Muslimisches Forum Deutschland

17 Thesen für ein Miteinander

Mouhanad Khorchide (l) und Ahmad Mansour vom "Muslimischen Forum Deutschland"
Mouhanad Khorchide (l) und Ahmad Mansour vom "Muslimischen Forum Deutschland" auf einer Pressekonferenz am 2. Oktober in Berlin. © picture alliance / dpa / Foto: Michael Kappeler
Von Christiane Habermalz |
Das neu gegründete "Muslimische Forum Deutschland", ein Zusammenschluss liberaler intellektueller Muslime, hat jetzt "17 Berliner Thesen" vorgestellt. Darin wird die Trennung von Staat und Religion und ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht der Frauen formuliert.
Der erste Auftritt des "Muslimischen Forums Deutschland" nach seiner Gründung im April ließ aufhorchen. Der Zusammenschluss liberaler Intellektueller um den Münsteraner Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, die Religionspädagogin Lamya Kaddor und den Psychologen Ahmad Mansour war im April mit viel Medienecho an die Öffentlichkeit gegangen – mit dem Versprechen, künftig die Islamdebatte in Deutschland mitgestalten zu wollen. Dann wurde es zunächst still um das Forum. Jetzt meldete es sich mitten in der Flüchtlingsdebatte zurück: Mit der Warnung, die Willkommenskultur nicht blauäugig nur Ehrenamtlichen zu überlassen. Die Gefahr, dass Salafisten ihre Chance nutzten, sei groß.
"Die Flüchtlingsunterbringung und natürlich auch Begleitung muss professionalisiert werden. Das kann nicht nur ehrenamtlich passieren. Es dürfen auch nicht diejenigen, die verantwortlich dafür sind, dass Teile der Jugend in Deutschland, zweite und dritte Generation von Migranten, wo wir immer wieder bestimmte Geschlechterrollen haben, Jugendliche haben, die anfällig sind für Salafimus und Islamismus und andere, diese Menschen dürfen nicht die Aufgabe der Betreuung der Flüchtlinge übernehmen",
mahnt Ahmad Mansour. Er muss es wissen, er arbeitet seit Jahren in der Salafimusprävention mit muslimischen Eltern und Jugendlichen. Damit sprach das Forum ein Thema an, das bislang noch kaum eine Rolle spielt: Wie wird sich unsere Gesellschaft durch den Zuzug von mehr als einer Million Muslime verändern? Und welcher Form des Islam werden sich die Neuankömmlinge zuwenden? Viele fliehen vor dem IS-Terror, sind daher wenig anfällig für Extremismus. Doch die Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan seien anders sozialisiert und mit anderen Werten aufgewachsen.
"Anfällig werden diese Menschen, wenn sie im Stich gelassen werden. Und anfällig werden sie, wenn wir sie nicht nachhaltig betreuen, ihnen die Mehrheitsgesellschaft nicht positiv zeigen. Es ist viel einfacher, dass Menschen die dazu kommen, mit der Fremde, mit den Werten dieser Gesellschaft überfordert. Wir müssen sie erreichen. Tun wir das nicht, tun dann später die Islamisten das."

Das Forum meldet sich zu einem Zeitpunkt zu Wort, an dem die Stimmung in der Politik und der Öffentlichkeit kippt. Nach Berichten über Schlägereien in Flüchtlingsunterkünften sprach Bundesinnenminister schon von einer "Ankommenskultur", die von den Asylsuchenden verlangt werde. Er habe durchaus Verständnis für die Ängste vieler Menschen vor den muslimischen Zuwanderern, erklärt auch Ahmad Mansour. Umso wichtiger sei es, dass Probleme auch offen angesprochen würden.
"Ich habe immer wieder bemerkt, dass, wenn es um Debatten in Deutschland geht, dass wir bestimmte Sachen tabuisieren. Wenn wir nicht in der Mitte der Gesellschaft über solche Ängste reden und differenziert reden, kommen solche Themen an die Rechtsradikalen, die dadurch einfach undifferenzierte, rechtsradikale Inhalte machen, und das darf nicht passieren."
Islamverbände stellen Legitimität des neuen Forums in Frage
Klare Worte in alle Richtungen. Wer oder was aber ist eigentlich das "Muslimische Forum Deutschland", das von sich sagt, es sei offen für Schiiten und Sunniten, Aleviten, Yesiden und sogar Christen? Schon wegen dieser Vielfalt kam gleich nach der Gründung viel Kritik von den bestehenden Islamverbänden an der Legitimität des Forums. Was solle das sein, eine neue Religionsgemeinschaft? Das Forum repräsentiere nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland, so der Vorwurf. Das allerdings tun auch die Islamverbände nicht, die jeweils nur für wenige Tausend Mitglieder stehen. Der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" etwa mit seinem Vorsitzenden Aimar Mazyek vertritt um die 20.000 Mitglieder – das entspricht ein bis zwei Prozent der hier lebenden Muslime. Man sehe sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Verbänden, versucht Mouhanad Khorchide die Wogen zu glätten:
"Wir vertreten allerdings einen Islam, der klar und unmissverständlich ohne Wenn und Aber sich für die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft bekennt, wir vertreten einen Islam, der ohne Wenn und Aber hinter den Menschenrechten steht, als universelle Normen, die ihre Gültigkeit haben für alle Menschen."

Wofür sie darüber hinaus stehen, stellten sie nun in "17 Berliner Thesen" vor: Für Religionsfreiheit, eine klare Trennung von Staat und Religion, für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frauen, auch bei der Entscheidung, das Kopftuch zu tragen oder nicht. Kopftücher bei Kindern lehnen sie ab, die Teilnahme an Schwimmunterricht und Klassenfahrten sehen sie als klaren Bestandteil des Bildungsauftrags und nicht verhandelbar. Den Behörden unterstellte Mansour hier oft falsch verstandene Toleranz.
"Ich bin tagtäglich in Schulen unterwegs und merke, dass manche Schulen sogar den Schwimmunterricht aufgegeben haben, weil die Mehrheit der Schülerinnen mit muslimischem Hintergrund nicht teilnehmen werden. Wenn die Lehrer anfangen darüber zu reden, werden sie ganz schnell als populistisch bezeichnet."
Khorchide und Mansour sehen die Muslime in Deutschland in der Mitverantwortung dafür, dass aus den Zuzüglern ein integrierter Teil der Gesellschaft wird. Für die islamischen Verbände, die sich gerne über das negative Bild der Muslime in der Öffentlichkeit beschweren, bedeute das: Raus aus der Opferrolle. Es genüge nicht, sich vom Islamismus zu distanzieren, man müsse selbstkritisch fragen, wieso der auf hier aufgewachsene Jugendliche eine so große Anziehungskraft ausübe – das hänge nicht nur mit sozialen Faktoren, sondern auch mit dem verkrusteten, patriarchalen und sexualfeindlichen Islamverständnis zusammen, das in den Moscheen gelehrt werde.
Mit dem "Muslimischen Forum Deutschland" hat die Islamdebatte einen neuen Player. Mit einem Projekt: Ein aufgeklärter Islam deutscher Prägung. Deutschland wird islamischer werden, soviel steht fest. Welcher Islam das sein wird – das ist noch offen.
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