Gehechelter Tabubruch mit pumpenden Bässen
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Jonathan Meese provoziert als Künstler. DJ Hell ist ein Pionier der elektronischen Musik. Wenn beiden gemeinsam ein Album produzieren, könnte das auch nach hinten losgehen, befürchtet Rezensent Jens Balzer. Doch es gibt eine überraschende Wendung.
DJ Hell und Jonathan Meese bringen gemeinsam das Album "Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst" heraus. DJ Hell und Meese, das ist für die Musikszene eine ungewöhnliche Liaison. Bei dieser Kombination wird man als Musikjournalist erstmal hellhörig, meint Jens Balzer, und das müsse nicht von vornherein positiv sein. "Ich hatte jedenfalls erstmal ein bisschen Angst, ob das nicht so ein verquatschter Künstlerquark wird."
Der Provokateur und der Techno-Pionier
Hinter DJ Hell verbirgt sich Helmut Geier aus München. Er ist als Pionier der deutschen Techno-Szene bekannt geworden und seit mehr als 30 Jahren eine prägende Figur der elektronischen Klubmusik in Deutschland. Auf seinem ersten Album "Geteert & gefedert" von 1994 gab es zum Beispiel ein Cover der Industrial-Pioniere von Throbbing Gristle, erinnert sich Balzer. Das hat sich dann irgendwann zum Techno weiterentwickelt.
"Jonathan Meese hat mit seiner Provokationskunst im Grunde da weitergemacht, wo Throbbing Gristle und andere Industrial-Künstler in den Achtzigern aufgehört hatten", meint Balzer. Meese selbst war bisher nicht als Musiker tätig, sondern als Bildender Künstler.
Wie im alten Industrial geht es bei ihm immer um Grenzüberschreitung, Transgression, um das Spiel mit schweren Zeichen. Mit Referenzen an den Marquis de Sade, an Pasolini, an Horror- und Pornofilme oder an den Nationalsozialismus und Adolf Hitler. Er zeigt bei seinen Performances auch gern mal den Hitlergruß. Er hat also gut und dauerhaft die Rolle des Kunstbösewichts besetzt.
Dunkle Techno-Loops und pumpende Bässe
Auch auf dem Album mit DJ Hell inszeniere Meese sich in dem Titel "Dr. No is back" als Bösewicht aus dem ersten James-Bond-Film, sagt Balzer.
Musikalisch dominieren auf dem Album die dunklen Techno-Loops. Es gibt pumpende und peitschende Bässe, gelegentlich werden mal Hi-Hats dazugeschaltet. Aber viel ornamentaler wird das nicht, so Balzer. Dazu stößt Meese seine Textfragmente "Dr. No" oder "Kunst ist Chef" hervor und dann wird auch viel gehustet, gehechelt, gekichert - gelegentlich auch rückwärts.
Neben Meese und Geier ist mit Daniel Richter noch ein dritter Künstler an diesem Projekt beteiligt, mit dem Meese früher schon mal zusammengearbeitet hat.
"Eine verwirrende Feier von Diktatoren"
Richter ist auch der Chef des Labels Buback Tonträger, auf dem das Album erscheint, zudem hat er das Cover des Albums gestaltet. Da sind die Porträts von Hell und Meese auf zwei schwarze Körpersilhouetten geklebt. Diese Silhouetten gehören Gabi Delgado und Robert Görl von der Band DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft).
"Diese Verbindung ergibt sofort Sinn", sagt Balzer. Auch bei DAF habe die Musik aus minimalistischen Rhythmen und aus den oft fragmentarischen, herausgestoßenen, gehechelten Texten von Gabi Delgado bestanden.
In "Der Mussolini" von DAF heißt es "Tanz den Mussolini / tanz den Adolf Hitler". "Das ist natürlich weltanschaulich eine verwirrende Feier von Diktatoren in einer herrischen Musik", so Balzer. Doch auch Meese preise gern die Diktatur – die Diktatur der Kunst nämlich, der sich alles andere zu unterwerfen habe.
Fortgesetzter Tabubruch
Dieses Kunstverständnis stehe der heutigen Achtsamkeit diametral entgegen. Heute gehe es ja nur noch um Empfindlichkeiten, so Balzer. Da stehe über allem die Frage, was darf man sagen, singen, zeigen und wer darf das tun, und fühlt sich auch bloß niemand verletzt?
Bei Meese wird dagegen noch mal ganz klassisch auf fortgesetzten Tabubruch und provokative Schrillheit gesetzt. "Er ist eben Dr. No, der ultimative Bösewicht", deutet Balzer.
Aber die Ästhetik der Transgression nimmt durch den Auftritt von Meeses 91-jähriger Mutter auf dem Album noch eine überraschende Wendung.
Selbstreflexion und Relativierung
In dem Stück "Power of Love" werde diese schmutzige, maskuline, körper- und grenzüberschreitungsinteressierte Musik durch die Passage der Mutter plötzlich ins Romantische, Zweifelnde geweitet, meint Balzer.
Auch in dem Stück "Erzliebe" spricht Meeses Mutter auf Deutsch: "Liebe ist ein Rohstoff für das Leben" und "um Liebe geht es immer und überall". Sie spricht das ganz bedächtig und zart, und natürlich hört man, dass das die Stimme einer alten Frau ist. Dadurch werde alles ganz sanft, was vorher hart erschien, sagt Balzer.
Der Panzer, den die beiden Männer in ihre Musik gebaut haben, werde plötzlich ganz durchlässig und weich. "Das ist ein bemerkenswerter Moment, auch der Selbstreflexion und Relativierung in einem Album, das ich am Ende doch ziemlich großartig finde", so Balzer.
(nis)