich weiß nicht, ob sie sich kannten, oder ob Brian Wilson Harry Partch viel gehört hat, aber manchmal kommt mir das so vor wie die Zeit, als "Pet Sounds" entstanden ist von den Beachboys oder kurz vor "Sergeant Pepper". Also die experimentellen Seiten der Popmusik in den 60er-Jahren – "I am the Walrus" –, also auch das Abfeiern sozusagen des nichtakademischen Singens, sondern der Amateurstimme, das ist irgendwie ganz klasse bei Harry Partch, und hat eine große Nähe zu dieser Musik.
Burkhardt: Ist es jetzt Zufall, dass es zwei amerikanische Komponisten in Folge sind oder ist es so, dass die Amerikaner einfach die aufregenden Komponisten in dieser Art von Musik zu bieten haben?
Goebbels: Dass es in Folge ist, ist Zufall, aber dass Amerika sozusagen mit seiner Freiheit gegenüber der europäischen Tradition unabhängiger ist, das ist kein Zufall, und dass die aber auch hier im Konzertbetrieb weniger vorkommen, ist auch kein Zufall.
Burkhardt: Sagt Heiner Goebbels hier im Deutschlandradio Kultur. Der Komponist und Theatermacher leitet zum zweiten Mal die Ruhrtrienale. Heute Abend gibt es die Eröffnungspremiere mit Harry Partchs "Delusion of the Fury" in der Jahrhunderthalle in Bochum.
Sie haben für die zweite Ausgabe der Ruhrtrienale erneut große Namen und große Themen eingeladen. Unter anderem trifft Massive Attack auf Adam Curtis, den Dokumentarfilmer, der Choreograf Boris Charmatz ist da, Ann-Theres de Keersmaeker wird zu Gast sein, um nur einige zu nenne. William Forsythe ist gleich mit mehreren Arbeiten vertreten.
Die Performance-Gruppe Rimini Protokoll verwischt einmal mehr die Grenzen zwischen Bühne und Publikum. Sie lädt ein zu einer Tour, in der die Besucher in die Welt des Waffenhandels eingeführt werden. Sie haben diese Tour selbst schon mitgemacht, Herr Goebbels, da tauchen die Teilnehmer in einem Labyrinth von ganz verschiedenen Räumen ein, man läuft mit so einem iPad herum und bekommt Geschichten erzählt, bekommt auch Anweisungen, wo man jetzt hinlaufen soll, und man muss bestimmte Aktionen ausüben. Wie ging es Ihnen, als Sie da durchgelaufen sind?
Goebbels: Sehr ambivalent, weil ich war einerseits fasziniert und bin immer begeistert von dieser Erfindung eines völlig neuen Theaterformats, wo man mit Geschichten konfrontiert wird auf eine Weise, die einen selbst zum Teilnehmer oder zum Agenten dieser Geschichten macht. Das heißt, es ist nicht eine Repräsentation von der Bühne herab, sondern es ist wirklich ein Erleben von Räumen, von Situationen, die einen sehr reinziehen.
Was man dann allerdings hört, sind teilweise sehr erschütternde Erlebnisse von Leuten, deren Biografien von Waffen geschrieben sind: ein Arzt, der Operationen in Afrika in einem Lazarett unter merkwürdigen Bedingungen machen muss oder ein Kindersoldat, oder andere Geschichten, die sich überall auf der Welt permanent zutragen, von denen wir das in dieser Konkretion, glaube ich, noch nie nachvollziehen konnten, und das geht mit Rimini Protokoll.
Burkhardt: Das ist auch ein Projekt, was wirklich darauf aufbaut, dass die Zuschauer wirklich mitspielen, sonst funktioniert es nicht.
Goebbels: Ja, man muss sich das Mitspielen nicht zu offensiv vorstellen - also ich hasse das ja immer, wenn man mitspielen muss –, nein, nein, das ist sehr diskret. Man geht einfach durch Räume, man begegnet auch mal einem anderen Zuschauer und vergleicht ihn mit dem Film, indem man sozusagen die handelnde und erzählende Person sieht, und gleicht sozusagen immer wieder die Realität dieses Rundgangs durch diesen Filmset ab mit der Realität, von der berichtet wird.
Und gelegentlich zieht man sich mal eine Jacke an oder isst mal eine Suppe in einer russischen Kantine eines Waffenwerks. Aber genau diese kleinen, diskreten Möglichkeiten, eben auch Dinge zu tun, sei das nur eine Fahrstuhltür zu öffnen oder ein Bild anzuschauen oder etwas zu sehen, was man nur eben in dieser Intimität eines kleinen Raumes entdecken kann, das macht, glaube ich, die Stärke des Projektes aus.
Burkhardt: Die alten Industriedenkmäler, die sind, heißt es ja immer wieder, die Hauptdarsteller dieser Ruhrtriennale, werden zum Leben erweckt durch Aufführung, durch Kunst. Ohne sie wäre ein solches Festival nicht denkbar. Gibt es für Sie, Heiner Goebbels, einen Raum, der Ihnen besonders lieb ist, den Sie besonders mögen, und wo Sie besonders gern hingehen?
Goebbels: Die Räume haben erstaunlicherweise eine sehr unterschiedliche Ausstrahlung. Das hat einfach damit zu tun, dass sie eine unterschiedliche Funktion haben, und auch ihre Ästhetik folgt dann ausschließlich der Funktion. Und deswegen könnte ich Ihnen zu jedem Raum sagen, was mich an ihm reizt. Meinetwegen in Gladbeck die Ruhe, die dieser Raum jetzt ausstrahlt, nachdem es wahrscheinlich vor 30, 40 Jahren da noch heftig gekracht hat.
In Zollern ist es die Jugendstilarchitektur mit einer ganz eigenen Akustik, in der Mischanlage ist es die Unwirklichkeit dieser Wände, die bisher, bis vor zehn, zwölf Jahren nur Kohle und Koks gesehen haben und noch schwarz davon gezeichnet sind. Ich finde alle diese Räume wahnsinnig stark, wenn man sich auf sie einlässt und wenn man sie nicht nur als Dekor oder Kulisse benutzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Kulturmagazin "Fazit" berichtet direkt von der Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum - in einer Sondersendung zur Ruhrtriennale, am 23. August, ab 23.05 Uhr.
Auftakt zu sechs Wochen Ruhrtriennale
Sondersendung aus Bochum zur Festivaleröffnung