Musikstücke und choreographisches Theater

Von Stefan Keim |
Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart ist die Grundlage für das Musik-Projekt. Zwischen den Musikstücken ist choreographisches Theater zu sehen.
Ein Riesenhaufen Stühle ragt fast bis zur Hallendecke. Einmal fliegt krachend ein weiterer herunter. Der Boden ist mit Sand bedeckt, weitere Stühle stehen planlos herum. Musiker und Sänger irren dazwischen einher. Andreas Bode inszeniert Mozarts "Requiem" in einer apokalyptischen Sphäre, die den Menschen keine Orientierung mehr bietet. Ein Abend über Schuld und Bühne.

Totenmessen liegen im Trend des Gegenwartstheaters. Gerade noch hat Sebastian Baumgarten an der Berliner Volksbühne ebenfalls Mozarts "Requiem" mit Bildern von Krankheit und Tod aufgeladen. Paul Esterhazy ist für seine Variante von Verdis "Requiem" in Kassel beim Deutschen Theaterpreis für die beste Musiktheaterregie nominiert. Und auch auf Kampnagel gab es gerade noch das "Hamburg Requiem", in dem die Elbmetropole untergeht.

Andreas Bode und der musikalische Bearbeiter Tobias Schwencke halten sich streng an die liturgische Abfolge, vom Introitus bis zur Communio, am Ende strahlt das ewige Licht. Schwencke hat Mozarts Komposition für tiefe Streicher, Klarinette und Oboe, E-Gitarre und Hammondorgel arrangiert. Dabei setzt er mit einer Ausnahme - Rockgitarrenriffs vor "Rex tremendea maiestatis" - nicht auf klare Konfrontation der Musikstile. Ihm gelingt eine schöne Durchschmischung, die Orgel liefert die atmosphärische Grundierung, die Gitarre fügt sich in den Gesamtklang ein. Schwenckes Bearbeitung hat kammermusikalische Klarheit, und auch die Aufteilung der Chöre und Soli auf ein vierköpfiges Gesangsensemble funktioniert ausgezeichnet.

Einen Dirigenten gibt es nicht. Auf seinem Platz steht eine Urne. Einmal schwingt sich Gitarrist Johannes Ölinger auf, diszipliniert die zuvor wild herumsauenden Musiker, zwingt sie zur Konzentration. Doch nach der Nummer mutieren die Sänger zur Straßengang, werfen den Möchtegernchef zu Boden, treten auf ihn ein, malen ihm eine triefende Wunde an den Kopf. Sie wollen keinen Anführer, nicht mehr zurück zur alten Ordnung. Der Tradition trauen sie nicht mehr.

Zwischen den Musikstücken inszeniert Andreas Bode choreographisches Theater. Sopranistin Catrin Kirchner und Oboist Simon Strasser spielen eine Eheszene, die in Ohrfeigen endet. Dann beglückt sie den mit offenen Armen wartenden Tenor (Joao Sebastiao). Das wiederholt sich, bis der Sänger erschöpft abwinkt. Nicht nur diese Sequenz erinnert an Tanztheaterklassiker der Achtziger. Vor dem Lacrimosa, zu dem Mozart, der während der Komposition des Requiems verstarb, die letzten Noten seines Lebens notierte, ziehen sich die Sänger aus bis auf die Unterwäsche. Sie prüfen ihre Körper, der Tenor spielt mit seinem Bauch, der Bass (Wieland Lemke) reißt sich mit Klebestreifen die letzten Haare von der Brust. Die Damen schminken und pudern sich, Mezzo Andrea Chudak schnallt sich schließlich riesige Brüste um.

Das alles ist leidlich komisch, spiegelt aber nur ansatzweise Verlorenheit. Es fehlen Bilder, die sich fest brennen, Momente, in denen Lächerlichkeit in Tragik, Ironie in existentielle Trauer umschlägt. Die Damen duellieren sich in einem kleinen Catfight, dann suchen sie gemeinsam mit den Herren die kuschelige Körperwärme. Und wenn sie mal richtig böse sein wollen, zerstören sie die Sitzfläche eines Stuhls. Andreas Bodes Ansätze sind interessant, aber er geht nicht weit genug.

Mit diesem spielwütigen und musikalisch tadellosen Ensemble wäre viel mehr möglich gewesen. "Quia pius es" sind die letzten Worte von Mozarts Requiem, "denn du bist mild." Wer aus einer Totenmesse szenisch etwas machen will, sollte sich diese göttliche Tugend nicht zu Herzen nehmen.