Musikalische Schatztruhe

Von Susanne Schrammar |
Die repräsentative Villa Seligmann galt früher als Treffpunkt für Politiker, Unternehmer und Künstler. Nun ist sie - frisch restauriert - die Heimat des Europäischen Zentrums für jüdische Musik. Hier wird die Musik bewahrt, die bis zum Holocaust in den europäischen Synagogen erklang. Zu verdanken ist die Sammlung Andor Izsak.
Die Augen hinter den dicken Brillengläsern bekommen einen feuchten Glanz, als Andor Izsak in seinem Büros im ersten Stock der Villa Seligmann im hannoverschen Stadtteil Eilenriede steht. Durch das innenliegende reich verzierte Glasfenster dringt der warme Klang der historischen Orgel, die einst in einer Berliner Synagoge gestanden und die der 67-Jährige vor zwei Jahrzehnten in Rheinland-Pfalz aufgespürt hat.

Izsak: "Wenn Sie mich fragen, wie eine Synagogenorgel klingt, dann kann ich nur die Antwort geben: unheimlich erotisch. Es ist wirklich so, dass Sie hören diese Orgel und sie kriegen Gänsehaut und sie wissen nicht warum."

Inzwischen aufwändig restauriert ist die Orgel mit den goldenen Pfeifen, die 74 Jahre lang nicht öffentlich bespielt gespielt worden ist, das Prachtstück im neuen Salon des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik.

Izsak: "Ich hoffe, dass ich das nicht träume."

Fast 20 Jahre hat Andor Iszák für den Einzug in die Villa Seligmann gekämpft. Ein Lebenstraum geht für ihn, der 1944 im Budapester Ghetto geboren wurde, in Erfüllung. Politische Widerstände und enorme finanzielle Schwierigkeiten waren zu überwinden, ehe die Siegmund-Seligmann-Stiftung - deren Ehrenvorsitzender Andor Iszák heute ist - das Gebäude vor vier Jahren von der Stadt Hannover kaufen konnte. Mithilfe vieler Sponsoren gelang es, die Millionensumme aufzubringen und das einst so bedeutende Gebäude in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

Izsak: "Es hat lange, lange gedauert. Es war mühsam, alle Steine, die störten, auf die Seite zu schieben. Aber jetzt, wo die Orgel steht, wo meine Bücher, meine Noten von Wissenschaftlern bearbeitet werden, die Öffentlichkeit auf die Musik der Synagoge aufmerksam geworden ist – am Ende würde ich mit Sicherheit sagen, es hat sich gelohnt!"

Die Jugendstilvilla, sie sei das passende Etui für den Inhalt, sagt der Direktor des Europäischen Zentrums für jüdische Musik. Mit seiner einzigartigen Sammlung, die das Fundament des Instituts der hannoverschen Hochschule für Musik, Theater und Medien bildet, hat Iszák der von den Nazis zerstörten Kultur wieder Leben eingehaucht.

Jahrzehntelang hat der ungarisch-jüdische Musikprofessor überall auf der Welt nach verschollenen Tonaufnahmen, Instrumenten und Noten gesucht und viele Raritäten und Einzelstücke zusammengetragen. Dabei stand die liturgische Musik immer im Vordergrund. Als Ausdruck jüdischer Identität.

Izsak: "Für mich ist nicht die jüdische Musik, die ich bearbeiten möchte, die Klezmer-Musik, nicht die jidische Musik, nicht die israelische Musik. Ich bin Jude, weil ich bete und wie bete ich? So, dass ich singe. Musik und Gebet sind untrennbar. Also, dazu, dass ich mich als Jude behaupten kann, muss ich musizieren."

Louis Lewandowski, Salomon Sulzer oder Samuel Naumbourg – Namen jüdischer Komponisten, die seit Jahrzehnten in Vergessenheit geraten waren und deren Werke im Europäischen Zentrum für jüdische Musik mit Konzerten und Neuaufnahmen wieder zum Klingen gebracht werden. Mit einem Konzert des Europäischen Synagogalchors, der von Andor Iszak geleitet wird, ist die Villa Seligmann heute Nachmittag im Beisein des Bundespräsidenten feierlich eröffnet worden.

Ohne die Hilfe von Christian Wulff, der sich schon als niedersächsischer Ministerpräsident für das Projekt stark gemacht habe, sagt Andor Iszak, wäre der Umzug nie gelungen. Die Einweihung, so der Bundespräsident heute in Hannover, sei ein herausragendes Ereignis für die gesamte Kulturnation.

Wulff: "Wir sind in unserer Kulturgeschichte unauslöschlich verbunden mit dem ganz großen Erbe der jüdischen Kultur – in Musik, Literatur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Deshalb geht diese Villa Seligmann unsere ganze Republik an."

Mit dem Umzug in die Villa Seligmann erfährt das Europäische Zentrum für jüdische Musik in Hannover auch eine wissenschaftliche Aufwertung. Vier neue Stellen wurden genehmigt, um die Kostbarkeiten, die Iszak zusammengetragen hat, zu erforschen, restaurieren und zu archivieren. Musikwissenschaftler Heiko Jacobs, der seit Jahren am Institut beschäftigt ist.

Jacobs: "Da haben wir hier jetzt ganz neue Möglichkeiten, mit denen wir hier jetzt eigentlich erst so richtig kraftvoll loslegen können. Dadurch, dass wir oben eine große Bibliothek haben und für die auch Stellen eingerichtet wurden wunderbarerweise, dass wir in Kürze die ganzen Bestände überhaupt erstmal sichten und erarbeiten können und dann veröffentlichen können und dazu parallel der europäische Synagogalchor, der diese Sachen wieder bekannt macht."

Für jüdische Kirchenmusiker aus aller Welt soll es hier künftig Weiterbildungen geben, außerdem werden im Tonstudio Konzerte namhafter Kantoren aufgenommen. Öffentliche Aufführungen, Vorträge und Ausstellungen sollen Besuchern die Qualität der sakralen jüdischen Musik künftig näher bringen. Wenn es nach Andor Iszak geht, wird die Villa Seligmann eine Art Wallfahrtsstätte der Synagogenmusik werden, ein Meilenstein, auf den alle stolz sein könnten.

Izsak: "Ein Ort, wo Christen und Juden ohne Berührungsängste zusammen kommen können, die Musik der Synagoge erleben dürfen und ich finde, einst müsste das schon Art von Bayreuth werden, wo man für Eintrittskarten mindestens zehn Jahre lange warten muss."
Mehr zum Thema