Musikalischer Ideenfluss
"Alles fließt" - unter diesem Motto Heraklits stand in diesem Jahr die "Styriarte 2008" in Graz. Das Thema Wasser zog sich denn auch durch sämtliche Aufführungen, von Mozarts "Idomeneo" in der Interpretation von Nicolaus Harnoncourt, über Händels "Wassermusik" bis zu Telemanns "Hamburger Ebb' und Fluth". Viele der Stücke tauchten so in einem neuen Sinnzusammenhang auf.
Sogenannte Themenfestivals gibt es mittlerweile viele. "Länderschwerpunkte" sind dabei dann besonders beliebt. Und auch umfangreiche Komponistenporträts werden gern als werbewirksames Aushängeschild benutzt.
Die Grazer "Styriarte" jedoch ist anders. Hier geht es nicht darum, dem vielfältigen Konzertangebot irgendeinen Themenmantel überzustülpen, der dann doch an allen Ecken und Enden zwickt und zwackt. Hier wird aus einer thematischen Vorgabe heraus gearbeitet, nach geeigneten Werken und sinnstiftenden Verbindungen gesucht. Denn Intendant Mathis Huber will die Besucher stets auf eine facettenreichen und zuweilen auch tiefgründige musikalische Reise mitnehmen:
"Unsere Themen verlangen keine strenge Ordnung, entscheidend sind vielmehr die Metaerzählungen. Denn es geht doch meistens um Werke von Mozart, Schubert, Beethoven usw. Die gewählten Themen dienen aber dazu, die Werke ins richtige Licht zu tauchen, dem Hörer über Erzählungen sozusagen Einstiegsschneisen in die Strukturen der Musik zu bieten. Wir sind keine thematischen Terroristen. Und die Künstler fühlen sich wohl damit, Stücke in einem neuen Sinnzusammenhang zu sehen. Im Zentrum steht aber nur das, was im Saal zwischen den Künstlern und dem Publikum passiert."
"Alles fließt" - im Leben und diesmal auch bei der Styriarte. Ein vortreffliches Thema, das gut vier Wochen lang wellenförmig riesigweite Kreise zog. Angefangen vom Sturm, der in der Seele Idomeneos wütet, als er seinen Sohn Idamante dem Meeresgott Neptun opfern soll.
Nikolaus Harnoncourt griff noch einmal sehr konsequent den Geniestreich des 24-jährigen Mozart auf, mit feinfühligen Phrasierungen, traumhaften Bläserakkorden und dem mitreißenden Klang der Naturhörner. Besser und prägnanter kann Mozart kaum klingen. Vor allem auch durch Saimir Pirgu als Idomeneo, denn so hochemotional und souverän ist selten ein Sänger mit dieser tenoralen Herausforderung um gegangen:
Doch nicht nur rund um Kreta tobte das Meer durch Neptuns Strafgericht. Tags darauf schon erklang Telemanns "Hamburger Ebb' und Fluth", auch Händels von haushohen Wellen verfolgte Opernhelden traten auf - eine Vielzahl von musikalischen "Seestücken" jedenfalls schuf ein prächtiges Fresko entfesselter Naturgewalten:
Aber auch verschiedenen Flüssen, dem Nil, dem Rhein oder dem Mississippi folgte das Festival. Die letzten Stunden auf der Titanic wurden als musikalische Soirée präsentiert. Desweiteren die Ebru-Malerei, eine Kunst des Malens mit Ölfarben auf Wasser und auch die heilsame Wirkung des Wassers auf Körper und Seele wurde sehr ausgiebig thematisiert. Zumal, wenn sie den Komponisten auch selbst wiederfahren ist.
Johann Sebastian Bach beispielsweise in Karlsbad, Johannes Brahms am Thuner See oder Franz Schubert in Bad Gastein. Ihm vor allem wurden Bäche und Seen zum Sinnbild für Lebensglück und menschliche Schicksale: bei der "Forelle", der "schönen Müllerin" und beim Strömen der musikalischen Zeit in seiner späten Kammermusik.
Viele Künstler, nicht nur Nikolaus Harnoncourt, auch das Chamber Orchestra of Europe oder die Pianisten Pierre Laurent Aimard und Markus Schirmer, schätzen diese programmatische Tiefe, lassen sich herausfordern von Mathis Huber und seinen Gedankenspielen. Jordi Savall etwa, ein Stammgast der Styriarte, der diesmal nicht nur den klanglichen Spuren der sephardischen Juden rund um das Mittelmeer folgte, sondern auch der spanischen Armada bis vor Englands Küste, und dabei wie immer auch klangliche Brücken schlug.
"Die Musik Spaniens kommt mehr aus dem Volkstümlichen."
Doch es ist nicht das Programm allein, das die Styriarte für Künstler wie Publikum so attraktiv macht. Hinzu kommt die fast schon mediterrane Atmosphäre der Stadt Graz mit ihren reizvollen Spielstätten, dem Stephaniensaal oder der äußerst variablen Helmut-List-Halle. Es ist auch die landschaftlich einladende Umgebung, die Steiermark, in die hinaus Mathis Huber alle zu Konzerten oder auch speziellen Landpartien einlädt:
"Die Kirchenlandschaft etwa ist faszinierend. Allen Spielstätten gemein ist eine große Intimität. Über tausend Plätze kommen wir nirgends. Das verlangt viel ökonomische Überlegungen. Seit zwei Jahren gehen wir auch nach draußen mit Ton und Bild. Mit dieser Popularisierung wollen wir die Inhalte und unsere Botschaften auch nach draußen bringen, ohne dass wir die Leute gleich in die Säle holen wollen, denn wir könnten sie gar nicht unterbringen."
Denn, und auch das ist erstaunlich, obwohl die Styriarte nicht auf die ganz große Außenwirkung setzt, sind doch nahezu alle Konzerte ausverkauft, in einer Stadt mit gerade mal 250.000 Einwohnern:
"Wir müssen nicht überregional wahrgenommen werden, wollen in erster Linie die hiesige Kulturszene bedienen. Unsere Projekte einem Publikum zuführen, wo verständige Menschen sitzen, die seit nunmehr zwanzig Jahren regelrecht darauf trainiert sind, sich mit solch komplexen Themen auseinanderzusetzen und daran auch große Freude haben. Die Künstler und ihre Musik sollen verstanden werden, das ist mir wichtiger als alle Internationalität."
Obwohl Mathis Huber schon zugeben muss, dass Harnoncourts Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" Kartenwünsche aus ganz Europa nach sich zog. Und was sich im nächsten Jahr durchaus wiederholen könnte, denn dann wird dem 80-Jährigen nicht nur eine große Ausstellung gewidmet sein. Vielmehr betritt Harnoncourt mit George Gershwins Oper "Porgy and Bess" einmal mehr für ihn neuen musikalischen Boden.
Die Grazer "Styriarte" jedoch ist anders. Hier geht es nicht darum, dem vielfältigen Konzertangebot irgendeinen Themenmantel überzustülpen, der dann doch an allen Ecken und Enden zwickt und zwackt. Hier wird aus einer thematischen Vorgabe heraus gearbeitet, nach geeigneten Werken und sinnstiftenden Verbindungen gesucht. Denn Intendant Mathis Huber will die Besucher stets auf eine facettenreichen und zuweilen auch tiefgründige musikalische Reise mitnehmen:
"Unsere Themen verlangen keine strenge Ordnung, entscheidend sind vielmehr die Metaerzählungen. Denn es geht doch meistens um Werke von Mozart, Schubert, Beethoven usw. Die gewählten Themen dienen aber dazu, die Werke ins richtige Licht zu tauchen, dem Hörer über Erzählungen sozusagen Einstiegsschneisen in die Strukturen der Musik zu bieten. Wir sind keine thematischen Terroristen. Und die Künstler fühlen sich wohl damit, Stücke in einem neuen Sinnzusammenhang zu sehen. Im Zentrum steht aber nur das, was im Saal zwischen den Künstlern und dem Publikum passiert."
"Alles fließt" - im Leben und diesmal auch bei der Styriarte. Ein vortreffliches Thema, das gut vier Wochen lang wellenförmig riesigweite Kreise zog. Angefangen vom Sturm, der in der Seele Idomeneos wütet, als er seinen Sohn Idamante dem Meeresgott Neptun opfern soll.
Nikolaus Harnoncourt griff noch einmal sehr konsequent den Geniestreich des 24-jährigen Mozart auf, mit feinfühligen Phrasierungen, traumhaften Bläserakkorden und dem mitreißenden Klang der Naturhörner. Besser und prägnanter kann Mozart kaum klingen. Vor allem auch durch Saimir Pirgu als Idomeneo, denn so hochemotional und souverän ist selten ein Sänger mit dieser tenoralen Herausforderung um gegangen:
Doch nicht nur rund um Kreta tobte das Meer durch Neptuns Strafgericht. Tags darauf schon erklang Telemanns "Hamburger Ebb' und Fluth", auch Händels von haushohen Wellen verfolgte Opernhelden traten auf - eine Vielzahl von musikalischen "Seestücken" jedenfalls schuf ein prächtiges Fresko entfesselter Naturgewalten:
Aber auch verschiedenen Flüssen, dem Nil, dem Rhein oder dem Mississippi folgte das Festival. Die letzten Stunden auf der Titanic wurden als musikalische Soirée präsentiert. Desweiteren die Ebru-Malerei, eine Kunst des Malens mit Ölfarben auf Wasser und auch die heilsame Wirkung des Wassers auf Körper und Seele wurde sehr ausgiebig thematisiert. Zumal, wenn sie den Komponisten auch selbst wiederfahren ist.
Johann Sebastian Bach beispielsweise in Karlsbad, Johannes Brahms am Thuner See oder Franz Schubert in Bad Gastein. Ihm vor allem wurden Bäche und Seen zum Sinnbild für Lebensglück und menschliche Schicksale: bei der "Forelle", der "schönen Müllerin" und beim Strömen der musikalischen Zeit in seiner späten Kammermusik.
Viele Künstler, nicht nur Nikolaus Harnoncourt, auch das Chamber Orchestra of Europe oder die Pianisten Pierre Laurent Aimard und Markus Schirmer, schätzen diese programmatische Tiefe, lassen sich herausfordern von Mathis Huber und seinen Gedankenspielen. Jordi Savall etwa, ein Stammgast der Styriarte, der diesmal nicht nur den klanglichen Spuren der sephardischen Juden rund um das Mittelmeer folgte, sondern auch der spanischen Armada bis vor Englands Küste, und dabei wie immer auch klangliche Brücken schlug.
"Die Musik Spaniens kommt mehr aus dem Volkstümlichen."
Doch es ist nicht das Programm allein, das die Styriarte für Künstler wie Publikum so attraktiv macht. Hinzu kommt die fast schon mediterrane Atmosphäre der Stadt Graz mit ihren reizvollen Spielstätten, dem Stephaniensaal oder der äußerst variablen Helmut-List-Halle. Es ist auch die landschaftlich einladende Umgebung, die Steiermark, in die hinaus Mathis Huber alle zu Konzerten oder auch speziellen Landpartien einlädt:
"Die Kirchenlandschaft etwa ist faszinierend. Allen Spielstätten gemein ist eine große Intimität. Über tausend Plätze kommen wir nirgends. Das verlangt viel ökonomische Überlegungen. Seit zwei Jahren gehen wir auch nach draußen mit Ton und Bild. Mit dieser Popularisierung wollen wir die Inhalte und unsere Botschaften auch nach draußen bringen, ohne dass wir die Leute gleich in die Säle holen wollen, denn wir könnten sie gar nicht unterbringen."
Denn, und auch das ist erstaunlich, obwohl die Styriarte nicht auf die ganz große Außenwirkung setzt, sind doch nahezu alle Konzerte ausverkauft, in einer Stadt mit gerade mal 250.000 Einwohnern:
"Wir müssen nicht überregional wahrgenommen werden, wollen in erster Linie die hiesige Kulturszene bedienen. Unsere Projekte einem Publikum zuführen, wo verständige Menschen sitzen, die seit nunmehr zwanzig Jahren regelrecht darauf trainiert sind, sich mit solch komplexen Themen auseinanderzusetzen und daran auch große Freude haben. Die Künstler und ihre Musik sollen verstanden werden, das ist mir wichtiger als alle Internationalität."
Obwohl Mathis Huber schon zugeben muss, dass Harnoncourts Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" Kartenwünsche aus ganz Europa nach sich zog. Und was sich im nächsten Jahr durchaus wiederholen könnte, denn dann wird dem 80-Jährigen nicht nur eine große Ausstellung gewidmet sein. Vielmehr betritt Harnoncourt mit George Gershwins Oper "Porgy and Bess" einmal mehr für ihn neuen musikalischen Boden.