Musikvermittlung

Ferraris im Leipziger Gewandhaus

Das Gewandhaus in Leipzig,
Das Gewandhaus in Leipzig, © dpa / picture alliance / Franz-Peter Tschauner
Von Claus Fischer |
Es ist die Königsklasse der Kammermusik, sozusagen der Ferrari, sagt die Chefdramaturgin des Gewandhauses in Leipzig über das Streichquartett. Um diese Kunst dem Publikum noch besser zu vermitteln, hat das Haus die Reihe "Quartett-Gesellschaft" gestartet: Nach dem Konzert beantworten die Musiker Fragen.
Sonntagabend, 17:30 Uhr im Kassenfoyer des Leipziger Gewandhauses. Der Besucherandrang ist groß, die Karten gehen weg wie das sprichwörtlich geschnitten Brot. Der Titel des bevorstehenden Konzerts, "Quartett-Gesellschaft" hat anscheinend viele neugierig gemacht…
Besucher: "Ich kann mir darunter momentan nichts vorstellen. Aber ich bin auch nicht von hier, ich bin nicht aus Leipzig. Ich kann mir sehr gut was unter 'Kammermusik' und 'Quartett' vorstellen, aber unter Quartett-Gesellschaft kann ich mir nichts vorstellen."
Besucherin: "Na, eine Gesellschaft ist etwas, wo sich vertraute Menschen Treffen, zu einem Thema, zu einem Anlass. Das kann essen sein, das kann Kunst sein, Politik, kann aber auch Musik sein."
Das weltbekannte Hagen-Quartett aus Salzburg hat sich angesagt - mit einem reinen Mozartprogramm. Da passen Hardware und Software zusammen meint dieser junge Mann augenzwinkernd, der glücklich noch eine Karte erstanden hat.
Besucher: "Also ich spiele selbst als Laie ein Streichinstrument und ich finde das Zusammenspiel der vier Musiker besonders interessant."
Besonders spannend für viele Besucher ist, dass das Konzert nicht nur aus einem musikalischen Teil besteht, sondern dass es im zweiten Teil auch die Möglichkeit geben wird, mit einem der Mitglieder des Hagen-Quartetts ins Gespräch zu kommen - in zwangloser, lockerer Atmosphäre, wie es im Programmheft heißt. Konzertformate in dieser oder ähnlicher Art gibt es deutschlandweit einige, allerdings noch kaum auf dem Gebiet der Kammermusik, betont die Chefdramaturgin des Leipziger Gewandhauses Sonja Epping. Für sie war vor allem eine Frage ausschlaggebend:
"Wie bekommen wir eigentlich dieses sehr renommierte Produkt 'Streichquartett' wieder ins Bewusstsein, wieder quasi ans Publikum. Naja, der sogenannte Mehrwert spielt da eine Rolle und der Mehrwert ist eben das Gespräch über das Quartett. Es geht so ein bisschen darum, die Brücken einzureißen, den Abstand zwischen Publikum und Künstler etwas zu überbrücken."
Die Disziplin ist enorm
Schon in der Saison 1809/1810 gab es am Leipziger Gewandhaus, dem übrigens ältesten bürgerlichen Konzerthaus in Deutschland, eine Reihe von zwölf Quartett-Abenden. Sie wurden allerdings nicht von Gastformationen, sondern vom hauseigenen Gewandhaus-Quartett bestritten. Damit hatte die Gattung "Streichquartett" den Sprung von der halbprivaten Salonunterhaltung in den öffentlichen Konzertraum geschafft und sich als regelmäßig wiederkehrende Veranstaltung im Spielplan etabliert. Laut der "Allgemeinen Mucikalischen Zeitung" Leipzig wurde so – Zitat - "zur Freude aller gebildeten Freunde der Tonkunst" endlich eine größere Zahl von Liebhabern der Kammermusik erreicht. Die Abende wurden als "Quartettgesellschaften" bezeichnet. Dieser Begriff, so Gewandhaus-Chefdramaturgin Sonja Epping, war und ist vielschichtig.
"Meint das jetzt die Quartette und die Leute, die Quartett spielen. Oder meint das die Leute, die sich für Quartettspiel interessieren und auch das Publikum sind. Früher war es eben so – das Quartett stammt aus dem Salon – da war es natürlich immer beides, Ausführende und Publikum immer gemeinsam. Und das hat das Gewandhaus-Quartett in den Saal, in den normalen Konzertbetrieb übertragen. Und genau das wollen wir wiederbeleben, dass sich eine Gesellschaft um das Quartett bildet, die sagt: Das interessiert mich. Hier erfahr ich etwas mehr, hier kann ich mich mit Kennern unterhalten, hier kann ich Kennern zusehen, zuhören - auch wie sie am Ende über das, was sie getan haben, sprechen."
Die Initialzündung war eigentlich, eine Reihe zu schaffen, in der wir Gastensembles integrieren können - zusammen mit dem, was die Leipziger schätzen und lieben: nämlich ihre eigenen Ensemble, das Gewandhaus-Quartett, das Leipziger Streichquartett, die aus dem Orchester hervorgegangen sind beziehungsweise noch Orchestermitglieder sind. Und das zu mischen mit einer, sagen wir mal "gesunden Konkurrenz" von außen, die sonst hier im Betrieb immer etwas untergeht."
Das Hagen-Quartett aus Salzburg fasziniert das Publikum, das kann man während des Leipziger Auftritts gut beobachten. Die Disziplin der rund 500 Besucher, etwa in Sachen Zurückhaltung beim Husten, ist enorm. Das liegt, so Sonja Epping, ganz sicher auch an der besonderen "Magie des Genres".
"Feste, wirklich über Jahre zusammenspielende Ensembles gibt es fast nur im Streichquartett. Und deswegen findet man da auch eigentlich die am aller-allerbesten gearbeiteten Interpretationen, die auch extremsten Dinge. Ja, es ist die Königsklasse – und nur hier fahren die Ferraris!"
"So hat man Mozart bislang noch nicht gehört", dieser Satz fällt nach dem Konzert immer wieder. Das Hagen-Quartett spielte keineswegs glatt und perfekt, sondern bewusst mit Ecken und Kanten. Auch die Gewandhausdramaturgin ist von der Interpretation angenehm überrascht.
Epping: "Ich hätte tatsächlich auch – ohne das negativ zu meinen – einen 'leichteren Mozart' erwartet, aber er war wirklich sehr, sehr, naja, fast gegen den Strich gebürstet hier - und da mit ganz interessanten Phrasierungen, mit spannenden Ansätzen, ein wunderbarer Abend!"
Die Besucher sind hochzufrieden
Der aber, wie gesagt, noch lange nicht zu Ende ist. Denn nun steht Rainer Schmidt, der zweite Geiger des Hagen-Quartetts zum Gespräch zur Verfügung. Die Atmosphäre so stellt der junge Konzertbesucher fest, ist dabei tatsächlich ungezwungen:
"Man kann einfach die Fragen stellen, die man möchte. Oder auch wenn man nicht möchte, dann muss man auch nicht, also da wird keiner irgendwie genötigt. Und es ist aber trotzdem interessant, Hintergrundinformationen zu erfahren."
Es verwundert nicht, dass das Hagen-Quartett zunächst mit Lob aus dem Publikum überschüttet wird, mit Lob für die neue anderen Mozart-Klang.
"Es war nicht unsere Absicht, dass es anders klingt",
meint Rainer Schmidt nachdenklich.
"Wir hatten auch überhaupt nicht die Absicht, irgendetwas zu verändern, sondern das ergab sich ganz logischerweise aus einer ein bisschen einer anderen Richtung, die man einnehmen kann."
Diese "andere Richtung" speist sich aus den Theorien von Nikolaus Harnoncourt. Der Dirigent und wenn man so will "Vater der Alte-Musik-Bewegung" hat schon in den 1960er-Jahren festgestellt, dass die Musik früherer Jahrhunderte und damit auch die Musik von Mozart "Klangrede" ist. Für die Interpreten, so Rainer Schmidt heißt das:
"Zu wissen, dass man damals tatsächlich ja Musik wie eine Sprache gedacht hat, und bereit war, musikalische Sätze, also vier- oder achttaktige Phrasen wie deutsche Sätze aufzubauen."
Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, die Musik unter dem Aspekt des Atmens zu begreifen, so werden die rhetorischen Pausen zum Beispiel ebenso wichtig wie die klingenden Noten. Rainer Schmidt und seine drei Mistreiter im Hagen-Quartett haben diese "rhetorische Herangehensweise", so betont er, als großen Gewinn begriffen, für sich und für die Musik Mozarts. Die Besucher sind am Ende hochzufrieden. Diese Dame wird in jedem Fall wiederkommen. Denkt sie, dass das Leipziger Gewandhaus mit dem neuen Konzertformat "Quartett-Gesellschaft" in Zukunft auch mehr jüngeres Publikum für die Kammermusik begeistern wird?
Besucherin: "Das kann so sein, aber noch ist das zu wenig bekannt. Es ist mehr für die sogar ganz Wissenden, hierherzukommen zu einer Quartettgesellschaft."
Mehr zum Thema