Privater Tonfall
Gipfeltreffen der Orchester: Das Musikfest Berlin bringt im September die bedeutendsten Klangkörper in die Hauptstadt. Heute: Thomas Søndergård und das Mahler Chamber Orchestra mit einem Beitrag zum Dänemark-Schwerpunkt.
Alljährlich werden zum Saisonauftakt in Berlin die orchestralen Kräfte gebündelt: Die Berliner Festspiele und die Berliner Philharmonie richten das Musikfest Berlin aus, das in dieser Form – als Nachfolgerin der Berliner Festwochen – nun zum 11. Mal stattfindet. Hier treffen die Klangkörper der Hauptstadt auf die führenden Orchester der internationalen Szene. Doch geht es nicht in erster Linie um eine sinfonische Leistungsschau, sondern um Konzepte. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals dieser Größenordnung setzt Programmchef Winrich Hopp auf klare dramaturgische Linien, vertritt konsequent das Erbe der Moderne und stellt überraschende Querbezüge her.
In diesem Jahr wird ein nordisches Jubiläum gefeiert: Der 150. Geburtstag des dänischen Komponisten Carl Nielsen prägt Teile des Programms. Die naheliegende Parallele zum Finnen Jean Sibelius, an dessen 150. Geburtstag im Dezember dieses Jahres erinnert wird, verfolgt das Programm jedoch überhaupt nicht. Stattdessen wird Nielsen mit Arnold Schönberg ein etwas jüngerer Zeitgenosse gegenübergestellt – beide Komponisten kannten und schätzten einander. Zugleich verdeutlicht diese Kombination, wie extrem unterschiedlich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, am Ausgang der langen romantischen Epoche, komponiert werden konnte. Eine geradlinige Entwicklung zur Moderne – und damit eine Grundidee der ästhetischen Debatte der Nachkriegszeit – lässt sich umso weniger erkennen, je mehr man die musikalischen Stränge des 20. Jahrhunderts verfolgt. Schönberg wiederum wird im Festivalprogramm eine dritte Persönlichkeit zur Seite gestellt, die seit jeher ein Lieblingskomponist nicht nur des Musikfestes Berlin ist: Gustav Mahler, ein Visionär der musikalischen Moderne. Als Medienpartner dokumentiert Deutschlandradio Kultur das Musikfest Berlin in lockerer Folge mit der Übertragung von acht Sinfoniekonzerten, vier Kammerkonzerten und dem „Quartett der Kritiker".
Das heutige Konzert des Mahler Chamber Orchestra bringt Carl Nielsen und Alban Berg, den Meisterschüler Schönbergs, zusammen. Beide Werke, die an diesem Abend gespielt werden, entstanden Mitte der 1920er Jahre. Nielsen wollte mit seiner sechsten und letzten Sinfonie noch einmal einen neuen, „einfachen" Weg beschreiten, fernab der künstlerischen Hauptrouten seiner Zeit. Deshalb trägt das Werk den ein wenig in die Irre führenden Titel "Sinfonia Semplice", ist es doch eigentlich überhaupt kein einfaches Stück. Auch Alban Berg komponierte transparent, dennoch nicht einfach und wahrte in seinem zutiefst privat codierten Kammerkonzert einen ganz persönlichen Tonfall – Modekomponisten waren sie beide wahrlich nicht.
Musikfest Berlin
Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal
Aufzeichnung vom 9. September 2015
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 6 „Sinfonia semplice", bearbeitet für Kammerorchester von Hans Abrahamsen
ca. 20.40 Uhr Konzertpause, darin:
„Wo geht die Musik hin? Wir wissen es nicht!" Carl Nielsen auf dem Weg zur Sechsten Sinfonie. Von Jan Brachmann
Alban Berg
Kammerkonzert für Klavier und Geige mit dreizehn Bläsern
Isabelle Faust, Violine
Alexander Melnikov, Klavier
Mahler Chamber Orchestra
Leitung: Thomas Søndergård