Musikkritik im Wandel

"Noch habe ich Ihre Kritik vor mir, bald werde ich sie hinter mir haben", schreibt der Komponist Hugo Wolf in einem berühmten Brief - er sitzt dabei auf der Toilette. Hass- wie Achtungsbeziehungen gibt es zwischen Musikschaffenden wie Kritikern. Unterschiedliche Kritiken sind ein beliebtes Streitthema - auch unter Musikfreunden.
Wie wird man denn überhaupt Musikkritiker? Gibt es feste Voraussetzungen?

Nein. Leidenschaft und Liebe, hoffentlich nicht eigenes Scheitern als Musiker, Sänger, Regisseur. Wünschenswert: Studium, breite Kenntnisse, nochmals Liebe und Leidenschaft, nicht intellektuelle Eitelkeit…

Seit wann gibt es Musikkritik? Gibt es eine "Geschichte der Musikkritik"?

Seit Beginn in der Aufklärung: "Kritik" aller Bereiche und "Zeitungskultur". Ein bürgerliches Publikum will gleichsam objektive Maßstäbe zur Beurteilung der ständig neuen französischen, englischen, italienischen Werke. Also: Eine Kritik hatte festzustellen, ob die Form erfüllt und nach den bislang gültigen Kompositionsgesetzen ausgestaltet war - oder nicht.

Heute ist das angesichts schwindender musikalischer Bildung kaum mehr vorstellbar. Gibt es diesen Wandel erst heute oder gab es ihn schon früher?

Nach Kants Kritik unserer Bewertungsmaßstäbe gibt es den allmählichen Wandel, speziell in der Romantik: Es galt nun der "Geschmack" als Richtschnur, allenfalls verfeinert zur Kunstästhetik. Es begann die Zeit der "subjektiven Kritik": Das "Empfinden" wurde zentrales Kriterium. Subjektive Kritik beginnt - die Persönlichkeit des Kritikers steht zunehmend im Vordergrund: E.T.A. Hoffmann, Berlioz, Schumann, Wagner,… Heute noch ein Vergnügen: George Bernard Shaw.

Daher gibt es wohl auch bis heute so divergierende Kritiken über ein und die selbe Aufführung?

Ja: Subjektives Erleben bis hin zur Abhängigkeit von der eigenen Physis, die Frage der Rückkehr zur 'Ich-Kritik'. Fehlurteile bleiben, es gibt keine 'Göttermeinung'. 'Demut' - gerade gegenüber Uraufführungen: Meine Formel "beim ersten Hören", bei Bühnenaufführung: erste Wirkung. Meist ein Plädoyer für eine zweite Einstudierung durch anderes Team.

Lassen Sie in die Jetzt-Zeit springen: Musikkritik heute…

Schwindende musikalische Bildung: keine musikologischen Raffinessen, kein intellektuelles "Geschwurbel" im Text, im Beitrag - wenn circa zehn Prozent der Leser oder Hörer das Feuilleton hören oder die Kritik lesen, dann für das letzte Prozent und die ersten Neuen: Dienendes Schreiben, Brücken bauen, Einbau von Vergleichen hinein in die populäreren Kulturgenres wie Film und Fernsehen, den Musik-Video-Clip. Dann auch Unterschiede und Überlegenheit herausstellen…

Eine andere große Gefahr ist: Feuilleton und Kritik "kosten" - daher sind Kulturchefs angehalten zu sparen, Reduktion auf "Service", Vorwegberichterstattung, Interviews mit "Stars", Terminlieferung - damit weiterer Verlust von Maßstäben, Orientierung. Doch da im Schulsystem zumindest schon der Fehler erkannt ist, sollten die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Aufgabe wahrnehmen und …

Das musste ja nun wirklich mal gesagt werden. Ich verbinde mit dem Intendanten…