Musterklagen im Abgasskandal

Für VW könnte es auch in Deutschland teuer werden

Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, aufgenommen am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen).
Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen). © dpa
Von Gerhard Schröder |
Der Jurist Hartmut Bäumer ist vom VW-Dieselkandal betroffen und wütend, dass es nur in den USA Entschädigungen geben soll. Er will den Konzern nun verklagen. Wenn nur ein kleiner Teil der Millionen Betroffenen nachzieht, kann das für VW sehr teuer werden.
Hartmut Bäumer hat eine eindrucksvolle Karriere hinter sich. Er war Arbeitsrichter in Offenbach, Regierungspräsident in Gießen, und Leiter des baden-württembergischen Verkehrsministeriums. Den größten Coup hat er aber vielleicht noch vor sich. Hartmut Bäumer will den VW-Konzern verklagen, wegen des Dieselabgasskandals:
"Weil das nicht sein kann, das Käufer betrogen werden, und zwar bewusst betrogen, nicht fahrlässig. Die wussten ja was sie tun. Und dass man dann in den USA sagt, da gibt es andere Voraussetzungen, hier werden die Leute entschädigt, und hier schauen die Leute in die Röhre."
Bäumer fährt einen Audi A4 Avant Diesel. Baujahr 2008. Ein Fahrzeug, von dem der gelernte Jurist annahm, dass es wenig Sprit verbraucht und wenig Schadstoffe in die Luft bläst. Inzwischen weiß er, dass das nicht stimmt.
"Das hat mir inzwischen sogar das Bundesverkehrsministerium bestätigt; in einem Brief, wo drinsteht, ja, sie haben eine unzulässige Abschaltvorrichtung. Diesen Brief habe ich vor zwei Monaten bekommen."
Heißt im Klartext: Die Abgasreinigung funktioniert nur im Labor, wenn das Auto geprüft wird. Im Alltagsbetrieb auf der Straße dagegen werden die Schadstoffe ungefiltert in die Luft geblasen. Ein Skandal, findet der 68-Jährige, der einst für die Grünen im bayerischen Landtag saß.
"Wenn ich mir das anschaue, dass hier Millionen Kunden betrogen werden, und die VW-Spitze riesige Boni kassieren, dann geht einem noch die Galle über."
Audi selbst wiegelt ab. Eine beanstandete Funktion müsse korrigiert werden, erfuhr Bäumer in einem Schreiben aus Ingolstadt vor zehn Monaten. Keine große Sache, die in der Werkstatt rasch behoben werden könne. Zitat:
"Bei Fahrzeugen mit einer 2-Liter-Motorleistung ist lediglich eine Umprogrammierung des Motorsteuerungsgerätes erforderlich. Die Arbeiten dauern etwa eine halbe Stunde.

Niedriger zweistelliger Milliardenbetrag

Geschehen ist seitdem nichts. Bäumer hakte nach, wollte wissen, wann sein Auto repariert wird, setzte dem Autokonzern Fristen. Alles ohne Erfolg.
"Zuerst habe ich mich nur veralbert gefühlt. So wimmelst Du Leute ab. Aber da habe ich gesagt: Ne, mit mir nicht."
Jetzt will Bäumer klagen. Und zwar auf Rückgabe des Fahrzeugs und Erstattung des Kaufpreises. Der Grund: VW hat die Abgasreinigung manipuliert, deshalb ist die Typengenehmigung für das Fahrzeug erloschen, sagt Bäumers Anwalt Christopher Rother. Er ist Managing Partner der amerikanischen Kanzlei Hausfeld, die im US-Verfahren gegen VW eine tragende Rolle gespielt hat.
"Er hat ein Fahrzeug gekauft, das niemals hätte in den Verkehr gebracht werden dürfen. Und was vielleicht noch schlimmer ist: Die Kunden sind jahrelang mit Fahrzeugen gefahren, die gar nicht auf öffentlichen Straßen in Deutschland gefahren werden dürfen."
In Deutschland sind über zwei Millionen Autobesitzer betroffen, in Europa rund acht Millionen. Sie alle sind mit Fahrzeugen unterwegs, die niemals hätten verkauft werden dürfen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Rechtsprofessor Remo Klinger in einem Gutachten, das dem Deutschlandradio vorliegt. Sie alle müssen entschädigt werden, sagt Anwalt Rother. Für VW könnte das teuer werden, selbst wenn nur fünf Prozent der Betroffenen klagen:
"Dann wären das ungefähr 400.000 Fahrzeuge und dann sprechen wir über Beträge, die in etwa in der Größenordnung wie in den USA liegen, also einen niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag."
Rother vertritt allein 100.000 VW-Kunden. Die ersten Klagen will er Anfang Januar einreichen.
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