Druck von allen Seiten
Nach den Anschlägen von Paris werden muslimische Gemeinden verstärkt mit Fragen nach Dschihadisten in den eigenen Reihen konfrontiert. Zugleich sind Muslime einer zunehmenden Islamophobie ausgesetzt - der Druck auf die Gläubigen wächst.
"Also ich finde das auf jeden Fall unverzeihlich, was da passiert ist, wenn man das schon mal so sagen kann. Es gibt keine Abers, dann sollten sie nicht dies tun, nein, es gibt keine Legitimation für Mord… Punkt."
"Sagen wir jetzt, was in Paris passiert ist… und dann wird immer von Islamisten gesprochen, das wird dann einfach hinzugezogen und dann werden alle Moslems über einen Kamm geschert."
"Ich glaube, das ging denen gar nicht um diese Karikatur, sondern mehr um dieses Machtspiel, dass sie zeigen wollten, wenn ihr so was macht, dann können wir euch dafür umbringen. Also das hat gar nichts mit der Religion zu tun. (…) Das, was die dort gemacht haben, ist für mich wirklich Terrorismus."
"Ich kann jetzt das konkrete Beispiel nennen: Man hat meine Schwester bezichtigt, ein Massenmörder zu sein, nach diesem Charlie Hebdo-Fall, weil sie ein Kopftuch trägt. Das hat man ihr so in der Straße direkt so verbal gesagt. Das muss nicht sein."
Das sind Stimmen von jungen Muslimen im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg unweit vom Moritzplatz. Einige Straßen weiter, nur einen Katzensprung vom Kottbusser Damm entfernt, befindet sich die Islamische Föderation. Hier sitzt der Politikwissenschaftler Burhan Kesici an einem langen Konferenztisch. Kesici ist gebürtiger Spandauer, deutscher Staatsbürger, und seine Herkunft ist türkisch. Er gibt muslimischen Religionsunterricht und ist Sprecher der als konservativ geltenden Islamischen Föderation. Eigentlich hätte er lieber darüber gesprochen, dass die Muslime in Deutschland gut integriert sind. Dass sie mit ihrem Leben hier zufrieden sind. Doch das lässt der jüngste Anschlag auf die Pariser Satire-Zeitschrift nicht zu:
"Seit dem Anschlag in Paris hat sich für uns relativ viel verändert, und zwar ist es so, dass eine neue Dimension von Gewalt ins Spiel gekommen ist. Dass zwei Personen kaltblütig dreizehn, vierzehn Leute umbringen. Und zwar ist es so, dass wir, glaube ich, nach dem 11. September langsam auch angefangen hatten, mehr Vertrauen zu bekommen, dass wir wieder Vertrauen aufgebaut haben, dass Kooperationen da waren. Und die Attentate von Paris haben sozusagen noch eine Delle eingebracht."
Die Mehrheitsgesellschaft fühlt sich bedroht
Nev-Niyaz, Ahmet Calisier, Bas Taksim, getragene Flötenmusik. Der 11. September 2001, die Terroranschläge in London, Selbstmordanschläge im Irak, in Afghanistan. Die täglichen Gräueltaten des so genannten Islamischen Staats, von der islamistischen Gruppierung Boko Haram in Nigeria. Und jetzt auch noch das Attentat auf die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo". Die Mehrheitsgesellschaft fühlt sich durch die Minderheit der Muslime bedroht.
In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime, das sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Der Verfassungsschutz rechnet rund sechs tausend Personen zu den ultrakonservativen Salafisten. Innerhalb dieses Personenkreises, so schätzt das Bundeskriminalamt, sind etwa tausend Personen gewaltbereit. Diese Extremisten und die beunruhigte Mehrheitsgesellschaft schaffen eine Atmosphäre, in der die muslimische Gemeinschaft zwischen allen Stühlen sitzt und zunehmend unter Druck gerät. Die Muslime sollen sich erklären, rechtfertigen und einer Gewalt abschwören, der sie sich in ihrer überwältigenden Mehrheit niemals zugewendet haben. Noch vor einigen Monaten klang das so:
"So werden wir in diesen Tagen, in denen sich der Hass gegen Muslime weiterverbreitet, leider auch in Deutschland, Zeugen von Übergriffen auf Moscheen und Synagogen. Damit das hier und heute noch einmal klar wird: Wir, die Muslime Deutschlands, stellen uns klar und deutlich, und das nicht nur in Deutschland, sondern unabhängig von Zeit und Ort überall und gegen jede Art von Hass, Ungerechtigkeit, Terror und Angriffe auf Menschen."
Über die Dächer weithin hörbar war der Imam, der durch Lautsprecher predigte und sang. Auf Gebetsteppichen knieten Seite an Seite rund tausend muslimische Gläubige in der Skalitzer Straße. Das Gesicht gen Mekka gerichtet. Im Rücken das Kottbusser Tor, einen zentralen Verkehrsknotenpunkt Berlin-Kreuzbergs. Damals verlegte die Gemeinde der direkt angrenzenden Mevlana-Moschee ihr Gebet für einen Freitagnachmittag ganz bewusst auf die Straße. Sie distanzierte sich damit öffentlich von jeder Gewalt und machte gleichzeitig auf die eigene Verletzlichkeit aufmerksam. Die sich nur wenige Meter von den Betenden entfernt in der verrußten Fassade des unfertigen Anbaus der Mevlana-Moschee zeigte.
Der Rohbau war damals komplett ausgebrannt. Im Schutt fanden die Ermittler einen Brandbeschleuniger. Seitdem steht fest, dass es eine vorsätzliche Tat war, Brandstiftung. Und das ist noch nicht alles: Zwischen Januar 2012 und dem Frühjahr 2014 gab es insgesamt 78 Attacken auf muslimische Gotteshäuser, so die Bundesregierung. Im Durchschnitt sind das jeden Monat drei Übergriffe. Ein Zuwachs. Denn zwischen 2001 und 2011 hatten die muslimischen Gemeinden monatlich mit ein bis zwei solchen Anfeindungen zu tun.
Angriffe auf Muslime
Islamistische Anschläge wirken auf die schuldlose muslimische Bevölkerung zurück. In Frankreich etwa hat es seit dem Attentat auf "Charlie Hebdo" 116 Vorfälle gegen Muslime gegeben. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Januar vergangenen Jahres.
Nev-Niyaz, Ahmet Calisier, Bas Taksim, getragene Flötenmusik. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert auf die Anfeindungen gegenüber muslimischen Gemeinden nur verhalten, Solidaritätsbekundungen sind rar. Umso lauter ist dafür eine Diskussion über Gewalt im Islam entbrannt.
Der Osnabrücker Islamforscher Bülent Ucar warnte die Muslime davor, die Pariser Anschläge nur mit Distanzierungen und "Betroffenheitsrhetorik" zu beantworten. Vielmehr müssten sie sich damit auseinandersetzen, dass Gewalt in der muslimischen Tradition verankert sei.
Friedmann Eißler, Islamwissenschaftler und Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, sieht das ähnlich. Er kritisiert zwar die wachsende Islamfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft, ist aber zugleich der Meinung, dass die muslimischen Verbände ihre Opferrolle dazu nutzten, Diskussionen über Gewalt innerhalb der Gemeinschaft zu vermeiden. Denn:
"Das mag man nicht gerne hören, und es wird von vielen Muslimen mit Vehemenz betont, das hat mit dem Islam nichts zu tun. So einfach scheint es mir nicht zu gehen. Von sich zu weisen, das hat nichts mit dem Islam zu tun, hilft an der Stelle nicht weiter, weil wir die Auslegungsweise, den Islam im Grunde, oder die Quellen des Islam mehr oder weniger als verbindliches Gotteswort eins zu eins für heute zu verstehen, auch weithin in unseren Kreisen der Muslime hier haben."
Burhan Kesici hingegen will von einer theologischen Legitimation für Gewalt im Koran nichts wissen und hält dagegen:
"In der muslimischen Geschichte gab es Fälle, wo sich Leute auf Koran-Verse bezogen haben und aus dem Kontext gezogen haben und Gewaltanwendung auch legitimiert haben. Und da kann man nicht sagen, dass es einen theologischen Unterbau gibt, sondern es ist so, dass Muslime es missbraucht haben. Aber es gibt keine islamische Theologie, die Gewaltanwendung erlaubt."
Doch Burhan Kesici weiß auch, dass die Frage nach der Gewalt im Islam bereits für Diskussionen in den muslimischen Verbänden sorgt. Die Verbände und ihre Moscheegemeinden sind das Herz der muslimischen Communities. Aus der Sicht Friedmann Eißlers ist die konservative Orientierung der Verbände nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass ihre Mitglieder oft aus bildungsfernen Schichten kommen. Ihre enge Bindung an die Herkunftsländer und die als fremd empfundene deutsche Gesellschaft machen es immer noch schwer, den Islam innerhalb eines interkulturellen Dialogs neu zu denken.
Und auch wenn es viele junge Muslime der Communities längst verstehen, das Leben in Deutschland und ihren islamischen Glauben zu vereinbaren. Auch wenn muslimische Islamwissenschaftler und Religionspädagogen an den islamischen Zentren in Deutschland emsig daran arbeiten, den muslimischen Glauben im deutschen Kontext zu verankern. Eine Willkommenskultur seitens der deutschen Gesellschaft fehlt bis heute.