Unauslöschlich psycho
Gipfeltreffen der Orchester: Das Musikfest Berlin bringt im September die bedeutendsten Klangkörper in die Hauptstadt. Heute Abend live das obligatorische Heimspiel der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle.
Alljährlich werden zum Saisonauftakt in Berlin die orchestralen Kräfte gebündelt: Die Berliner Festspiele und die Berliner Philharmonie richten das Musikfest Berlin aus, das in dieser Form – als Nachfolgerin der Berliner Festwochen – nun zum 11. Mal stattfindet. Hier treffen die Klangkörper der Hauptstadt auf die führenden Orchester der internationalen Szene. Doch geht es nicht in erster Linie um eine sinfonische Leistungsschau, sondern um Konzepte. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals dieser Größenordnung setzt Programmchef Winrich Hopp auf klare dramaturgische Linien, vertritt konsequent das Erbe der Moderne und stellt überraschende Querbezüge her.
In diesem Jahr wird ein nordisches Jubiläum gefeiert: Der 150. Geburtstag des dänischen Komponisten Carl Nielsen prägt Teile des Programms. Die naheliegende Parallele zum Finnen Jean Sibelius, an dessen 150. Geburtstag im Dezember dieses Jahres erinnert wird, verfolgt das Programm jedoch überhaupt nicht. Stattdessen wird Nielsen mit Arnold Schönberg ein etwas jüngerer Zeitgenosse gegenübergestellt – beide Komponisten kannten und schätzten einander. Zugleich verdeutlicht diese Kombination, wie extrem unterschiedlich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, am Ausgang der langen romantischen Epoche, komponiert werden konnte. Eine geradlinige Entwicklung zur Moderne – und damit eine Grundidee der ästhetischen Debatte der Nachkriegszeit – lässt sich umso weniger erkennen, je mehr man die musikalischen Stränge des 20. Jahrhunderts verfolgt. Schönberg wiederum wird im Festivalprogramm eine dritte Persönlichkeit zur Seite gestellt, die seit jeher ein Lieblingskomponist nicht nur des Musikfestes Berlin ist: Gustav Mahler, ein Visionär der musikalischen Moderne. Als Medienpartner dokumentiert Deutschlandradio Kultur das Musikfest Berlin in lockerer Folge mit der Übertragung von acht Sinfoniekonzerten, vier Kammerkonzerten und dem „Quartett der Kritiker".
Das heutige Programm konfrontiert Nielsen und Schönberg direkt – unter dem Aspekt des musikalischen Expressionismus. Schönbergs knapper Einakter „Die glückliche Hand" entstand kurz vor dem Ersten Weltkrieg und bringt die Atmosphäre des Fin de siècle in einer Art musikalischer Traumdeutung noch einmal auf den Punkt. Nielsens Vierte Sinfonie entstammt dagegen einer Zeit der geplatzten Träume – sie wurde 1916 vollendet, wobei Nielsens Grundidee „Musik ist Leben und wie dieses unauslöschlich" dem Werk nicht nur den Titel „Das Unauslöschliche" gab, sondern als Utopie ungeahnte Aktualität erhielt. Gleichsam als letztes „Nachbeben" des musikalischen Expressionismus dirigiert Sir Simon Rattle in diesem Programm einleitend die Filmmusik, die Bernard Herrmann 1960 zu Alfred Hitchcocks klassischem Thriller „Psycho" komponierte. Wie klingen wohl Herrmanns aggressive Geigenglissandi, wenn sie nicht von einem Studio-Orchester, sondern von den Berliner Philharmonikern im Konzert gespielt werden? Wie wirken sie, wenn man dazu Hitchcocks wohl berühmteste Szene – den Mord unter der Dusche – einmal nicht sieht?
Musikfest Berlin
Live aus der Philharmonie Berlin
Bernard Herrmann
„Psycho – A Narrative for String Orchestra" nach der Musik zum Film von Alfred Hitchcock
Arnold Schönberg
„Die glückliche Hand". Drama mit Musik op. 18
ca. 20.50 Uhr Konzertpause, darin:
„Kino im Kopf – Herrmann, Schönberg und die Filmmusik"
von Michael Stegemann
Carl Nielsen
„Pan und Syrinx". Pastorale für Orchester
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche"
Florian Boesch, Bariton
Mitglieder des Rundfunkchors Berlin
Berliner Philharmoniker
Leitung: Sir Simon Rattle
Surround Sound - Dolby Digital 5.1