Klimaschutz mit dem Koran
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Seit einigen Jahren engagieren sich verstärkt muslimische Initiativen für den Umweltschutz: Sie installieren etwa Solarmodule auf Moscheedächern oder rufen zum Plastikfasten auf. Der Koran dient ihnen dabei als Inspirationsquelle.
Ökologie und Nachhaltigkeit sind auch in der islamischen Tradition sehr präsent, sagt Stephanie Krauch vom Jungen Abrahamischen Forum. Als Beispiel nennt sie die Legende von der Arche Noah, die viele aus der Bibel kennen: "Da geht es ja darum, dass Noah – oder Nuh, so heißt er im Islam – von Gott ausgesandt wurde, um die Artenvielfalt zu retten und die Tiere, also ein Tierpaar jeder Art, in die Neue Welt zu bringen. Das ist ein Schöpfungsbewahrungsmythos, so kann ich es sagen, der allen Menschen bekannt ist. Viele wissen aber gar nicht, dass diese Geschichte auch im Koran verankert ist."
Dialog der Religionen zum Thema Naturschutz
Das Abrahamische Forum will den Dialog zwischen den Religionen fördern und Vorurteile abbauen. Krauch ist evangelische Christin und betreut als Referentin des Vereins unter anderem die "religiösen Naturschutztage". Dabei informieren sich jüdische, muslimische, christliche und Bahai-Gläubige über Naturschutz – in den Traditionen der anderen und auch in der eigenen. Gerade die muslimischen Vereine seien sehr engagiert, sagt Stephanie Krauch:
"Es ist eben auch eine Möglichkeit, sich mit einem ganz neuen Gesicht zu zeigen. Denn der Naturschutz ist nicht unbedingt etwas, was zunächst mal mit dem Islam assoziiert wird. Aber tatsächlich, wenn man sich einmal damit beschäftigt und auch erkennt, was für Parallelen es da gibt, dann ist die Natur das zentrale Thema im Koran."
Dass der achtsame Umgang mit der Natur in den islamischen Quellen tief verankert ist, glaubt auch Asmaa El Maaroufi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am theologischen Institut der Universität Münster. Zusammen mit ihrem Mann hat sie den Blog "Greenukum" gegründet. Dort gibt das Paar Tipps für einen nachhaltigen islamischen Lebensstil.
Göttliche Offenbarung in Pflanzen und Tieren
Für viele gläubige Muslime ist die Schönheit der Natur selbst ein zentraler Gottesbeweis: In jedem Berg, jedem Fluss, jedem Tier sehen sie ein Zeichen, das auf seinen Schöpfer hindeutet, sagt El Maaroufi:
"Und es geht sogar so weit, zu sagen, dass alles ebenfalls eine Offenbarung von Gott ist. Also, wir haben nicht nur den Koran als Text, sondern auch die Ziege, die Katze, der Baum können in ihrer Art und Weise eine Offenbarung sein, insofern sie mich durch ihr Sein an Gott erinnern sollen."
Doch der Koran geht noch weiter. Die Schöpfung gedenkt ihres Schöpfers auch selbst. Der Berg, die Wolken, das Gras, die Blätter, sie alle sind im ständigen "Dhikr", arabisch für "Gottesgedenken". Die Natur hat also ein Bewusstsein und ist schon allein deshalb schützenswert. So heißt es etwa in Sure 17, Vers 44 im Koran:
"Die sieben Himmel und die Erde und alle darin lobpreisen ihn; und es gibt nichts, was seine Herrlichkeit nicht preist; ihr aber versteht deren Lobpreisung nicht. Wahrlich, er ist nachsichtig, allverzeihend."
Naturschutzgedanke in islamischen Schriften
Es ist ein Koranvers, der insbesondere die islamischen Mystiker inspiriert hat. In unzähligen Gedichten und Gesängen schildern sie diesen Lobpreis der Natur, erklärt Asmaa El Maaroufi:
"Das muss man sich dann so bildlich vorstellen auch in diesen Dichtungen, wie das gefühlt wurde in diesem Moment und auch betrachtet wurde: Ein Mensch, der durch den Wald spazieren geht, und alles preist Gott. Überall hört er Gott."
Dass die islamischen Quellen aber nicht nur zur Achtsamkeit aufrufen, sondern auch durchaus konkrete Anleitungen für den Naturschutz bereithalten, davon ist Ilhaam El-Qasem überzeugt. Die 36-Jährige ist Sprecherin von Hima, einer muslimischen Umweltorganisation, deren Mitglieder regelmäßig Vorträge zu Themen wie nachhaltigem Konsum und Minimalismus halten.
Der Prophet plädiert für Tierwohl
In Sunna und Hadith, also den Überlieferungen über Aussprüche und Lebenspraxis des Propheten Muhammad, finden sich viele sehr konkrete Anweisungen: So darf man etwa das Fleisch eines Tieres nicht essen, das "Schmutz" gegessen hat. Für Ilhaam El-Qasem ein klares Argument gegen die moderne Landwirtschaft, wo Nutztiere allerlei Chemikalien fressen.
Auch die Milch eines Muttertieres darf nur getrunken werden, wenn für die Jungtiere selbst genug übrig bleibt. Die Kälber direkt nach der Geburt von der Mutter zu trennen, wie es heute üblich ist, das gehe also eigentlich gar nicht, sagt El-Qasem:
"Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das in Ordnung ist. Und das sind Sachen, die die Muslime wirklich vergessen haben. Die wissen diese Dinge nicht. Und die sind aber in den Quellen. Das ziehen wir uns nicht aus den Fingern. Das ist nicht irgendwie die neue, grüne, hippe, islamische Welle oder so was."
Die Gebetszeiten verbinden mit der Natur
Tatsächlich ist die Naturvergessenheit vieler moderner Muslime durchaus überraschend. Denn schon durch die alltägliche Glaubenspraxis – die Gebetszeiten, die Gebetswaschung, das Fasten – seien sie eigentlich eng mit der Natur verbunden, sagt Ilhaam El-Qasem:
"Und da liegt ja auch Schönheit drin. Also, wenn ich gezwungen bin. Vielleicht habe ich gar keine Lust, die Sonne zu beobachten, den Sonnenaufgang. Aber ich will beten, und dann muss ich das irgendwie machen. Und wie viel Ruhe bekomme ich dann, wenn ich einfach dasitze und warte und sage: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt, jetzt kann ich mich hinstellen und beten. Also, da liegt so viel Schönheit drin. Ich könnte jetzt gerade heulen, während ich das erzähle."
Dass Organisationen wie Hima für den Naturschutz mit religiösen Quellen argumentieren, hat auch einen ganz pragmatischen Grund: Denn so überzeugt man auch Muslime, die sich sonst nicht für Umweltschutz interessieren würden. Hinzu kommt: Viele bestehende Umweltorganisationen wie Greenpeace, der BUND oder Fridays for Future seien bisher wenig divers, sagt El-Qasem:
"Und ich glaube, es ist schwierig für diese Gruppen, diese Zielgruppe zu erreichen. Die Muslime – oder Menschen mit Migrationshintergrund – sind so daran gewöhnt, dass man sie eigentlich nicht richtig ernst nimmt und dass man ihnen eigentlich mal was erklären muss, dass da auch gar nicht die Offenheit da ist, und das ist ja nachvollziehbar. Nicht richtig, aber nachvollziehbar."
Sonnenkollektoren auf Moscheedächern
Wie Hima richtet sich auch der in Darmstadt angesiedelte Verein NourEnergy spezifisch an Muslime. Anders als Hima setzt er auch große, technische Projekte um, erklärt Diana Schild, die die Öffentlichkeitsarbeit von NourEnergy betreut:
"Angefangen haben wir mit zwei Projekten in Darmstadt und Weinheim, wo erstmals in Deutschland Moscheen mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet wurden. Das ist jetzt acht Jahre her, dass die ersten beiden Projekte verwirklicht wurden."
Damals seien Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die wenigsten Muslime ein Thema gewesen, sagt Diana Schild. Heute sei das anders. Wie groß das Interesse sei, merke sie vor allem bei einer Aktion, dem sogenannten "Plastikfasten", zu dem die Organisation seit dem Ramadan 2017 jedes Jahr aufrufe:
"Es hat mit kleinen Veranstaltungen in Moscheen angefangen, und jetzt sind es mittlerweile komplette Hochschulgemeinden und große Einrichtungen, die Open-Air-Fastenbrechen komplett ohne Plastik und nahezu zero-waste veranstalten."
Fastenbrechen ohne Plastikmüll
Wie genau so ein "Zero-Waste-Iftar", also ein Fastenbrechen, bei dem kein Müll produziert wird, geht, dafür gibt es inzwischen auch ein Handbuch mit praktischen Tipps. Im letzten Jahr habe NourEnergy mit der Aktion mehr als 30.000 Personen erreicht, sagt Diana Schild. Insgesamt seien so mehr als 100.000 Plastikteile eingespart worden.
Die große Frage sei für die meisten Muslime heute nicht mehr "Braucht es Umweltschutz wirklich?", sagt Ilhaam El-Qasem, sondern eher: Wie kann ich das umsetzen, wenn meine Familie jeden Tag Fleisch essen will oder wenn es in meiner Kultur verpönt ist, gebrauchte Kleidungsstücke zu tragen? Diana Schild hat für derartige Probleme eine ganz pragmatische Lösung:
"Fangt irgendwo an, und wenn es nur eine Sache ist. Wenn ihr nur sagt: Wir lassen erst mal nur die Plastikflaschen weg. Oder: Wir nehmen einfach kein Einweggeschirr. Oder: Jeder bringt sein eigenes Essen mit, sodass wir das nicht wegschmeißen. Fangt irgendwo an und denkt nicht, ihr könnt es nicht."