Geschichte der Sklaverei

Muslimische Gelehrte gegen Menschenhandel

07:39 Minuten
Blick auf die in Lehm gebaute Moschee vor blauem Himmel. Davor die Silhoutte zweier Kinder.
Die Sankore Moschee in Timbuktu. Ende des 16. Jahrhunderts kritisierte der Rechtsgelehrte Ahmad Baba dort als einer der ersten die Sklaverei in muslimischen Gesellschaften. Heute ist in Timbuktu ein Institut nach ihm benannt. © imago images / Aldo Pavan
Von Nabila Abdel Aziz · 03.04.2022
Audio herunterladen
Der Kampf gegen die Sklaverei wird meist christlichen Wohltätern zugeschrieben. Aber auch muslimische Gelehrte in Westafrika erhoben ihre Stimme für das Recht auf Freiheit. Manche von ihnen inspirierten westliche Pioniere der Anti-Sklaverei-Bewegung.
"Amazing Grace" ist eines der berühmtesten Kirchenlieder der Welt. Doch nur wenige kennen die Geschichte dahinter. Geschrieben hat es ein ehemaliger Kapitän eines Sklavenschiffes, John Newton, der, nachdem er in schwere Seenot geraten war, zum Christentum konvertierte und begann, seine Sklaven besser zu behandeln. Später wurde er zu einem der berühmtesten Gegner der Sklaverei und kämpfte zusammen mit dem Parlamentarier William Wilberforce für ein Verbot.

Nicht nur Christen kämpften gegen die Sklaverei

So wird die Geschichte des Abolitionismus – also der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei – immer wieder erzählt: als ein heroischer Kampf, vor allem von weißen, christlich geprägten Menschen aus dem globalen Norden, die sich gegen ihre eigenen Gesellschaften stellten. Aber in dieser Version der Geschichte fehlt etwas, und die Wissenschaft ist gerade erst dabei zu verstehen, wie viel.
Rudolph Ware ist Professor für westafrikanische Geschichte an der University of California, Santa Barbara. "Erinnern wir uns an den Gründer der London Society for the Abolition of the Slave Trade", sagt Ware, "die Person, die der Mentor von Wiliam Wilberforce war, dem berühmtesten britischen Kämpfer gegen die Sklaverei: Das war Thomas Clarkson. Er, der Gründer des modernen Abolitionismus, sprach von einem afrikanischen Muslim als seiner Hauptinspiration. Was für eine Geschichte!"
Alter Stich von einem weißen Mann, der einem schwarzen Mann, die Fussfessel abschlägt.
Um 1870: Samuel Baker befreit versklavte Menschen auf einer Expedition im heutigen Südsudan. Die Geschichte der Anti-Sklaverei-Bewegung nahm lange Zeit vor allem westliche Wohltäter in den Blick.© Getty Images / Hulton Archive
Ware rüttelt an einer lange Zeit unhinterfragten These über den Islam, den Westen und die Sklaverei, die lautet: Der Westen sei zwar für eine lange Zeit pro Sklaverei gewesen, sei dann aber, beeinflusst durch christliches und aufklärerisches Gedankengut, zu einer Ablehnung der Sklaverei gekommen. Der Islam hingegen habe nichts zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen und habe Sklaverei eher befürwortet.

Schon Muhammad befreite seine Sklaven

Rudolph Ware erklärt hingegen: Es gab nicht nur parallel zu den Reformen in Europa, sondern sogar davor in Westafrika Theologen, Herrscher und Juristen, die sich mit ihrer Interpretation des Islam für ein Ende der Sklaverei einsetzten.
Eine Kritik an der Sklaverei, so Ware, begann mit dem Gründer des Islam selbst: dem Propheten Muhammad, der alle Sklaven, die er besaß, befreite. "Es gibt eine muslimische Kritik an der Institution der Sklaverei von Anfang an", erklärt Ware. "Die frühen Juristen des Islams etablierten ein Prinzip, dass es in anderen Traditionen erst viel später gab, nämlich, dass der Mensch prinzipiell frei ist."
Sklaverei wurde von Muhammad und den frühen Juristen zwar nicht vollständig verboten, jedoch wurden die Fälle in denen es erlaubt war, einen anderen Menschen zu besitzen, immer weiter eingeschränkt. Zum ersten Mal in der Geschichte der arabischen Halbinsel wurde es zum Ideal nicht möglichst viele Sklaven zu besitzen, sondern seine Sklaven zu befreien.

Der Alltag in islamischen Ländern sah anders aus

Rudolph Ware gesteht jedoch ein, dass dies bald keine Rolle mehr spielte. In den muslimischen Reichen, die darauf folgten, war Sklaverei ein normaler Teil des Alltags. Doch etwas war anders als im späteren transatlantischen Sklavenhandel, sagt Jason Sparkes. Er unterrichtet Religionswissenschaften und Globale Studien an der Wilfrid Laurier University in Kanada. In muslimischen Gesellschaften und auch an anderen Orten auf der Welt, sei Sklaverei nicht auf schwarze Menschen beschränkt gewesen. Im Gegenteil seien die meisten Sklaven muslimischer Herrscher für eine lange Zeit weiß gewesen. Doch das habe sich geändert.

Schritt für Schritt verband sich die Ablehnung aufgrund von Hautfarbe mit früh-modernen Verständnissen von Race und dem transatlantischen Sklavenhadel. Und in der Früh-Moderne wird das Schwarz-Sein zu der Eigenschaft, die man mit dem Sklaven-Sein verbindet.

Jason Sparkes, Religionswissenschaftler

Das war einer der Gründe für das Entstehen einer Anti-Sklaverei-Bewegung unter schwarzen Muslimen in Westafrika: Der Sklavenhandel weltweit wurde im Rahmen des transatlantischen Sklavenhandels, an dem auch Muslime beteiligt waren, umfassender und brutaler und er fokussierte sich auf schwarze Menschen. Dagegen rebellierten Theologen, Juristen und Herrscher, so Rudolph Ware:
"Sie bezogen sich auf die frühe muslimische Tradition, um eine sehr tiefgehende Kritik an der Sklaverei zu entwickeln. Der Unvereinbarkeit von islamischer Lehre und der Idee, dass man einen Menschen besitzen könne."

Muslimische Anti-Sklaverei-Bewegung im Senegal

Es war Ende des 16. Jahrhunderts, als in Timbuktu die ersten Schriften auftauchten, die die Versklavung von Schwarzen Menschen kritisierten. Gelehrte wie Ahmad Baba und später Usman dan Fodio und Ahmadou Bamba schrieben gegen die Sklaverei in muslimischen Gesellschaften an. Aber es blieb nicht nur bei Schriften, sagt Rudolph Ware:
„Es entwickelte sich eine ganze Anti-Sklaverei-Bewegung am Ende des 18. Jahrhunderts im heutigen Senegal, die es nicht nur schafft, den atlantischen Sklavenhandel in dieser Region zu beenden, sondern auch zum Ziel hat, die Sklaverei selbst in muslimischen Gesellschaften abzuschaffen.“
Das war unter dem Herrscher Abdul Kader Kan, der nicht nur Gegner der Sklaverei, sondern auch des Königtums war und erstmals die Befreiung von nicht-muslimischen Sklaven vereinfachte. Westafrika habe seine ganz eigene Tradition des Abolitionismus, sagt Rudolph Ware, und die sei sogar mit der in Europa verbunden. Thomas Clarkson, der schon erwähnte Gründer der London Society for the Abolition of Slave Trade, schrieb in vielen Details über die Geschichte Abdel Kader Kans.

Vergessene Geschichte der Befreiungskämpfe

"Clarkson sagt über Kan, dass der weise und gute Imam ein exzellentes Beispiel für die Abschaffung des Handels mit Menschen sei", sagt Rudolph Ware. Warum wurde dieser Teil der Geschichte vergessen: afrikanische Herrscher, die mit dem Islam gegen die Sklaverei kämpften und damit mindestens den Gründer der London Society for the Abolition of Slave Trade beeinflussten?
Für Jason Sparkes hat das einerseits damit zu tun, dass viele Muslime schwarze muslimische Geschichte ignorieren, und andererseits auf nicht-muslimischer Seite mit einem eurozentrischen Blick auf Geschichte, in dem nicht Menschen wie Abdul Kader Kan, sondern ehemalige Sklaventreiber wie John Newton in den Mittelpunkt gestellt werden. Jason Sparkes beschreibt das so:
"Es ist nicht nur so, dass die Kolonialisierten Ideen aus Europa annehmen, sondern Ideen, Erfahrungen, Spiritualität, revolutionäre Gedanken, politische Ideen aus der Peripherie beeinflussen auch Menschen in den Zentren der Macht. Der Austausch geht in beide Richtungen."

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema