Musikalische Rituale

Von Gerhard Richter |
Für die Kinder in der Berliner Kindertagesstätte St. Petri – St. Marien ist das gemeinsame Singen festes Element im Tagesablauf. Der Chorverband verleiht der Kita dafür den Felix, das Gütesiegel für kindgerechtes Singen in Kindergärten.
Es ist kurz vor neun Uhr morgens. 25 Kinder wuseln schon durchs Spielzimmer. Alle warten auf den Morgenkreis.

Birgit Kasatis: "Für die Kinder ist das so zum Ritual geworden, also die fangen dann schon an, wenn sie kommen, selbst die Stühle aufzustellen, sodass wir sagen müssen, oh das ist noch ein bisschen früh, Ihr müsst noch warten","

Birgit Kasatis, die Leiterin sieht nach draußen in die Garderobe. Zwei Kinder sind noch gekommen, hängen ihre Mäntel an den Haken, ziehen Hausschuhe an und lassen sich zum Abschied von ihrem Papa drücken. Dann sitzen alle auf kleinen Stühlchen im Kreis.
Birgit Kasatis: ""So, wollen wir anfangen?"

Kinder: "Jaaaa!"

Keine Spur von Routine in der Kita St. Petri - St. Marien. Jeden Morgen dieselbe Begeisterung. Schon seit Birgit Kasatis diese Kita leitet:

"Also vor elf Jahren hab ich hier angefangen und da gab es schon diesen Morgenkreis – nicht ganz so gewaltig wie jetzt. Also ich muss sagen, wir haben alles Erzieherinnen, die unwahrscheinlich gerne singen, vielleicht nicht ganz gut, aber gern auf jeden Fall und jeder hat noch einen Beitrag mitgebracht und so ist der immer größer geworden und immer ein bisschen besser."

Am beliebtesten sind die Lieder, bei denen die Kinder die Geschichte mitspielen können. Zum Beispiel das Lied vom Pflaumenbaum. Die größeren Kinder, also die drei-, vier- und fünfjährigen, stehen auf und tun so als ob.

Elias, Laura, Salome, Karoline, Lilia: "Wir stellen die Leiter an Baum, und wir pflücken, und klettern hoch, und setzen uns darauf, dann brechen die Äste und dann fällt er noch auf den Popo."

Am Schluss vom Lied sitzen fast alle auf dem Hosenboden und quietschen vor Vergnügen. Nur die Kleinen sitzen auf den Stühlen und gucken zu. Manche sind erst ein Jahr alt und nuckeln die ganze Zeit über an einem Schnuller. Man könnte glauben, sie kriegen gar nichts mit. Aber das ist ein Irrtum. Man muss nur genau hinsehen, so wie die Erzieherinnen Birgit Kasatis und Birgit Rauhut.

Birgit Kasatis: "Unsere ganz neuen oder unsere Eingewöhnungskinder, die kennen das ja nun überhaupt nicht, die setzen wir erstmal dazu, und wenn sie auch nicht sitzen wollen, das sind ja meist ganz kleine, einjährige bis zwei Jahre, dann können sie auch aufstehen und weggehen. Das machen sie ein- oder zweimal. Dann kommen sie von ganz alleine und machen ganz automatisch alles mit."

Birgit Rauhut: "Und die meisten Kinder, die klatschen dann auch schon mit, weil klatschen finden alle Kinder toll. Oder auch mal trampeln oder so, beim Bewegungslied."

Birgit Kasatis: "Aber nach einem Jahr, da erzählen uns die Eltern: Meine Tochter oder mein Sohn – der hat das und das gesungen. Und im Morgenkreis haben sie eigentlich nie den Mund aufgemacht, und man sieht: Sie haben's im Kopf. Ist schon immer Wahnsinn! Find ich."

Das Singen in der Kita ist ganz unkompliziert. Birgit Kasatis spielt zwar manchmal die Melodie auf der Flöte vor, aber niemand achtet darauf, ob jemand den Ton trifft oder den Rhythmus hält. Wichtig ist etwas anderes …

Birgit Kasatis: "Also ich finde. Singen ist total wichtig für die Sprachentwicklung. Ich glaube, beim Singen lernen Kinder am meisten."

Die ausländischen Kita-Kinder lernen zum Beispiel ganz locker Deutsch.

"Man wird nicht so beobachtet, man kann das vorbringen, was man kann und lernt automatisch. Es ist nicht dieses stupide auswendig Lernen, sondern nebenbei."

Elias, Laura, Salome, Karoline, Lilia: "One, two, three … eight, nine, ten ... fifteen."

Und wenn Englisch lernen dran ist, dann zählen die Kinder ganz automatisch und wie von selbst – im Chor!

Birgit Rauhut erzählt die Geschichte vom Cowboy, die Kinder klopfen dazu mit Klanghölzern den Takt. Die ersten Instrumente.

"Der Cowboy reitet schnell, der reitet langsam, der reitet im Galopp. Und da muss man auch hören, was macht der jetzt und nicht einfach drauf zuschlagen."

Musik gibt dem Kita-Tag Struktur und Rhythmus. Gesungen wird zum Morgenkreis, der Sport beginnt mit einem Bewegungslied, gewohnte Melodien bringen die Ruhe zum Mittagsschlaf.

Birgit Rauhut: "Also, wenn die Kinder dann alle liegen, auf ihren Matten oder in ihren Bettchen, und die sind dann immer noch recht aufgeregt, vom Ausziehen und Wickeln und da muss man sie erstmal runterbringen. Und da sind so ruhige Lieder ganz gut."

Den Tag musikalisch gestalten, fremde Sprachen integrieren und einfache Instrumente nutzen - dafür bekommt die Kita St. Petri – St. Marien den Felix - das Gütesiegel des Chorverbandes für kindgerechtes Singen.

Birgit Kasatis: "Und jetzt ganz zum Schluss, damit wir alle locker werden, unser Dackel Waldemar?"

Kinder: "Ja!"

Birgit Kasatis: "Na los, alle in die Mitte.

Für uns war das immer ne Normalität zu singen, aber ich hab jetzt auch mitgekriegt, dass es wichtig ist, dass es nach außen dringen muss. Dass wir eben eine gute musikalische Kita sind. Und Eltern richten sich halt wirklich danach, was nach außen dasteht. Und deshalb ist es für uns wichtig, diesen Felix zu bekommen und auch an unsere Tür zu pinnen, wenn's dann soweit ist, wir haben ihn ja noch nicht. Und … ja."

Elias: "Ich sing auf alle Fälle sehr gut."

Andere Kinder: "Ich auch, ich auch, ich auch. Ich mag auch alle Lieder der Welt."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.