Debatte um "Raum der Stille"
Der "Raum der Stille" an der Universität Hamburg ist vor neun Jahren entstanden. Muslimische Studierende hatten bis dahin im Treppenhaus gebetet und damit gegen die Brandschutzordnung verstoßen. Jetzt sorgt ein Vorhang in dem Raum für Diskussionen.
Golnar Sepehrnia ist genervt. Die Studentin gehört zum AStA der Uni Hamburg. Auf einem durchgesessenen Sofa im Büro der Studierendenvertretung erklärt sie, dass einige Muslime im überkonfessionellen "Raum der Stille" auf dem Uni-Gelände auf eigene Faust einen Vorhang installiert haben:
"Bisher ist die Haltung des AStAs dazu, dass das nicht gerechtfertigt ist, insofern, dass der Raum der Stille für alle Gruppen da ist, auch für Einzelpersonen nutzbar sein muss. Und dass da für alle gleiche Regelungen gelten müssen und wir eigentlich nicht befürworten, dass es so eine Geschlechtertrennung aus religiösen Gründen an der Universität gibt."
Und Golnar Sepehrnia verweist auf weitere Probleme:
"Es gibt an der Universität offenbar Leute, die aus dem Umfeld der AKP kommen, die aus dem Umfeld der türkischen extrem rechten Organisation Milli Görüs kommen, die hier zum Teil auftreten. Bei Veranstaltungen, die universitätsöffentlich sind. Wo ich sagen würde, dass unter dem Deckmantel von Religion eine außerordentlich reaktionäre, nationalistische und auch nicht grundrechtekonforme Politik gemacht wird."
Universität setzt Kommission ein
Auch die Universitätsleitung hat reagiert. Denn der Vorhang im "Raum der Stille" stehe sinnbildlich für eine Entwicklung auf dem Campus, in der religiöse Forderungen und Praktiken immer mehr Raum einnehmen, erklärt Uni-Präsident Dieter Lenzen:
"Das beginnt beim öffentlichen Beten. Das impliziert die Frage und den Wunsch, ob man den Stundenplan der Universität nach Gebeten ausrichten kann, soll oder muss. Das impliziert die Frage, ob Curricula revidiert werden müssen – entsprechend religiöser Vorschriften. Das impliziert die Frage der Mahlzeiten, die in der Mensa angeboten werden. Mit anderen Worten: die Expansion des Religiösen insgesamt in unsere Gesellschaft wirft eine Reihe von Fragen auf. Und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirft das Verhaltensprobleme auf."
Etwa dann, wenn muslimische Studierende im Lesesaal der Universitätsbibliothek ihr Gebet verrichten wollen und dann ihre Kommilitonen stören. In solchen Fällen soll dem Uni-Personal in Zukunft ein so genannter "Code of Conduct", ein Verhaltenskodex, an die Hand gegeben werden, der regeln soll, wie und wo die Studierende ihren Glauben auf dem Campus leben können und wie und wo nicht. Anders als an anderen Universitäten, an denen das Präsidium solche Verhaltensregeln aufgestellt hat, geht die Hamburger Uni-Leitung einen anderen Weg und hat dafür eine Kommission eingesetzt, in der Experten aus der philosophischen, der rechts- und religionswissenschaftlichen Fakultät zusammenarbeiten:
"Wir sind bewusst den Weg gegangen, nicht aus dem Bauch oder aus dem Alltag heraus eine Entscheidung zu treffen. Das möchte ich nicht. Sondern ich möchte bewusst die Expertise berücksichtigen, die es in der Universität und darüber hinaus gibt. Sodass man ein begründetes Urteil fällen kann über das, was geschehen darf und was nicht geschehen darf."
Sorgen um Schließung des Raumes
Der Raum der Stille ist in einem schmucklosen Bau auf dem Uni-Campus untergebracht. Zweihundert Meter vom AStA-Büro entfernt. Im Flur steht ein einziges Paar Schuhe in einem schmalen Regal. Der Vorhang, über den sich Golnar Sepehrnia so ärgert, reicht von der Decke bis auf den Boden, er trennt die hintere linke Ecke vom Rest des Raums ab. Dahinter betet eine junge Muslima. – Erst gegen 14 Uhr wird es hier voller. Vor dem Eingang in dem schmutziggrauen Uni-Bau erzählt Nada Knani, Politik-Studentin im zweiten Semester, von ihrer Sorge, dass der Raum geschlossen werden könnte:
"Ich finde das ehrlich gesagt diskriminierend, weil der Raum der Stille für mich persönlich der wichtigste Raum der ganzen Universität ist. Als wir auf die Uni gekommen sind, haben wir uns gefreut, dass wir endlich einen Raum haben, um unser Gebet zu vollziehen. In der Schule waren wir es halt gewohnt, dass wir in schmutzige Keller gehen mussten und uns verstecken mussten. Und dann haben wir uns gefreut, als wir dann auf die Uni gekommen sind, dass wir extra eine Räumlichkeit dafür haben. Und es ist immer alles gut gelaufen bisher. Es gab nie Streitigkeiten. Und ich empfinde das als starke Eingrenzung, wenn wirklich jetzt darüber diskutiert werden würde, den Raum zu schließen."
Neben ihr nickt ihre Freundin. Eine atheistische Deutsch-Türkin:
"Ich war auch schon oft da drin. Und es gibt auch viele, die buddhistisch sind oder einem anderen Glauben angehören. Und die können sich dann einfach vor den Schleier setzen. Das machen ganz viele, dass sie sich quasi vor den Vorhang setzen und dann mit den Jungs da sind und das stört auch keinen. Und deshalb finde ich das auch nicht notwendig, dass man das überprüfen lässt, weil es bisher, können wir aus eigener Erfahrung sagen, nie Probleme gab."
Überprüft werden die Vorwürfe zwar. Dass aber der Raum der Stille tatsächlich geschlossen wird, damit rechnet niemand, weder der AStA, noch Uni-Präsident Dieter Lenzen. Seit neun Jahren gibt es diesen Rückzugsort, der unter anderem deshalb entstand, weil die muslimischen Studierenden bis dahin im Treppenhaus der Wirtschaftswissenschaften gebetet hatten und damit gegen die Brandschutzordnung in dem Betonbau verstießen.
Von einem Einfluss radikalislamischer Gruppen an der Uni haben die beiden Muslima und ihre Glaubensbrüder nichts mitbekommen.
"Solche Tendenzen habe ich nicht mitbekommen, nein. Ausdrücklich nicht! Das kann natürlich sein, dass es solche Sachen gibt, aber ich habe so etwas nicht mitbekommen."
Gespräche mit der Islamischen Hochschulgruppe
Und wenn es nach ihm ginge, erzählt der Jura-Student Ilia Maliki, könnte auch der Vorhang im Raum der Stille wieder abgehängt werden. Widerspruch kommt von seiner Kommilitonin Nada Knani:
"Man denkt ja immer, dass Männer so etwas einrichten. Aber vor allem ist es von uns Frauen ausgegangen. Zum Beispiel ich – ich trage kein Kopftuch – und ich habe dann meine Klamotten und die ziehe ich dann an, muss mich dann umziehen. Und dann ist es natürlich für mich besser, wenn ich quasi einen Vorhang davor habe. Das hat einen ganz pragmatischen Grund, so eine Gardine. Deswegen ist diese Gardine schon ein Komfort für uns und nicht etwa eine Geschlechtertrennung, sondern einfach ein bisschen mehr Privatsphäre für uns Mädels."
Mittlerweile gibt es erste Gespräche zwischen der Islamischen Hochschulgruppe (IHG) und der Uni-Leitung über das Thema "Religion auf dem Campus". Mit dabei war auch Bilal Gülbas von IHG.
"Ich kann die Sorgen nachvollziehen und verstehen, da wir auch die Universität als säkularen Raum betrachten. Wo aber dennoch natürlich der Studierende in seiner Ganzheitlichkeit auch betrachtet werden muss. Und deshalb haben wir ja gerade auch bestimmte rituelle Orte auf dem Campus geschaffen wie den Raum der Stille."
Er verteidigt die Forderung der Islamischen Hochschulgruppe, in der Mensa auch Fleischgerichte anzubieten, die "halal", also erlaubt für Muslime sind. Die Kritik des AStA findet Bilal Gülbas dagegen überzogen. Dass er selbst Mitglied bei der Milli Görüs-Vereinigung ist, hätte aber nichts mit ultranationalistischen oder reaktionären Einstellungen zu tun. Und anders als in anderen Bundesländern werde Milli Görüs in Hamburg auch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Wie der Streit um den Einfluss der Religion auf die weltliche, der Aufklärung verpflichteten Universität ausgehen wird, ist noch nicht klar. Mitte Juli soll es erste Vorschläge der zuständigen Kommission dazu geben.