Mutiger Roman von Ezzedine C. Fishere

Kairo zwischen Hoffen und Verzweiflung

Zahlreiche Menschen gehen am 04.05.2015 in der Nähe eines Basars an einer Straße in der Innenstadt von Kairo (Ägypten). Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
Straßenszene in Kairo: Ezzedine C. Fisheres Roman "Kol Hasa al-Haraa" spielt in der ägyptischen Hauptstadt. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Cornelia Wegerhoff |
"Kol Hasa al-Haraa" heißt der im Februar veröffentlichte Gesellschaftsroman von Ezzedine Choukri Fishere. Der zeigt mutig auf, was das ägyptische Volk alles ertragen muss: von wirtschaftlicher Not über staatliche Willkür bis zu Polizeigewalt und Terrorismus.
Durch die Schlagläden dringt dumpf der Kairoer Großstadt-Lärm ins Schlafzimmer. Es ist zwölf Uhr mittags. Doch Amal liegt immer noch im Bett.
"An miesen Tagen ist es das Beste zu schlafen."
Mit diesen Worten beginnt der neue Roman von Ezzedine Choukri Fishere. Als seine Hauptfigur irgendwann doch die Augen aufschlägt, betrachtet sie den muskulösen Rücken und das hübsche schwarze Haar eines jungen Mannes, der neben ihr liegt.
"Enta sahi? Bist du wach?", fragt Amal und sie wird es in den folgenden Kapiteln immer wieder tun. Omar, so heißt die Zufallsbekanntschaft der letzten Nacht, dreht sich um und beginnt zu erzählen.
Fishere: "Es ist eine Art '1001 Nacht', aber mit vertauschten Rollen. Es ist Omar, der Mann, der Amal mit seinen Geschichten unterhält. Und es ist auch ansonsten eine Umkehrung von '1001 Nacht', denn der Inhalt ist völlig anders."

Nicht ganz so märchenhaft

Denn was sich das junge Paar auf der Bettkante zu erzählen hat, ist in der Tat nicht märchenhaft: Omar, 22 Jahre alt, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und muss als Taxifahrer jobben, um zu überleben.
Der ägyptische Autor Ezzedine Choukri Fishere.
Der ägyptische Autor Ezzedine Choukri Fishere.© E.C. Fishere
Amal, 29 , eine ägyptisch-amerikanische Rechtsanwältin, kommt gerade aus dem Gefängnis und muss binnen 48 Stunden das Land verlassen, um einer weiteren Haftstrafe zu entgehen. Ihre ägyptische Staatsangehörigkeit muss die junge Frau dafür ablegen.
Fishere: "An dem Morgen nach ihrer Abschiedsfeier wacht sie mit einem ziemlichen Kater auf. Und mit dem jüngeren Mann in ihrem Bett. Sie beschließen diese letzten 48 Stunden gemeinsam zu verbringen, indem er ihr erzählt, was alles in Ägypten passiert ist, als sie im Gefängnis war. Es sind die Geschichten von seinen Freunden, die ebenfalls im Gefängnis sitzen, ins Exil geschickt wurden oder tot sind."
"Kol Hasa al-Haraa", zu Deutsch "All dieser Unsinn" oder "Quatsch", wie man den Titel aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzen könnte, heißt der im Februar erschienene Gesellschaftsroman von Ezzedine Choukri Fishere*. Gemeint ist, was das ägyptische Volk gerade ertragen muss: Wirtschaftliche Not, staatliche Willkür, Polizeigewalt, Korruption, Terrorismus.
Die Protagonisten Amal und Omar sind dabei "alte Vertraute". Die ägyptischen Leser kennen sie als Figuren ihrer Grundschulbücher. Sie stehen für jedermann. Denn zwischen Fiktion und Realität wechselnd ist der Roman ein Zustandsbericht Ägyptens. Und damit so aktuell und politisch brisant, dass der 50-jährige Autor, im Hauptberuf Universitätsprofessor, dankbar ein Angebot aus den USA annahm, als sein Buch in den Druck ging. Sein Interview gibt Fishere per Handy-Messenger:
"Dieses Jahr arbeite ich als Gastdozent an der Hochschule von Darthmouth. Ich unterrichte hier arabische Kultur und Politik. Als ich aus Amerika angefragt wurde, hatte ich gerade den Roman bei meinem Verleger abgegeben. Und – offen gesagt – war das perfektes Timing. Ich habe nicht lange gebraucht, um das Angebot zu akzeptieren."

So offen spricht in Ägypten derzeit kaum jemand

Der letzte Schriftsteller, der in Ägypten mit schlüpfrigen Bettszenen und Gesellschaftskritik von sich Reden machte, Ahmed Naji, saß nämlich ein knappes Jahr im Gefängnis. Der Vorwurf: Sein Roman sei "anstößig". Dass Naji hinter Gittern auch als Regimekritiker zum Schweigen gebracht wurde, ist in Ägyptens Kulturszene ein offenes Geheimnis. Ezzedine Choukri Fishere macht sich in seinem Roman ausgerechnet beim Sexgeflüster über die vermeintlichen Tabus lustig. Omars "bestes Stück", heißt es belustigt, zähle zu den Teilen...
"... für die dich die Richter ins Gefängnis stecken, wenn du sie beim Namen nennst."
Sein Buch handele unterdessen von der neuen Kultur Ägyptens, der Kultur der jungen Generation, die nicht mehr auf die alten Tabus Rücksicht nehmen müsse, so Fishere trotzig:
"Das ist ein Teil des neuen Geistes, den die Leute, die autoritäre Posten besetzen, innerhalb und außerhalb des Staatsapparates, aber immer noch nicht verstanden haben. Diese Leute über 60, die nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, versuchen eine Kultur Aufrecht zu erhalten, die für die 75 Prozent der Bevölkerung, die unter 40 Jahre alt ist, längst vorbei ist. Mein Buch erzählt vom Augenblick, von diesem Gefühl der Gefangenschaft, das die jungen Leute heutzutage empfinden. Egal, ob sie im Gefängnis sitzen oder draußen gefangen sind. Es geht darum, wie diese jungen Leute die Welt sehen, wie sie kämpfen mit Hoffung und Verzweiflung."
So offen wie Ezzedine Choukri Fishere es aus den USA tun kann, spricht in Ägypten derzeit kaum jemand. Die staatlichen Repressalien in Form von Razzien, Verhaftungen und Ausreiseverbote haben auch in der Kulturszene ihre Spuren hinterlassen.

"Ein bisschen atmen und schreiben"

Ein Kairoer Verleger, der ein Interview ablehnt, meint: "Bitte versteht uns. Die Zeiten sind schwierig." Er möchte nichts sagen, weder zur allgemeinen politischen Lage, noch zu Fishere und seinen neuem Roman. Fishere wundert das nicht:
"Die Autoritäten – und ich meine das im weitesten Sinne, nicht nur die Regierung – betonen Ordnung, Disziplin und die Einheit gegenüber inneren und äußeren Feinden, die versuchen ihr Heimatland zu zerstören. Diese Autoritäten behaupten nicht mal mehr, dass sie Freiheiten wertschätzen. Man setzt klar die Prioritäten bei den Grenzen, die vorgegeben werden. Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Ägypter, die 75 Prozent unter 40, das Land in eine moderne, liberale Demokratie umwandeln können. Das wird dauern. Und es wird weitere Rückschritte geben, bevor das passiert, aber es wird passieren. Ich für meinen Teil bin glücklich, etwas Zeit außer Landes zu verbringen, um eine Pause zu machen, ein bisschen zu atmen und ... zu schreiben."
*Anmerkung der Redaktion: Bislang gibt es von dem im Februar veröffentlichten Buch nur eine arabische Fassung.
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