Mehr Infos zum Musiktheater im Revier Gelsenkirchen auf der Homepage des Theaters
Visionäre Architektur für das Arbeiterpublikum
Das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen mitten im Ruhrgebiet richtet sich weniger ans Bildungsbürgertum denn an Arbeiter. Auch der Bau soll möglichst durchlässig wirken. Die Architekten-Idee Wände aus Luft, wurde zwar nicht verwirklicht - dafür aber visionäre Konzepte - auch von großen Namen.
Im Musiktheater Gelsenkirchen haben gerade die Proben begonnen zu Benjamin Brittens "Midsummer Night's Dream", der ersten Opernpremiere der neuen Saison. Ein typisches Stück für das 1000-Plätze-Haus mitten im Ruhrgebiet. Denn in seiner Vertonung von Shakespeares "Sommernachtstraum" verband Britten Musiktheater und Schauspiel. In Gelsenkirchen sollten niemals steife Opern für Bildungsbürger gezeigt werden, sondern bodenständiges Musiktheater, das auch von einem Arbeiterpublikum verstanden werden kann.
Dieser Anspruch spiegelt sich schon im Bau. Die Fassade des Musiktheaters im Revier ist eine große Glaswand, 4500 Quadratmeter groß. Wenn es dunkel ist, leuchtet das Haus weit in die Stadt hinein. Architekt Werner Ruhnau wollte möglichst wenig Distanz zwischen den Menschen drinnen und draußen. Er hatte noch eine radikalere Idee. Eigentlich wollte Ruhnau nicht einmal eine Glasfassade, weil sich am Tag das Licht darin spiegelt. Sein Entwurf sah eine Wand aus Luft vor.
"Es gab damals schon 1950 die ersten Lufttüren in den Warenhäusern. Mit dem Effekt, man bekam nicht vom Vordermann eine schlagende Glastür ins Gesicht, sondern man ging durch die Luftwand. Und so dachten wir: Ersetzen wir diese Glaswand durch eine Luftwand. Das war die Idee der Luftarchitektur."
Reliefs aus Schwämmen
Bis vor einem halben Jahr führte Werner Ruhnau selbst regelmäßig Besucher durch das Musiktheater im Revier. Im März ist er verstorben im Alter von 93 Jahren. Manche seiner Ideen – wie die Luftwand – klangen den Zeitgenossen in den 50er-Jahren zu abgedreht. Luftvorhänge, sie sogar Regen abhalten konnten – das lag jenseits der Vorstellungskraft. Andere visionäre Konzepte wurden verwirklicht.
Werner Ruhnau gründete eine Opernbauhütte, bildende Künstler wurden gleich in den Bauprozess einbezogen und nicht – wie es sonst üblich ist - erst später dazu gebeten. Einige Zeit lang wohnte Ruhnau unter anderem zusammen mit Paul Dierkes und Norbert Kricke auf der Baustelle. Während einer Reise nach Paris fiel ihm ein junger, noch völlig unbekannter Künstler auf, Yves Klein. Ruhnau gab bei ihm einige Kunstwerke in Auftrag für das Musiktheater.
"Und ich schlug ihm vor, zusätzlich an den Stirnwänden aus Schwämmen, die er als Malmittel benutzte, als Pinsel, aus Schwämmen Reliefs zu machen, weiße Reliefs."
Bedeutendste Werke von Yves Klein
Aus weiß wurde schnell blau. Denn Yves Klein hatte seine Farbe entdeckt. Er malte monochrome Bilder, in einem leuchtenden Blau. Die riesigen Wandreliefs im Foyer des Musiktheaters im Revier sind seine größten und bedeutendsten Werke. Vor und nach jeder Vorstellung und natürlich in den Pausen sieht man Menschen, die fasziniert die schrundige, lebendig wirkende Oberfläche betrachten. Werner Ruhnau erzählte bei seinen Führungen, wie diese Reliefs hergestellt wurden.
"In den weichen Putz wurden Steinchen rein geworfen, hier erkennt man sie, diese Steinchen, und dann wurde alles blau, ultramarin eingefärbt."
Im Spiel findet der Mensch zu sich selbst. Das war eine der Grundüberzeugungen von Werner Ruhnau. In seinem Gelsenkirchener Musiktheater ist diese Idee zu spüren. Auch wenn die Glasfassade am Tag manchmal nicht durchschaubar ist, weil sich die Sonne darin spiegelt - am Abend wirkt das Haus einladend und offen. Es strahlt Wärme und Helligkeit aus und wirkt damit auch auf Menschen, die keine Lust haben, sich Mozart, Verdi, Britten oder einen Fußball-Liederabend anzuschauen. Es ist ein Theater für die Stadt.