Warum der Verkauf von Gitarren und Digitalpianos boomt
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Profi-Musiker können wegen Corona kaum auftreten - deswegen stagniert die Nachfrage nach Bühnenequipment. Doch bestimmte Instrumente werden viel häufiger gekauft als vor dem Lockdown - auch, weil viele die Hausmusik neu entdeckt haben.
Eine alte Industrieetage in Berlin-Kreuzberg. Soweit das Auge reicht, stehen dicht an dicht Klaviere. Váleri Kodisch führt mir einen seiner Flügel vor. Seit 1995 kauft und verkauft Kodisch hier gebrauchte Klaviere. Das Geschäft sei schon seit Längerem schlechter geworden, sagt er. Und jetzt, in der Coronakrise?
"Man kann sagen, dass der Umsatz 50 Prozent gefallen ist. Es ist zurückgegangen und man meistert die Situation. Man arbeitet mehr, sucht vielleicht andere Möglichkeiten oder kauft Instrumente, die ich früher nie gekauft hätte."
Keine Proben, kein neues Instrument
So geht es zurzeit vielen Instrumentenhändlern. Schwierig sind Orchesterinstrumente, dabei vor allem die Blasinstrumente – wo nicht geprobt werden kann, werden auch keine neuen Instrumente angeschafft.
Aber es gibt Ausnahmen. Ein Klavierhändler aus Offenburg berichtet in einer Branchenzeitschrift, er bemerke eine deutliche Nachfrage nach hochwertigen Klavieren – die Leute würden sich jetzt einen Traum erfüllen oder als Vermögensanlage in einen Flügel investieren.
Davon kann Váleri Kodisch im einkommensschwachen Kreuzberg nicht profitieren: "Natürlich – betroffen sind Leute, welche weniger Geld haben. Die gut versorgt sind, die kaufen überhaupt die teuersten Instrumente, nicht bei mir, sondern woanders."
Der Onlinehandel profitiert
Ganz anders gestaltet sich die Coronakrise für manch andere Instrumente – und das vor allem im Online-Handel. Dem deutschen Weltmarktführer Thomann geht es gut.
"Über die letzten Monate haben wir sehr gut verkauft: Gitarren. Dann digitale Pianos. Was weniger gut gegangen ist, sind all die Produkte, die man für den Veranstaltungsbereich braucht oder auch für den professionellen Touring-Bereich. Das ist wirklich bis 90 Prozent zurückgegangen", sagt Geschäftsführer Hans Thomann.
Die Gitarre scheint die ganz große Krisengewinnerin zu sein. Vergangene Woche verkündete der Hersteller Fender, der Absatz von Gitarren für weniger als 500 Euro habe sich seit Mitte März dieses Jahres beinahe verdoppelt.
Wenige Straßen vom Klavierhandel, im Nachbarbezirk Neukölln, stehen Kunden vor dem kleinen Laden "Music Service" Schlange. Doch der Schein trügt. In der Tür erklärt mir ein Mitarbeiter, das Geschäft mit Veranstaltungstechnik sei ganz weggebrochen, ansonsten sei auch weniger los als früher:
"Aber wir halten uns, das ist doch momentan das, was zählt. Wir können über den Tellerrand gucken und das ist gut so."
Doch welche Sachen verkaufen sich besonders gut? "Akustische Gitarren. Ohne Strom. Saiten ohne Ende! Man entdeckt wieder ein bisschen die Hausmusik. Im wahrsten Sinne des Wortes Hausmusik, also nicht mit 'ou' geschrieben, sondern mit 'au'."
Revival der E-Gitarre
Aber nicht nur akustische Gitarren gehen gut – auch der oft prophezeite "Tod der E-Gitarre" scheint erst mal vom Tisch. Vor allem junge Menschen nutzen die gewonnene Zeit im Lockdown, um Gitarre zu lernen. Die "Fender Play"-App, in der man Grundunterricht bekommt, machte einen Sprung von 150.000 Usern Ende März zu 930.000 im Juni.
Ich frage in meinem Freundeskreis: Wer hat sich seit März eine Gitarre gekauft? Sebastian, ein alter Bekannter aus dem Ruhrgebiet, meldet sich.
"Dann habe ich diese Gitarre gesehen und dachte mir, die sieht doch lustig aus, die probiere ich mal aus. Und die war total super! Und dann dachte ich mir, ach was solls, ist ja jetzt Corona, da willst du viel Zeit mit deiner Gitarre verbringen können. Ich schlage jetzt zu."
Sebastian arbeitet als Dramaturg am Theater in Mühlheim an der Ruhr. Weil er dort angestellt ist, bringt die Corona-Krise ihn bis jetzt nicht in finanzielle Bedrängnis. Nebenbei spielt er seit zehn Jahren in der Post-Rock-Band "Orange Swan". Wegen Corona sind fast all Konzerte dieses Jahr ausgefallen und die Band konnte ihr neues Album nur online verkaufen.
Viel Zeit zum Üben
Zum Abschluss frage ich Sebastian, ob sein Gitarrenverhalten sich wegen Corona sehr verändert hat.
"Es gibt ein Meme im Internet, ein Comic: 'Gitarristen vor Corona'. Man sieht jemanden in seinem Zimmer, der sitzt einsam in seine Gitarre vertieft und spielt sie. Und das nächste Bild ist genau das gleiche: 'Musiker während Corona'. Ich könnte mehr üben, wie immer!"
Mehr Zeit zu Hause steht uns auch jetzt wieder bevor. Die Trends auf dem Instrumentenmarkt werden sich wohl fortsetzen – vielleicht hören wir dann nächstes Jahr die Platten von vielen jungen Corona-Singer-Songwritern.