"Integration kann nur über gemeinsame Werte gelingen"
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Die Islamkonferenz sei gescheitert, meint Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad nach seinem Austritt aus diesem Dialog zwischen dem deutschen Staat und in Deutschland lebenden Muslimen. Eine Integration von Muslimen könne nur über die Begeisterung für die Werte der Aufklärung erreicht werden.
Nach rund zehn Jahren hat der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad die Islamkonferenz verlassen, denn die deutsche Politik berücksichtige bei wichtigen Entscheidungen nur die Interessen der großen Islamverbände. Dabei vertrete etwa der Zentralrat der Muslime nur ein Prozent der rund fünf Millionen hier lebenden Muslime.
Integration über das Individuum
Ein großer Fehler sei, dass man die Flüchtlinge und neuen Einwanderer an diese Verbände verweise, um sich dort zu integrieren, sagt Abdel-Samad. Dies allerdings führe dann oft zu einem eher gegenteiligen Effekt: "Dann haben wir nur eine Wiederholung der Integrationsmisere, die wir seit 50 Jahren in Deutschland haben." Man müsse berücksichtigen, dass viele Islamverbände ethnisch nationale Vereine seien - wie etwa DITIB, als verlängerter Arm der türkischen Regierung.
Die deutsche Politik verkenne die Vielfalt der hier lebenden Muslime, so Abdel-Samad: "Nicht jeder Moslem ist ein Koran auf zwei Beinen." Wenn die Verbände mit dem Staat verhandelten, täten sie so, als würden sie alle fünf Millionen Muslime in Deutschland vertreten. "Das ist nicht richtig. Es gibt viele Muslime, die säkular sind oder areligiös sind oder gläubig sind, aber nicht politisch. Und deshalb sollte die Integration über das Individuum laufen." Einwandererkinder sollten hier "die Freiheit einatmen" können, statt indoktriniert zu werden.
Wichtige Diskussion zur Leitkultur
Abdel-Samad sagt, Muslime sollten nicht über den Islam integriert werden, "sondern über Arbeit, Kultur, Freiheit, die Begeisterung für die Aufklärung und für die Werte der deutschen Gesellschaft." Dafür brauche es auch eine Diskussion über die Leitkultur in Deutschland. Als Zukunftsvision für Deutschland wünsche er sich eine offene und aufgeklärte Leitkultur, die für alle da ist und die auf Werten basiere.
"Wir haben viele Sub-Leitkulturen in Deutschland. Wir haben eine linksliberale, eine türkisch nationalistische, eine islamistische und eine rechtskonservative Leitkultur. Aber wir haben keine gesamtdeutsche Leitkultur." Und zu diesen Werten gehörten Freiheit, Solidarität, Verantwortungsbewusstsein, Selbstverantwortung: "Und natürlich Empathie und Toleranz - aber keine Naivität und keine falsch verstandene Toleranz."
In seinem aktuellen Buch versuche er, diese Identität Migranten schmackhaft zu machen. "Deutschland ist eine wunderbare Erzählung, ist ein Heilungsprozess. Ja, es gab dunkle Kapitel, aber der gesamte Prozess von Deutschland ist sehr inspirierend für Deutsche und auch für Migranten."
(mle)