Melos und Logos
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Zu den Autoren der ersten Jahrgänge der Zeitschrift „Melos“ gehörten Komponisten wie Béla Bartók, Ferruccio Busoni und Arnold Schönberg. Die Zeitschrift lässt sich auch heute mit Gewinn als Chronik des vielgestaltigen Musiklebens der 1920-er Jahre lesen.
Im Jahr 1920 gründete der 28-jährige Dirigent Hermann Scherchen in Berlin die Zeitschrift "Melos", die bis zu ihrer Gleichschaltung 1933 das wichtigste publizistische Organ der Neuen Musik in der Weimarer Republik war. In nationalen und internationalen Beiträgen von Komponisten, Interpreten, Wissenschaftlern, Kritikern und nicht zuletzt Laien setzte "Melos" bis heute gültige Maßstäbe inhaltlicher Differenziertheit und methodischer Offenheit in der Beurteilung der Musikkultur der ersten deutschen Demokratie.
Rückblick auf die Anfänge
Der Titel "Melos" bezeichnet im Altgriechischen zum einen ein gesungenes und instrumental begleitetes Gedicht, zum anderen aber auch abstrakt die Ordnung der Tonhöhen. Indem Scherchen sich auf diese Definition des "Melos" bezog, forderte er eine Rückbesinnung auf die Anfänge der Musik; zum anderen grenzte sich der Titel von der Musik des 19. Jahrhunderts ab, deren Übergewicht der klanglichen Vertikale den Fluss des Melodischen und den Sinn für Musik als einer Zeitkunst zu erdrücken drohte.
Spielplatz der Avantgarde
Und Scherchen ging noch einen Schritt weiter: Er bringt den provozierenden Begriff der sogenannten "A-Tonalität" ins Spiel, die schon vor dem Ersten Weltkrieg die Musikwelt gespalten hatte, als Arnold Schönberg und seine Schüler die traditionelle Dur/Moll-Tonalität radikal infrage stellten.
Musik und Gesellschaft
Scherchens latente Frontstellung gegen das 19. Jahrhundert und seine Betonung der rationalen Grundlagen von Musik mündeten in die dritte Forderung: einer soziologischen Perspektive auf Musik. Die Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Produktion, Reproduktion und Rezeption soll die vorherrschende bildungsbürgerliche Hermeneutik und ihre subjektive Wirkungs- und Gefühlsästhetik ablösen.
Revolution und Evolution
Mit dem Streben nach Objektivierung und Differenzierung des Musikbegriffs kontrastiert auf eigentümliche Weise der glühend-pathetische und expressionistisch überhöhte Ton, der das Geleitwort und fortan viele Beiträge von Melos bis zu seinem offiziellen Ende im Jahr 1934 durchzieht.
Scherchens inhaltliche Radikalität entsprang zwar der tabula rasa-Situation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang der "Welt von gestern", wie sie Stefan Zweig beschrieben hatte. Doch wird auch ein Wunsch nach Ordnung greifbar, nach "innerer Gesetzmäßigkeit", die der Entwertung aller Werte entgegenzuhalten ist: Revolution und Evolution sollten sich die Waage halten.
Das Titelblatt der ersten Nummer des zweiten Jahrgangs von "Melos" signalisiert die doppelte und zugleich paradoxe Botschaft von Revolution und Evolution der Zeitschrift. Gestaltet von dem Maler César Klein, einem Mitglied der Berliner Novembergruppe, scheint das Titelwort als futuristisch aufgeladene Vignette zu explodieren.
Es folgen die Namen der ständigen Mitarbeiter der Zeitschrift, unter ihnen Autoritäten wie Ferruccio Busoni, Arnold Schönberg, Béla Bartók und Ernst von Dohnányi, der Pianist Eduard Erdmann, der Komponist und Dirigent Heinz Tiessen und der Musikpublizist Adolph Weismann.
Diese Zusammensetzung signalisiert Aufbruch und Vielfalt, Innovation und Reflexion, Internationalität und Vernetzung.
Musik - und andere Künste
Bereits im Inhaltsverzeichnis des ersten Jahrgangs tritt mit der Verbindung der Disziplinen ein weiteres bezeichnendes Prinzip von "Melos" hervor. Es betrifft nicht nur die Gesamtheit der musikbezogenen Fächer, sondern auch die anderen Künste. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind miteinbezogen, und selbstverständlich auch die neuen Medien von Rundfunk und Tonfilm.
In "Melos" schreiben Alfred Döblin, Helmuth Plessner, Hans Henny Jahnn, Oskar Schlemmer und der junge Wolfgang Koeppen. Die politische Lagerzugehörigkeit der Autoren spielt keine Rolle, entscheidend ist, ob sie etwas zu sagen haben.
Ein Spiegel der 1920er Jahre
Diese Multi-Perspektivität ist und bleibt das Markenzeichen von "Melos" - auch, nachdem Scherchen bereits 1921 die Herausgeberschaft an Fritz Windisch abgibt, dem 1924 Hans Mersmann folgt. Erst im zunächst letzten Jahrgang 1934, nun unter der Schriftleitung von Heinrich Strobel, wird davon - nach der nationalsozialistischen Gleichschaltung - nichts mehr übrigbleiben. So stellen die zwölf Jahrgänge von "Melos" zwischen 1920 und 1933 ein einzigartiges Dokument des Musiklebens der Weimarer Republik und der Zwanziger Jahre dar.