Mutterschutz für Alle
Tischlermeisterin Johanna Röh beim Termin im Bundestag: Mit über 100.000 Unterschriften ist ihre Petition eine der erfolgreichsten, die der Bundestagsausschuss je verhandelt hat. © Hede Weit
Schwangere Selbstständige fordern mehr Unterstützung
27:42 Minuten
Selbstständige Schwangere erhalten nicht den gleichen gesetzlichen Mutterschutz wie Angestellte. Ein Kind gefährdet deswegen oft ihre unternehmerische Existenz. Einige Frauen wollen das nicht mehr hinnehmen und fordern gleiche Rechte.
Hinter den Sicherheitsschranken des Paul-Löbe-Hauses tummelt sich an diesem sonnigen Herbsttag eine Handvoll Frauen. Manche treffen sich zum ersten Mal persönlich, stellen sich gegenseitig vor und tauschen sich dann sofort aus. Immer wieder blicken sie nervös zum Sicherheitspersonal des deutschen Bundestages. Die Frauen und Männer sollen sie jeden Moment in Raum E.300 führen. Hier findet heute die Petitionsausschusssitzung zur Petition „Gleiche Rechte im Mutterschutz für selbstständige Schwangere“ statt. Die Aufregung ist groß. Monate lang haben sie auf diesen Moment hingearbeitet.
Mit einem Instagram-Post fing alles an
Mittlerweile ist auch Petentin Johanna Röh eingetroffen. Mit einem Instagram-Post der Tischlermeisterin hatte alles angefangen. Das war im November 2021. Sie war im vierten Monat schwanger und stellte fest, dass sie als selbstständige Handwerkerin kaum finanzielle Unterstützung bekommt. Ihre Fragen und ihren Frust teilte sie auf Social Media und schnell stellte sich heraus: Sie war nicht allein.
Fast ein Jahr später wird sie im Bundestagsausschuss von Vertreter*innen aller Regierungsparteien angehört. Im Ausschusssaal angekommen setzt sich Johanna Röh zunächst an den Rand. Die Tischlermeisterin und junge Mutter ist in Zunfthose erschienen. Noch rund eine Stunde wird sie hier auf ihren Einsatz warten müssen. „Ich bin ein bisschen aufgeregt", sagt sie. "Aber an sich habe ich schon ein gutes Gefühl, dass wir gut vorbereitet sind und die besseren Argumente haben." Bis in den Vorabend haben die Petentin und ihr Team noch an der Auftaktrede gefeilt. Die muss ihr großes Anliegen in nur fünf Minuten auf den Punkt bringen.
Über 100.000 Unterschriften
Während Johanna Röh noch einmal bedacht ihre Aufzeichnungen durchgeht, die Worte mit den Lippen nachformt und sich letzte Notizen macht, knetet Schreinermeisterin Maxime Krämer auf der Zuschauertribüne nervös ihre zusammengefalteten Hände. „Wir hoffen natürlich, dass wir ganz viel Zuspruch und Rückhalt bekommen, und dass wir damit vorankommen, dass alles, was wir gestern besprochen haben, jetzt auch rauskommt, so wie es rauskommen soll."
Mit über 100.000 Unterschriften ist ihre Petition eine der erfolgreichsten, die der Bundestagsausschuss je verhandelt hat. Doch der Weg hierhin war lang.
Mecklenburg-Vorpommern, südwestlich von Schwerin. Es ist Mitte September und die Petitionsausschusssitzung im Bundestag ist noch fast zwei Wochen hin. Johanna Röh steht, Regenbogenwarnweste über Langarmshirt, mit Mikro vor einem gefüllten Saal des Schloss Dreilützow. Am Auftaktabend des diesjährigen Tischler*innentreffens erklärt sie im großen Plenum Programmablauf und Hausregeln.
Hier vernetzen sich Tischler*innen, Verbündete und Interessierte. Für Johanna Röh ist das Treffen eine wichtige Institution, die sich an regem Zuwachs erfreut. Über 200 Leute sind dieses Jahr gekommen, darunter auch viele junge Tischler*innen. „Es ist superwichtig, um einfach Vorbilder zu haben, die an anderen Punkten sind im Berufsleben, von denen man sich Sachen abgucken kann und wo man mitbekommt, wo noch Handlungsbedarf da ist. Alle können sich auf Augenhöhe treffen.“
Ständiger Kampf mit der Krankenkasse
Zum ersten Mal habe ich Johanna Röh im Frühjahr auf dem Zweiseitenhof in Alfhausen in Niedersachsen getroffen, auf dem sie auch ihre Werkstatt betreibt. Damals stand sie kurz vor der Geburt ihrer nun vier Monate alten Tochter. Frustriert erzählte sie mir davon, wie schwierig es ist, ihren Betrieb neben ihrer Schwangerschaft am Laufen zu halten. Ständig hing sie am Telefon mit der Krankenkasse oder anderen Institutionen, um sich finanzielle Unterstützung zu erkämpfen.
Ein halbes Jahr später sitzt sie mir auf einer Bierbank im Garten des Schlosses gegenüber. Der Wind zieht sanft durch die Bäume. Mit ihrer Brille und den langen, glatten braunen Haaren sieht sie eigentlich genauso aus wie damals. Nur der runde Schwangerschaftsbauch ist weg. Es ist das erste Mal, dass sie so lang von Mela getrennt ist, die bei Mann Martin in Alfhausen geblieben ist.
Seit wir uns das letzte Mal getroffen haben, hat sich für Johanna Röh viel verändert. „Mela ist jetzt da, und mein Alltag ist natürlich auch sehr auf sie zugeschnitten. Ich bin auch wieder in der Werkstatt. Das ist total gut. Wir kriegen das irgendwie hin, dass wir uns abwechseln mit der Betreuung.“
Acht Wochen frei, trotz Aufträgen im Nacken
Nach einer nicht ganz einfachen Geburt mit Verletzungen und Blutverlust hat Johanna Röh sich acht Wochen freigenommen, um wieder auf die Beine zu kommen. „Das Gute war, dass ich wirklich gesagt habe, es läuft gar nichts. Meine Werkstatt war zu, meine Auszubildende war in einem Kooperationsbetrieb. Das war auch wichtig. Ich glaube, sonst hätte ich mich auch vom Kopf her gar nicht rausziehen können", sagt Röh. "Es ist aber jetzt nicht so, dass ich das Gefühl habe, das war viel Zeit für mich und meine Tochter, sondern die Zeit haben wir gebraucht und die ist total schnell vergangen, die war super wichtig, um überhaupt zu regenerieren und anzukommen.“
Seit zwei Monaten steht sie nun schon wieder regelmäßig in der Werkstatt und steigert ihre Arbeitszeit kontinuierlich. „Das wäre wirklich schöner, wenn das ein bisschen langsamer anlaufen könnte." Aber das sei nicht möglich. "Die Aufträge liegen mir auch noch im Nacken.“
Trotzdem findet Johanna Röh sich beizeiten in typischen Rollenmustern wieder. „Wenn ich stille, dann kann man ja auch schnell noch einmal wickeln, und dann, wenn sie daliegt, dann kann man auch schnell noch mal die Wäsche zusammenrollen oder so. Dann plötzlich verbringt man viel mehr Zeit mit ihr oder auch mit dem Haushalt, als man eigentlich gedacht hatte, weil das natürlich im Homeoffice für meinen Mann einfacher ist, sich direkt an den Schreibtisch zu setzen. Stillen ist meins, das ist okay tagsüber. Den Rest macht er.“
6,61 Euro Krankentagegeld
Aber Johanna Röh muss dafür sorgen, dass sich die Kassen wieder füllen. Ihre Rücklagen musste sie für die Schwangerschaft und kurze Pause nach der Geburt aufbrauchen. Nach monatelangem Bürokratiekampf hat Johanna Röh von der Krankenkasse zwar für dieses Jahr doch noch ein Krankentagegeld von 6,61 Euro bekommen, das hilft der Unternehmerin aber wenig. „Weil die Vorgabe ist, in der Zeit überhaupt nicht zu arbeiten. Das bedeutet eigentlich, dass man, nur um quasi so ein paar Euro zur Unterstützung zu bekommen, den ganzen Betrieb an die Wand fahren muss. Dieses 'Ganz oder gar nicht' funktioniert nicht. Das ist dann keine Unterstützung.“
Schwangeren Angestellten stehen im Vergleich 14 Wochen Mutterschutz mit oft vollständigen Lohnzahlungen zu. Selbstständige Schwangere werden hingegen im Mutterschutzgesetz nicht berücksichtigt. Sie können sich selbst versichern und höchstens 13 Euro pro Tag beantragen.
Wie viel und ob sie etwas bekommen, hängt dann noch vom Anspruch auf Krankengeld und Karenzzeiten ab. Die Fixkosten des Betriebes werden nicht berücksichtigt. „Finde mal jemanden, der so viele Rücklagen hat, dass er ein ganzes Jahr einfach mal so überbrücken kann", sagt Röh. "In der Coronazeit haben die meisten nach einem Monat geschrien, was ja auch total okay ist. Aber dann von uns zu erwarten, dass wir ein ganzes Jahr einfach so überbrücken könnten, ist super unrealistisch.“
Das alles ein zweites Mal durchzumachen, kann sich die 33-Jährige auf keinen Fall vorstellen. „Das ist nicht richtig, dass ich die Entscheidung treffen muss, ob ich ein zweites Kind möchte, abtreiben möchte, ob ich den Betrieb halten möchte und dann trotzdem schwanger sein will. Es ist nicht richtig so, wie es ist.“
Start der Petition Anfang 2022
Johanna Röh trägt immer noch die regenbogenfarbene Orga-Warnweste, ein Walkie-Talkie steckt griffbereit an ihrer Jeans. Die Luft im Schlossgarten ist frisch und das Gras taunass. Johanna Röh erzählt, wie sie schon als Auszubildende bei einem der Tischler*innentreffen war. Dort hörte sie auch das erste Mal von der Problematik Familienplanung und Selbstständigkeit. "Da habe ich es auf jeden Fall mitbekommen, dass es ein Problem ist, aber auch, dass erst einmal private Lösungen gefunden werden und nicht so sehr, dass das politisch thematisiert wird.“
Das hat die Tischlermeisterin und junge Mutter nun geändert. Als sie die Sorgen zu ihrer Schwangerschaft in Selbstständigkeit auf Instagram teilte, fanden sich schnell andere, denen es genauso erging. Gemeinsam mit Handwerkskolleginnen Maxime Krämer und Astrid Hilt startete sie also Anfang des Jahres unter dem #meinewerkstattbleibt eine Petition für einen voll bezahlten, gesetzlich geregelten Mutterschutz auch für schwangere Selbstständige.
Über 80.000 Unterschriften kamen auf der Onlineplattform zusammen. Aber ihre Forderungen sollten nicht in der digitalen Petitionsflut untergehen. „Wir haben uns dann entschieden, die Petition noch einmal im Bundestag einzureichen, komplett neu aufzusetzen und haben lange, eigentlich nur sehr, sehr wenig Stimmen bekommen."
Eine Woche, bevor die Petition als beendet galt, hätten sie ungefähr 5000 Unterschriften gehabt. Deswegen hätten sie begonnen, mit einer etwas größeren Gruppe "richtig Vollgas zu geben und zu versuchen, wirklich größere Reichweiten zu erzielen". Das habe gut funktioniert. "Weil dann so viele Schauspielerinnen und Journalistinnen und andere betroffen waren, die dann auch gesagt haben: Das ist super wichtig. Mir ging es genauso. Das lief echt wie so ein Flächenbrand durch die sozialen Medien. Das war so schön. Ich habe das total gefeiert.“
"Wir sind super, super viele"
Plötzlich schnellte die Unterschriftenanzahl abrupt in die Höhe. Das notwendige Quorum von 50.000 Unterschriften sprengten sie einen Abend vor Ablauffrist um das Doppelte. Seitdem wächst die Initiative und weitet sich auf sämtliche Branchen aus. „Es wird einfach deutlich, dass wir super, super viele sind, nur halt verstreut, nicht vernetzt. Das ist so toll zu sehen, dass es jetzt wirklich so ein Forum gibt, unter dem wir uns treffen können und austauschen können und auch unterstützen können.“
Die Initiative „Mutterschutz für Alle“ schätzt, dass fast eine halbe Million Menschen in Deutschland als selbstständig Schwangere von dem Thema betroffen sind. Wie viele ihre Selbstständigkeit wegen einer Schwangerschaft aufgeben müssen ist unklar. Auch, wie viele sich wegen der schlechten Bedingungen gegen eine Selbstständigkeit entscheiden.
Corinn Wizemann ist eine von denen, bei denen es auf der Kippe steht. Auch sie ist dieses Wochenende zum Tischler*innentreffen nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Die junge Schreinergesellin aus Karlsruhe befürchtet, dass eine Selbstständigkeit ihrem Familienwunsch im Weg steht. „Das ist schon ein bisschen viel, worüber man sich Gedanken machen muss, wo ich mir denke, da müssen sich Männer eigentlich keine Gedanken machen", sagt sie. Schließlich stehe sie schwanger auf der Baustelle mit Holz, Staub, Öl, Lack und sonstigen Schadstoffen und müsse schwer heben.
"Das funktioniert einfach nicht. Da muss einfach genug Absicherung und Grundlage da sein von ganz oben, dass ich sagen kann, ich kann mich darauf verlassen, ich muss da nicht drum kämpfen, ich muss da nicht viel Arbeit und Zeit investieren, dass überhaupt was bei rumkommt", fordert die 23-Jährige.
Website für mehr Sichtbarkeit
Aber die individuelle Ebene ist nicht das einzige Problem. Ein weiteres ist der Fachkräftemangel. Die Handwerksbetriebe konkurrieren jetzt schon um Nachfolgen.
Corinn Wizemann hat noch nicht mal ihre Ausbildung abgeschlossen und wird schon regelmäßig gefragt, ob sie sich nicht vorstellen könnte, einen Betrieb zu übernehmen. „Dann gibt es so viel Werbung von der Handwerkskammer. Wir suchen Handwerkerinnen und wir suchen Nachfolgerinnen. Das Handwerk wird gebraucht und ist wichtig, und dann stehe ich aber als Frau da und sage, ich würde gerne, aber ich kann nicht, weil ich nicht abgesichert bin, weil ich keine Zukunft habe. Das finde ich halt sehr, sehr schade.“
Johanna Röh sieht das genauso: „Da ist ganz viel Potenzial verschenkt, und ich glaube, dass das noch nicht angekommen ist, dass wir Fachkräfte sind, die auch einen ganz großen Beitrag leisten können, wenn wir denn gelassen werden und unterstützt in dieser Zeit.“
Mittlerweile hat die wachsende Initiative nicht nur ein schickes Logo und einen Instagram-Kanal, sondern auch eine Webseite, auf der die Engagierten Informationen zum Thema Selbstständigkeit und Schwangerschaft, sowie Erfahrungsberichte zusammentragen. So sorgen sie auch für mehr Sichtbarkeit. Denn bisher bleiben viele Geschichten noch im Verborgenen. Sie glaube, dass es für die meisten schwierig sei, darüber zu sprechen, sagt Röh. "Weil sie so eine Art eigene Unzulänglichkeit eingeredet bekommen oder ein Bild von sich haben, dass sie selber scheitern. Dabei ist es wirklich dieses Scheitern an dem System. Ich glaube, es ist total wichtig, das zu differenzieren. Das bin ich so dankbar für jede, die damit offen umgeht und darüber spricht, weil ich glaube, da sind ganz schön viele, die an dem Thema verzweifeln.“
"Ich kann nicht mehr"
So auch Louise Härtel. Die selbstständige Schneiderin hat in Radebeul vor zwei Jahren ihren eigenen Stoffladen eröffnet. An einem warmen Sommertag besuche ich die kleine Stadt kurz vor Dresden. Ganz in der Nähe vom Bahnhof Radebeul Ost liegt „Prodyouce“. Das Schaufenster ist mit rot, gelb und blauen Stoffbahnen abgehangen. An der Tür hängen Rabattschilder und gesonderte Öffnungszeiten für dieses Wochenende: Ausverkauf.
Im Laden erwarten mich leer geräumte Kleinstkramregale, Tüten mit Stoffzuschnitten und Kisten mit Reisverschlüssen im Sonderangebot – und Louise Härtel. Die junge Frau steht mit einer Schere in der Hand hinter dem Tresen ihres Ladens, den es bald nicht mehr geben wird. „Dadurch, dass die Entscheidung gefallen ist, dass ich die Selbstständigkeit aufgebe, habe ich das Gefühl, dass ich in diesem Gleichberechtigungskampf versage, dass ich nicht mitkämpfe, aber ich kann nicht mehr. Das ärgert mich. Ich hätte es gern anders. Ich hätte gerne den Leuten gesagt, dass das super ginge und dass ich das toll gewuppt habe. Aber das habe ich nicht. Es geht nicht.“
Auch, wenn sie mich freundlich anlächelt, kann ich Louise Härtel ansehen, dass sie traurig und erschöpft ist. Während immer wieder Kund*innen in den Laden kommen und in den Regalen nach den besten Schnäppchen suchen, versucht die junge Mutter in unseren Gesprächen standhaft zu bleiben.
Es ist unverkennbar, dass ihr der heutige Ausverkauf schwerfällt. „So eine Selbstständigkeit bedeutet ja irgendwo immer, dass man sich selber verwirklicht. Es ist ja auch so ein Stück Lebenstraum, den man einfach wegschneidet. Ich habe immer mal Kundschaft hier, die sagt mir: Ja, dann machst du dich nächstes Jahr noch mal selbstständig oder in drei Jahren, wenn das Kind größer ist. Aber das macht man nicht." Die letzten Jahre seien enorm anstrengend gewesen. Sie habe kein Geld und keine Kraft mehr, um noch einmal den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. "Das macht mich traurig.“
Wenn als Ausweg nur die Aufgabe bleibt
Louise Härtel wollte sich schon während ihrer Ausbildung gern selbstständig machen und sparte seitdem auf ihren Traum vom eigenen Stoffladen. Kurz nachdem sie ihn eröffnete, wurde sie unerwartet schwanger. Sie und ihr Mann hatten zwei Jahre lang vergeblich versucht, ein zweites Kind zu bekommen. „Ich bin im Januar schwanger geworden, mit dem Anfang vom Lockdown. Mir ging es auch nicht gut. Ich war auch im Krankenhaus. Das macht es nicht einfacher. Es gab niemanden, der für mich hätte arbeiten können. Keine Einnahmen und Corona und das Baby. Es war halt einfach viel.“
Dabei könnte die selbstständige Arbeit mit ihren flexiblen Arbeitszeiten eine so gute Grundlage für eine Schwangerschaft sein. Im europäischen Vergleich ist die Situation der deutschen Selbstständigen jedoch besonders angespannt. Louise Härtel hat auch keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als ihren Laden aufzugeben. „Das mache ich, weil mir meine Familie wichtig ist. Aber das mache ich nicht gerne. Das ist für mich trotzdem schwierig, auch, wenn ich weiß, warum ich es mache. Auch, wenn ich ein liebes Baby zu Hause habe, was mich anlächelt, ist es trotzdem schwierig.“
Die letzten Artikel im Laden verkauft sie weit unter Wert. Er muss schließlich für die Übernahme leer geräumt sein. Wie es dann beruflich für sie weitergeht, kann sich die 28-Jährige noch nicht vorstellen. „Lieber was ganz anderes, was überhaupt keine Berührungspunkte damit hat, um das nicht immer wieder vor Augen geführt zu bekommen. Wenn du meinen Mann fragst, der sagt, es war furchtbar und das Schlimmste, was wir jemals gemacht haben. Aber für mich war es nicht schlimm in dem Sinne, sondern es war schön. Es war mein Traum. Genau das wollte ich. Das werde ich nie wieder haben.“
Erfahrungsberichte für die Ausschusssitzung
Einen Tag vor der Petitionsausschusssitzung in Berlin fahre ich in den Nollendorfkiez. Hier treffen sich Tischlermeisterin Johanna Röh, Schreinermeisterin Maxime Krämer, Bildhauermeisterin Astrid Hilt und Anwältin Angela Heinssen und bereiten sich vor. Gerade überlegen sie, welche der zahlreichen Erfahrungsberichte sie mit einfließen lassen können.
"Erzählen wir von der, die gerade ihren Laden auflöst, oder von der, die mit runtergezogener Arbeitshose ihr Kind bekommen hat", fragt Johanna Röh. "Davon, dass sie wirklich bis kurz vor die Geburt gearbeitet hat, noch die Schränke montiert hat und dann in einer runtergezogenen Arbeitshose ihr Kind bekommen hat." Maxime Krämer erinnert an eine Frau, die acht Cent Mutterschutzleistung bekommen habe. "Da ist die Überweisung an sich einfach schon Schwachsinn. Der Frau 0,08 Euro pro Tag auszuzahlen. Das ist einfach Bürokratie." Sie selbst habe gerade eine Maschine in ihrer Schreinerei verkaufen müssen, weil sie ein zweites Kind bekommen wolle.
Maxime Krämer antwortete auf Johanna Röhs ersten Instagram Post, in dem sie ihre Schwangerschaft als Selbstständige thematisierte: „Ich könnte hier einen Roman über meine Erfahrungen schreiben.“ Damals war Maxime Krämer gerade Mutter geworden und hatte den ersten Schock der schlechten Bedingungen für schwangere Selbstständige gerade erst verdaut. „Einmal hat mich schockiert, dass ich mich als selbständige Frau – ich nenne es jetzt einfach mal so – überhaupt noch mal zusätzlich absichern muss, dass ich eine Krankentagegeldversicherung abschließen muss, um überhaupt Anspruch auf Leistungen zu haben. Wie kann es überhaupt dieses Wort gesetzlicher Mutterschutz geben, wenn das überhaupt nicht für alle Frauen gilt?“
Allein in einer riesigen Werkstatt
Diese Erlebnisse motivierten sie, sich zu engagieren. Ihre eigene Werkstatt in Heidelberg führt sie seit 2016 erfolgreich. In ihrer Region wird sie zum Vorbild, bildet Frauen aus, gewinnt Preise und erarbeitet sich einen ansehnlichen finanziellen Puffer, mit dem sie nach drei Jahren beschließt, in die Vergrößerung ihrer Werkstatt zu investieren. „Dann war es so, dass ich Anfang 2020 die Nachricht von meiner Angestellten bekommen habe, dass sie schwanger ist. Die ist dann ab Tag eins der Schwangerschaft ins Beschäftigungsverbot gegangen. Ich hatte gerade 40.000 Euro, 50.000 Euro investiert, hatte volle Auftragsbücher und dann kam Corona. Meine zweite Angestellte, die in der Ausbildung war, durfte nicht mehr kommen, weil sie im ersten Lehrjahr war und die Schule gesagt hat, ihr dürft jetzt nicht mehr in die Betriebe gehen. Das heißt, ich stand ohne Angestellte alleine in einer riesen Werkstatt, mit neuen Maschinen, vollen Auftragsbüchern.“
Doch die ehrgeizige 31-Jährige erarbeitet sich noch im ersten Coronajahr wieder einen finanziellen Puffer. „Den ich dann aber komplett während der Schwangerschaft beziehungsweise dann im Mutterschutz aufgebraucht habe.“ Das alles, obwohl sie gut vorbereitet und versichert war.
Mittlerweile ist ihre Tochter über ein Jahr alt und Maxime Krämer hat das Gefühl wieder von vorn anfangen zu müssen. Gerade pumpt sie Geld, an das sie durch ein vorzeitiges Erbe gekommen ist, in ihren Betrieb. „Mit dem Wissen, dass ich eigentlich noch ein zweites Kind haben möchte, frage ich mich halt manchmal echt, wozu mache ich das? Am Ende wird all das, was ich mir jetzt wiederaufbaue, wieder kaputtgehen.“ Deshalb hat sie sich jetzt dazu entschieden, ihre Maschinen zu verkaufen und ihren Betrieb wieder zu verkleinern.
"Das System funktioniert einfach nicht"
„Es fällt mir schon schwer", sagt Krämer. "Ich habe mir was aufgebaut, worauf ich stolz bin. Das dann wieder zu reduzieren, ist schon eine Entscheidung, die mir sehr, sehr schwerfällt. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass ich meine Firma nicht über mein Kind oder über meinen Kinderwunsch stellen möchte. Wir sind doch jetzt in 2022 und nicht in 1900. Es sollte eigentlich möglich sein, dass eine Frau sich entfalten kann. Warum soll das nur Männern vorbehalten sein? Ich sehe es so, dass das System einfach nicht funktioniert, und das Wort gesetzlicher Mutterschutz eigentlich gar nicht geschrieben sein sollte. Das ist falsch meiner Meinung nach. Das soll auch morgen im Petitionsausschuss klarwerden.“
Sie sitzen nun zwischen den Vertreter*innen der Regierungsparteien am runden Tisch im Paul-Löbe-Haus. Zum ersten Mal drückt Johanna Röh auf den Knopf, um das Mikrofon vor ihr anzuschalten. „Wir sind heute hier, um für die über 100.000 Menschen zu sprechen, die für einen echten Mutterschutz für Selbstständige unterschrieben haben. Wir sprechen aber vor allem für die, die hochschwanger ihren Betrieb führen und im Wochenbett wieder im Geschäft stehen müssen, weil sonst die einzige Alternative die Aufgabe ihres Betriebes ist oder sogar die Insolvenz.“
Der nächste Schritt: die Gründung eines Vereins
Tochter Mela wird während ihre Mutter spricht im Kinderwagen durch die Flure des Paul-Löbe-Hauses geschoben. Nach dem Eingangsstatement beantworten Johanna Röh und Angela Heinssen konzentriert die Fragen der Abgeordneten. Sie lassen sich keine Gelegenheit entgehen, die Dringlichkeit ihres Anliegens deutlich zu machen: „Jede unterschiedliche Behandlung von angestellten Frauen mit sich selbst ist Diskriminierung", zitiert Angela Heinssen ein Urteil der internationalen Frauenrechtskonvention. „Das ist ein ganz besonders gutes Beispiel, dass es sich lohnt zu kämpfen, denn im Moment verletzen wir nicht nur die EU-Richtlinie, meiner Meinung nach aber ganz sicher die Frauenrechtskonvention. Der Zustand hier ist völkerrechtswidrig.“
Nach einer Stunde ist die Sitzung beendet. Im Foyer, vor einem großen Fenster hinter dem die Spree in der Herbstsonne glitzert, stehen Johanna Röh, Maxime Krämer, Astrid Hilt, Angela Heinssen und ihre Mitstreiter*innen für Fotos beisammen. Symbolisch halten sie eine offen ausgestreckte Hand nach vorne. Nach den Fotos netzwerkt Johanna Röh weiter. Die Anspannung ist noch nicht ganz von ihr abgefallen. „Wir haben uns auch darauf vorbereitet, ein bisschen Gegenwind zu bekommen. Der ist ausgeblieben. Deswegen habe ich hohe Erwartungen, und die dürfen erfüllt werden. Ich erwarte, dass es erst einmal ein hohes Votum gibt, und im nächsten Schritt erwarte ich Handlungen.“
Im nächsten Schritt will die Initiative einen Verein gründen, um Beratungen für Betroffene anbieten zu können. Im Foyer ebbt der Andrang ab. Alle verabschieden sich langsam. Johanna geht auf den Kinderwagen zu, der die ganze Zeit am Rand steht. Sie nimmt ihre Tochter in ihren Arm. „Ich glaube, dass das schon eine ziemliche Anstrengung war für Mela, für mich, für Martin. Wir werden uns dann mal kurz sammeln, bevor wir zurückfahren.“