Musikalischer Sprung über den großen Teich

Von Jürgen Kalwa |
Deutschlands erfolgreichster Popsänger versucht, mit seinem neuen Album "I Walk" auch in die amerikanischen Charts zu kommen. Und um die Chancen zu erhöhen, macht Herbert Grönemeyer eine kleine Tour durch die USA.
Sie klatschten im Takt und riefen "Zugabe” – auf Deutsch –, als Herbert Grönemeyer und seine Band nach einer Stunde und zwanzig Minuten von der Bühne gingen. Ein ungewöhnliches Feedback für einen Konzertabend in Chicago, aber irgendwie auch erklärlich. Denn die mit einigem Aufwand auf die Beine gestellte, erste Konzertreise nach Amerika, stieß bei der Premiere am Samstagabend auf ein anderes Publikum, als das, auf das man wohl gehofft hatte: vor allem deutsche Grönemeyer-Fans, die in den USA leben, waren gekommen. Und sogar, wie in einem Fall, jemand, der im fernen Mexiko lebt.

Sie alle meldeten sich schon nach dem fünften Lied zu Wort. Grönemeyer möge doch, bitteschön, "Deutsch” singen, riefen sie. Der fing den Wunsch wie der Gastgeber einer Cocktail-Party zunächst geschickt und mit Humor ab, und erklärte, dass das nächste Stück die Coverversion eines amerikanischen Songs sei – die einfühlsame Ballade "Always on My Mind” von Willie Nelson.

Als die Forderung ein paar Minuten später drängender wurde, wehrte er in seiner Ansage zunächst in Englisch ab – "the next song is not existing in German”, dann auf Deutsch: "Das nächste Lied gibt es nicht auf Deutsch.” Nebenbei spielte er schon mal auf dem Klavier die ersten Akkorde. Also: weiter im Programm wie geplant. Mit der leisen, lyrischen Eigenkomposition "Will I Ever Learn”. Einer der neuen Songs – und ein Höhepunkt auf dem englischsprachigen Album "I Walk”.

Das kommt in dieser Woche in den USA auf den Markt. Eine Materialsammlung, in der sich der Poet mit neuen Stücken und mit älteren, die er nachträglich übersetzt hat, in der Sprache seiner Wahlheimat London artikuliert. Die Lieder selbst sind keine besonders nützliche Hilfe auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wieso müht sich jemand aus Deutschland künstlerisch in dieser lingua franca ab? Einer wie er, der doch geholfen hat, das alte Stigma zu überwinden hatte, wonach man als deutscher Rockmusiker Englisch singen müsse?

Das überwiegend deutsche Publikum beim Konzert war übrigens an dieser Frage gar nicht interessiert. Es wollte keinen neuen Grönemeyer, sondern den alten. Den, den sie kennen.

Was im Prinzip schade ist. Und ein Dilemma für jeden Künstler, der sich weiterentwickeln will. Denn gegen die Idee spricht zunächst mal nichts. Wer im Rest der Welt neues Publikum gewinnen will, der kommt nicht daran vorbei, sich auf die Hörgewohnheiten der Konsumenten der globalen Pop-Fabrik einzustellen. Allerdings fehlt Grönemeyers Ambition jenes Risikobewusstsein und jene Konsequenz, die ihn ausgezeichneten, als er in den 80er-Jahren zu Deutschlands erfolgreichstem Popmusiker avancierte. Der Erfolg basiert darauf, dass er sowohl mit seinen Texten als auch seiner Musikalität ein Vakuum füllte. Eine Lücke, die in Amerikas überbordender kreativem Spektrum beim besten Willen nicht vorhanden ist.

Da Grönemeyer auf Interviewanfragen negativ reagiert, ist man auf Mosaiksteine angewiesen. Etwa auf jenen Satz in einer Presseerklärung vorab, wonach er sich selbst auf "eine begrenzte Weise neu erfinden” wolle. Fazit nach dem Durchhören der Studioaufnahmen und dem Konzert in Chicago: Tatsächlich wirkt das Projekt vor allem eher begrenzt und nicht wirklich neu. Typisch etwa die reflexhafte Absicherung, für das Album und die englische Version von "Mensch” einen solchen Ausnahmesänger wie Bono von U2 zu verpflichten. Ein Markenname des internationalen Geschäfts. Ein Türöffner. Aber auch ein Eye-Opener, wie man in den USA sagen würde.

Denn von Bonos interpretativen Fähigkeiten könnte ein Grönemeyer noch viel lernen. Der schwebt spielerisch und leicht über dem Song und steigert so den Reiz an der exzellenten Komposition eines deutschen Musikern, der ja ein Ohr für das Schreiben von attraktiven Melodien hat.

Das Publikum in Chicago war am Ende trotzdem beseelt. Auch weil Grönemeyer im Laufe des Konzerts klug genug war, einfach nachzugeben. Er wechselte in seinen Klassikern einfach strophenweise von der einen in die anderen Sprache. Ein Zugeständnis, das nicht mal wie ein fauler Kompromiss wirkte, sondern wie eine praktikable Lösung. Die Fans erhoben sich in dem nur halb besetzten Theater aus den plüschigen Sesseln und sangen und klatschten mit.

Wohin die Reise von hier aus geht? Wer weiß? Er wolle "irgendwann mal als Künstler gelten, der für sein Land steht und der dafür respektiert wird, was er singt und sagt”, hatte er mal in einem Interview gesagt. "So wie es heute Bruce Springsteen in den USA ist oder Charles Aznavour in Frankreich oder Jacques Brel in Belgien.” Die Zuschauer in Chicago haben ihn ungewollt daran erinnert, was das in seinem Fall wohl heißen könnte. Sing Deutsch und das so oft und so lange wie möglich.