Expressiv und mutig
Tannhäuser als Christus mit Dornenkrone, ein ungemütlicher Sängerkrieg und eine anstrengende Ästhetik: Szenen von solcher Fantasie und Intensität wie an der Dortmunder Oper sieht man selten.
Ein Schmerzensmann kehrt von der Pilgerfahrt zurück. Er trägt ein blutiges, zerrissenes Gewand und eine Dornenkrone auf dem Kopf. Und seine große "Romerzählung" ringt er sich mühsam ab, wie ein zutiefst Traumatisierter, mit den fahrigen Gesten eines wahnsinnigen Shakespeare-Narren, der die Welt nicht begreifen kann. Das ist der erschütternde Höhepunkt der Dortmunder "Tannhäuser"-Inszenierung von Kay Voges und für den Titelhelden Daniel Brenna, der so identifikationsstark, expressiv und mutig Theater spielt, wie man das kaum je bei einem Opernsänger erlebt hat.
Voges’ Debut als Opernregisseur war mit Spannung erwartet worden – seit drei Jahren leitet er das benachbarte Schauspiel in Dortmund und hat es unter den NRW-Theatern sehr weit nach vorn geführt. Die Lokalpresse hatte schon vor der Premiere angekündigt, dass gewaltiger Sprengstoff in dieser Aufführung stecke. Ob damit die Darstellung des Tannhäuser als Christus-Figur gemeint war oder der für Voges-Inszenierungen typische Einsatz von mit den Darstellern gedrehten Filmsequenzen und Videomaterial, mag dahingestellt bleiben.
Der Skandal blieb aus. Die Frommen nahmen keinen Anstoß und das Dortmunder Publikum reagierte auf die für Opernbesucher ja ziemlich ungewohnte und in ihrem geballten Einsatz visueller Mittel auch gelegentlich anstrengende Ästhetik ruhig und neugierig. Erst am Schluss, mitten im riesigen Wagner-Jubel für alle Mitwirkenden, schlugen Voges auch einige Buhs der Opernfreunde entgegen, die er nicht überzeugt hatte.
Die Christus-Analogie, die Tannhäuser den ganzen Abend im weißen Hemd mit Dornenkrone zeigt und ihn mehrmals ein Kreuz (aus Fernsehbildschirmen à la Nam Jun Paik) besteigen lässt, bleibt befremdlich und erschließt keinen sinnvollen Deutungszusammenhang für diese Geschichte. Die vielen zusätzlichen Ebenen des Geschehens, die durch die Projektion ins Spiel kommen, sind manchmal sehr bereichernd für das psychologische Verständnis, manchmal einfach ablenkend und vielleicht auch eine Zuflucht für den völligen Opernneuling Voges.
Er hätte das nicht gebraucht: die ungewöhnliche Kraft und Qualität seiner Inszenierung liegt in dem ganz unopernhaften, geradezu existentiellen Spiel, zu dem er all seine Darsteller ohne Ausnahme führen kann. Szenen von solcher Phantasie und Intensität sieht man selten und sie prägen sich nachhaltig ein: Der Sängerwettstreit zum Beispiel eskaliert wirklich zum "Sängerkrieg" und wird richtig ungemütlich – da werden schon die Ärmel aufgekrempelt für handfestere Argumente.
An dieser Szene zeigt sich auch, wie Regisseur Kay Voges und der neue GMD Gabriel Feltz am Pult der Dortmunder Philharmoniker gemeinsame Sache machen. Feltz befreit die Szene auch musikalisch ganz von der Nummernfolge der einzelnen Wettgesänge, in der sie so oft erstarrt. Er baut die große Auseinandersetzung auch musikalisch auf und entdeckt in Tannhäusers Strophen, wie viel Hohn, Rebellion und blanke Frechheit Wagner hineinkomponiert hat.
Insgesamt zeichnet seine Interpretation sich aus durch eine kammermusikalische Durchhörbarkeit und beinah französische Eleganz und eine perfekte Balance zwischen Bühnen und Graben, die die Sänger trägt, ohne Wagner herunterzustutzen. Der Jubel für ihn und die Protagonisten der Dortmunder Aufführung, unter denen neben Daniel Brennas packender, wenn auch nicht immer perfekt gesungener Interpretation des Tannhäuser vor allem die Elisabeth von Christiane Kohl herausragt, war nicht übertrieben.