"Glam Rock wurde nie umfassend gewürdigt"
Glam Rock - dazu fallen den meisten David Bowie oder Marc Bolan ein. Doch was diese Epoche der Rock-Geschichte wirklich ausmachte, zeigt nun endlich der Musikkritiker Simon Reynolds. Mit "Shock and Awe" hat er die Chronik und Analyse einer Ära geschrieben.
Andreas Müller: Vor einigen Jahren erschien "Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann" des britischen Autors Simon Reynolds. Es wurde zu einem viel diskutierten Standardwerk. Jetzt widmet sich der renommierte Kritiker einer Epoche der Rock-Geschichte, die schon viele Jahrzehnte zurückliegt: Dem Glam Rock hat Simon Reynolds ein dickes Buch gewidmet: "Shock and Awe. Glam Rock and its Legacies - from the Seventies until the 21st Century".
Wenn 1966 das Jahr war, in dem die Popmusik explodierte, wie der Kritiker John Savage in dem gleichnamigen Buch feststellte, dann war 1970 das Jahr, in dem der Pop richtig bunt und es noch einmal besonders schrill wurde. Mit Marc Bolan und David Bowie erschienen Stars auf der Bühne, wie sie der Mainstream noch nicht erlebt hatte: androgyn oder sehr feminin, flamboyant und nicht von dieser Welt. In ihrer Musik ging es um die Kälte des Weltraums oder um hemmungslosen Hedonismus. "I drive a Rolls-Royce 'cause it's good for my voice", sang Marc Bolan in dem Song "Children of the Revolution".
Simon Reynolds lebt schon eine Weile in Los Angeles. Ich habe mit ihm telefoniert, und habe, wie es sich gehört, gesagt: Hello, Simon Reynolds.
Simon Reynolds: Hello.
Andreas Müller: Warum jetzt ein Buch über Glam Rock?
Reynolds: Ich glaube, der Glam Rock wurde nie umfassend gewürdigt, es wird immer nur von David Bowie und Roxy Music geredet und ich wollte zeigen, dass es da natürlich viel mehr gab. Und es gibt auch eine direkte Verbindung zu aktueller Popmusik. Glam Rock hat ja viel mit Ruhm und Starkult zu tun und darum geht es auch heutzutage sehr stark. Wenn man sich zum Beispiel Musiker ansieht wie Kanye West, Drake oder auch Lady Gaga, bei ihnen geht es sehr stark um Ruhm, Bekanntheit und um die Veränderung von Persönlichkeiten. Und all das wird sehr geprägt durch das Visuelle und durch schillernde Auftritte auf der Bühne.
Müller: Über die Genannten sprechen wir gleich noch. Interessant finde ich, dass es offenbar keine Frauen gibt. War die Zeit noch nicht reif für Frauen in diesem Genre? Oder war das Ganze vielleicht schon zu feminin, androgyn, als dass es interessant für Frauen gewesen wäre?
Der Glam Rock und die Frauen
Reynolds: Das war schon sehr paradox. Einerseits gab es diese Symbolik von Männern, die plötzlich Frauenkleidung trugen, Make-up benutzten und sich feminin gaben, das war schon fast subversiv und herausfordernd für das Patriarchat, andererseits war es Suzi Quatro die einzige Frau, die im Glam Rock ein richtiger Star war. Etwas später vielleicht noch die Runaways in den USA mit Joan Jett.
Ein Glam Star zu werden, hatte etwas Rebellisches. Männer bedienten sich fleißig an den Äußerlichkeiten der Frauen, Frauen hingegen mussten ganz anders an den Glam Rock herangehen. Da ging es eher darum, sich gröber und draufgängerischer zu geben. Die richtigen Glam Stars unter den Frauen gab es im Grunde erst viel später, in den 80er-Jahren mit Annie Lennox, Grace Jones, Kate Bush und Siouxsie von Siouxsie and the Banshees.
Müller: Sie erwähnten die Männer, die sich geschminkt haben, die sich fast wie Frauen anzogen. Da fragt man sich, woher kam diese Musik, die Protagonisten – im Wesentlichen sind es drei, die Sie in Ihrem Buch nennen, Bolan, Bowie und die Band Roxy Music –, woran haben die sich orientiert?
Reynolds: Das Interessante bei Marc Bolan und David Bowie war ja, dass sie in den 60er-Jahren sehr lange darum gekämpft haben, berühmt zu werden und Erfolg zu haben. Sie waren beide Hippies mit langen Haaren und sind jeder Mode hinterhergerannt. Marc Bolan spielte akustische Gitarre, saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Bühne, sang Lieder über Elfen und solche Sachen. Und dann merkte er, dass man das auch in der Popmusik versuchen könne.
Er nahm sich eine E-Gitarre, stellte sich tanzend auf die Bühne und mit einem Mal hatte er auch Hits wie "Hot Love" und wurde ein großes Teenager-Idol. Das wollte er wohl sowieso gerne sein, aber in den späten 60er-Jahren dominierte zunächst der Underground und es war cooler, nicht kommerziell zu sein und zum Beispiel auch keine Singles zu produzieren.
Bowie wollte der Allround-Entertainer sein
Bei David Bowie war es so, dass er eigentlich ja ein All-around-Entertainer sein wollte. Er suchte die Nähe zum Musiktheater und hat so eine Art Comedy-Pop gemacht mit lustigen kleinen Songs. Auch er hatte seine Hippie-Phase mit langen Haaren, schließlich dann einem ersten großen Hit mit "Space Oddity". Aber er wirkte auch danach erst mal noch wie ein orientierungsloses One-Hit-Wunder, bis er dann schließlich seine Ziggy-Stardust-Figur erfand und sich zum ersten Mal so richtig dem Rock 'n' Roll zuwandte. Mit "The Rise and Fall of Ziggy Stardust" wurde er dann zu einem großen Star.
Müller: Sie haben mit "Retromania" vor ein paar Jahren ja ein äußerst bedeutendes Buch geschrieben mit der These, dass die Musik sich eigentlich nur noch wiederholt. Sie leben nun bereits eine Weile in den USA, wo wir seit Monaten – und ich meine da die Präsidentschaftskampagne von Donald Trump – einen Höhepunkt des postfaktischen Zeitalters erleben. Tja, hat Glam sozusagen damals schon, als mit Fakten und Fiktion gespielt wurde, eigentlich gepasst auf das, was wir heute erleben?
Reynolds: Als ich an meinem neuen Buch "Shock and Awe" gearbeitet habe und mich mit dem Aufstieg einiger dieser Musiker beschäftigt habe und natürlich auch mit ihren Einstellungen und wie sie von ihren Managern präsentiert wurden, da hat mich das alles sehr stark an den Aufstieg von Donald Trump erinnert. Er liebt ebenfalls den Ruhm und er hat eine sehr flexible Einstellung zu den Fakten. Er wechselt ja auch ständig seine Meinung und ändert sein Image.
Bodyguards und Limousinen
Da gibt es schon Ähnlichkeiten zu der Fantasiewelt eines Marc Bolan oder eines David Bowie, zumindest auf den Gedanken bezogen, dass man sich ständig neu erfinden kann. Und es gibt noch mehr Parallelen, wenn wir zum Beispiel an die damaligen Manager dieser Musiker denken. Es ging darum, Stars zu produzieren, und zwar indem man sich so verhielt, als seien sie schon welche. Man engagierte Bodyguards, fuhr in Limousinen umher, bis die Leute irgendwann glaubten, dass es sich wirklich um Stars handelte. So war es bei David Bowie zumindest in den USA.
Es gibt durchaus Ähnlichkeiten dazu, wie Donald Trump vorgegangen ist. Mit veränderten Wahrheiten und Identitäten im Showbusiness zu arbeiten, ist ja nicht so schädlich. Aber in der Politik sind stabile Meinungen, Prinzipien und gewisse Verpflichtungen absolut wichtig. Die Techniken aus dem Showbusiness werden gefährlich, wenn sie in die Politik übertragen werden.
Müller: Also, insofern ist ein Buch über Glam Rock auch heute wieder interessant, wie wir hier am Ende gehört haben. "Shock and Awe", das ist der Titel des Buches, "Glam Rock and Its Legacy, from the Seventies to the Twenty-First Century". Simon Reynolds hat es geschrieben und wir haben hier mit ihm telefoniert, er sitzt gerade in Los Angeles. Vielen Dank für das Gespräch, thanks a lot, Simon Reynolds!
Reynolds: Thank you for having me!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.