Muslime in Flüchtlingsunterkünften

Beten zwischen Tür und Angel

Ein muslimischer Junge in weißem Gewand und mit Häkelkappe sitzt auf einem Gebetsteppich und liest den Koran.
Ein muslimischer Junge sitzt auf einem Gebetsteppich und liest den Koran. © Imago / Indiapictures
Von Antje Stiebitz |
Die Mehrheit der Geflüchteten sind Muslime - die streng genommen fünf Mal täglich beten müssen. Doch wie praktizieren die Menschen ihre Religion in einem Flüchtlingsheim? Wo finden die Menschen etwa ein ruhiges Plätzchen für ihr Gebet?
Durch den Aufenthaltsraum der Flüchtlingsnotunterkunft in der Jahnsporthalle tönt arabische Musik aus einem Smartphone. Menschen kommen und gehen, telefonieren, unterhalten sich. Ein kleiner Junge bekommt ein Glas Kakao.
In der Turnhalle am Columbiadamm im Berliner Stadtteil Neukölln leben 150 Flüchtlinge: Männer, Frauen, Kinder aus Syrien, Irak und Afghanistan. Der Heimleiter Ralf Vogel schätzt, dass etwa 80 Prozent von ihnen muslimischen Glaubens sind. Wo sie ihre täglichen Gebete verrichten können, das erklären Ralf Vogel und seine Kollegin Sabine Olschewsky:
"Teilweise treten sie an uns heran und fragen nach Moscheen und das bekommen sie dann natürlich von uns mitgeteilt und teilweise üben sie das hier im Objekt aus mit Gebetsteppichen, das passiert natürlich auch. Die halt beten wollen, die finden irgendwo einen Platz, wo sie das machen, und den Platz lassen wir auch ...egal wo, das kann auf der Treppe sein, im Gang sein, auf der Toilette, egal wo, es wird halt dann...das wird dann halt toleriert. Das ist halt so."
Wail Oudeh stammt aus Syrien. Mit seiner Frau und drei Kindern ist er nach Deutschland geflüchtet und lebt hier seit rund zweieinhalb Monaten. Er beschreibt, wie er und seine Frau trotz der provisorischen Bedingungen beten:
"Wir brauchen nur wenig Raum für das Beten, nicht viel Platz. Normalerweise ist es leicht einen Quadratmeter zu finden, wo wir unser Gebet verrichten können. Kein Problem."
Für das Freitagsgebet bietet die Neuköllner Moscheenlandschaft ein vielfältiges Angebot, das weiß Wail Oudeh inzwischen:
"Ich gehe in verschiedene Moscheen. Auf dieser Seite gibt es eine türkische Moschee und auf der anderen Seite gibt es die Dar Assalam Moschee. Am Kottbusser Tor gibt es die Umar-Ibn-Al Khattab-Moschee. Ich gehe jetzt in Berlin in vier verschiedene Moscheen."
Die Sozialarbeiterin Stefanie Bouyarmane-Klee ist zum Islam konvertiert. Sie kann die verschiedenen Strömungen der Religion einordnen. Manchmal stehen vor der Notunterkunft Muslime, die für radikalere Wege des Islam werben. Da hält die kopftuchtragende, resolute Frau auch mal ein "Nein" dagegen. Aber sie begrüßt es, wenn die Männer freitags die benachbarten Moscheen besuchen:
"Weil es ja auch darum geht, hier in der Gesellschaft anzukommen und wie kann man das besser als mit Menschen, die bereits in der Gesellschaft integriert sind?"
Die Sehitlik-Moschee, nur wenige Hundert Meter von der Flüchtlingsnotunterkunft entfernt, ist eine Einrichtung der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib. Die Moschee-Gemeinde engagiert sich für die Flüchtlinge in der Nachbarschaft. Gülhanim Karaduman-Cerkes, Mitglied des Gemeindevorstands, erinnert sich an die erste Kontaktaufnahme mit den Neuankömmlingen:
"Die ersten Eindrücke, die mich auch sehr gerührt haben, wie die Leute kamen und uns gesehen haben und wir die einfach auf türkisch, also auf islamisch sage ich mal begrüßt haben und Salam Aleikum gesagt haben, dass die wirklich die Augen geleuchtet haben und gemerkt hat, wie sie sich gefreut haben, mensch, da sind Leute, die irgendwie, dass wir nicht in ein fremdes Land, dass wir jemand haben, der uns sehr nah ist halt."
Moscheegemeinden - Hemmschuh oder Brücke?
Seitdem sammeln die ehrenamtlichen Helfer der Sehitlik-Gemeinde Schuhe, Kinderwagen, Gebetsteppiche und vieles mehr. Im September richteten sie das Opferfest für die Neuankömmlinge aus. Sie bieten ihnen täglich Raum für das Gebet und künftig soll die Freitagspredigt zusätzlich auf Arabisch gehalten werden. Pinar Cetin, ebenfalls im Vorstand der Moschee, möchte, dass die Gemeinde eine Brückenfunktion zwischen den Flüchtlingen und der Mehrheitsgesellschaft übernimmt. Schließlich seien viele der Gemeindemitglieder selbst zugewandert und könnten den Neulingen mit ihrem Erfahrungsschatz zur Seite stehen. Allerdings kennt die Politologin die Bedenken gegenüber dem Engagement der Moscheegemeinden:
"Wenn die Moscheen als Orte der potentiellen Gefahr gesehen werden, dass die Leute sich radikalisieren und man möchte die Muslime als Teil der Lösung oder als Ansprechpartner nicht haben, dann können wir auch nicht helfen. Werden wir aber als Teil der Lösung und Brückenfunktion gesehen, dann können wir sicherlich auch viel anbieten."
Sind die Moscheegemeinden Brücke oder Hindernis? Diese Frage stellt auch der Islamwissenschaftler Ralf Ghadban. Er verweist darauf, dass vor allem die islamischen Verbände arabischer Prägung durch die Zuwanderung profitierten. Das verändere die Größenverhältnisse zwischen den türkischen und arabischen Verbänden und störe das bisherige Gleichgewicht. Ihn treibt die Sorge, dass ein radikalerer, von Saudi-Arabien inspirierter Islam an Einfluss gewinnen könnte. Deshalb plädiert er dafür, den Moscheegemeinden auf die Finger zu sehen und die Ergebnisse ihrer Arbeit abzuwarten:
"Also, dass sie Sozialarbeit machen und so weiter, natürlich ist es zu begrüßen, irgendwann müssen sie ja anfangen, aber da muss man ganz genau gucken, wohin es führt."
Der Terror radikaler Islamisten hat Jehad Alshiekh Mahmoud aus Syrien vertrieben. Jetzt sitzt er im Aufenthaltsraum der Jahnsporthalle, hält seine kleine Tochter fest im Arm und beschreibt seinen Islam:
"Der Islam ist für mich eine Religion der Mitte, er kann mit anderen Religionen leben. Er ist eine ganz und gar humanistische Religion, gegen das Töten, gegen Verbrechen. Es ist eine gemäßigte Religion der Gerechtigkeit. Islam bedeutet, dass keiner besser ist als der andere."
Zum Freitagsgebet geht er in eine Moschee in der Nähe des Kottbusser Tors. Und für das tägliche Beten, fügt der 38-Jährige hinzu, finde er in der Jahnsporthalle immer einen Platz.
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