Tag der Muttersprache
Dass Kinder mit Migrationshintergrund in der Sprache ihrer Eltern unterrichtet werden, ist in Deutschland noch eine Seltenheit. © picture alliance / Blend Images / Paco Navarro
Sprache als Schlüssel zur Welt
Ob Türkisch oder Englisch: In Deutschland wachsen viele Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch auf. Die Schulen sind darauf kaum ausgerichtet. Zum Tag der Muttersprache weist die Unesco darauf hin: Mehrsprachige Bildung ist eine Chance.
Der 21. Februar ist der Tag der Muttersprache. In diesem Jahr will die UNESCO dabei die mehrsprachliche Bildung in den Vordergrund rücken. Mehrsprachigkeit auf der Grundlage der Muttersprache erleichtere Mitgliedern kleinerer Sprachgruppen den Zugang zu Bildung, heißt es im aktuellen Aufruf. Es sei notwendig, die mehrsprachige Bildung zu verbessern. Ein Thema, das in Deutschland auch schon länger diskutiert wird.
Wenn die Unterrichtssprache nicht die Muttersprache ist
Für jedes dritte Kind weltweit bedeutet die Einschulung den Eintritt in eine sprachlich fremde Umgebung. Nach Zählung der Sprachenforscher der Nichtregierungsorganisation SIL verbringen etwa 35 Prozent der Kinder ihre Schulzeit in Klassenzimmern, in denen die Unterrichtssprache nicht die Sprache ist, die sie zu Hause sprechen – das schränke ihre Erfolgschancen deutlich ein.
Die ärmsten und schwächsten Bevölkerungsgruppen etwa im Norden Afrikas und dem Nahen Osten seien davon am meisten betroffen, was den Kreislauf von Armut und sozialer Ungleichheit weiter verstärke. Für Deutschland geben die Statistiker des SIL-Portals "Ethnologue" an, dass jedes fünfte Kind nicht in der Herkunftssprache unterrichtet wird.
Deutsche Schulen nicht auf Mehrsprachigkeit ausgerichtet
39 Prozent der in Deutschland lebenden Kinder hatten 2019 einen sogenannten Migrationshintergrund. Doch das deutsche Schulsystem ist weiterhin auf Kinder mit deutscher Herkunftssprache ausgerichtet, nicht auf Mehrsprachigkeit. Die Bedürfnisse und Potenziale von Kindern, die zu Hause auch Arabisch, Kurdisch, Russisch oder Polnisch sprechen, werden im System vernachlässigt beziehungsweise nicht von diesem abgerufen.
Langfristig, da ist man sich in der Wissenschaft einig, kann sich ein Land wie Deutschland ein auf einsprachig aufwachsende Kinder ausgerichtetes Schulsystem eigentlich nicht mehr leisten. Würde man Muttersprachen wie Türkisch, Arabisch, Kurdisch als eigene Fremdsprache akzeptieren, könnte man diese im Schulsystem als Zweitsprache anerkennen lassen und so eine weitere Hürde zum Abitur nehmen.
Denn um Abitur machen zu können, ist der Nachweis einer zweiten Fremdsprache nötig. Und wenn diese statt Englisch nun mal Arabisch ist, hat man diese Hürde formal nicht genommen, obwohl man reell über weitere Sprachkenntnisse verfügt. In Bremen ist das anders, dort ist es möglich, sich in der eigenen Muttersprache testen und diese als Zweitsprache anerkennen zu lassen.
Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita
Die UNESCO hält es für notwendig, das Bildungssystem bereits in der frühkindlichen Erziehung in Richtung Mehrsprachigkeit umzubauen.
In Deutschland gibt es derzeit die sogenannten „Sprach-Kitas“. Dabei handelt es sich um ein Bundesprogramm, das, wie es im Titel des Programms heißt, Sprache als Schlüssel zur Welt begreift: Durch Sprache, so heißt es dort weiter, würden wir mit Menschen in Kontakt treten und uns Wissen aneignen. Sprachliche Kompetenzen hätten Studien zufolge einen erheblichen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg und den Einstieg ins Erwerbsleben.
Das Ziel der Sprach-Kitas ist die sogenannte alltagsintegrierte sprachliche Bildung. Das bedeutet: Beim Bilderbücheranschauen, beim Mittagessen oder beim Spielen – überall können und sollen Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern sprechen. Denn Sprache lernen Kinder gerade im Kitaalter am besten durch Hören und Reden. Damit Kinder mehr sprechen, brauchen sie bestimmte Impulse. Diese sollen Sprachfachkräfte in die Kita-Teams bringen. Mittlerweile sind 7500 solcher Stellen geschaffen worden, etwa jede achte Kita in Deutschland profitiert davon.
Doch diese vom Bund geförderte Initiative steht nun vor dem Aus. Der Bund will sich Ende Juni aus der Finanzierung des Programms zurückziehen und die Verantwortung an die Länder übergeben. Bislang haben nur wenige Länder signalisiert, dass sie die Sprach-Kitas weiterführen wollen.
Dabei wären zusätzliche Anstrengungen dringend notwendig, sagt Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung: „Entscheidend ist ja jetzt nicht, ob es ein Programm gibt oder nicht, sondern entscheidend ist, dass die gesamte Situation sich verändert.“
Vielen Kitas fehle das Personal, um die frühkindliche Bildung zu stärken, kritisiert Stein. Sie fordert bundesweit einheitliche und kindgerechte Personalschlüssel, damit alle Kitas besser ausgestattet sind. Dann hätten die Fachkräfte auch mehr Zeit für ihre eigentliche pädagogische Arbeit – und für die Sprachbildung.
Englisch als Muttersprache hat ein gutes Image, Arabisch nicht
Forscher gehen davon aus, dass in Deutschland rund 100 Sprachen in den Schulen gesprochen werden. Diese werden jedoch unterschiedlich bewertet: Der Besitz französischer oder englischer Sprachkenntnisse wird positiver wahrgenommen als das Sprechen von Arabisch oder Türkisch.
Obwohl Sprachwissenschaftlicher sich darüber einig sind, dass die Ausbildung der eigenen Muttersprache, egal, um welche es sich handelt, sich immer positiv auf die Fähigkeit des Kindes auswirkt, weitere Sprachen zu erlernen, werden die öffentlichen Debatten regelmäßig von Diskussionen über Deutschpflicht an Schulen begleitet. Wissenschaftlich sind diese Debatten nicht zu begründen.
Studien widerlegen den oft geäußerten Eindruck, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder überfordert sind und keine ihrer Sprachen richtig beherrschen. Wer schon seit früher Kindheit mit zwei oder mehr Sprachen aufwächst, kann die Fähigkeiten in einer Sprache für andere Sprachen nutzen, fassen Wissenschaftler des Mercator-Instituts für Sprachförderung die Forschungsergebnisse in einem Faktencheck zusammen.
So hätten Kinder, die in ihren beiden ersten Sprachen gut lesen können, "ein stärker ausgeprägtes metasprachliches Bewusstsein, das sie vorteilhaft für das Lesen in der dritten Sprache einsetzen können".
Quellen: Deutschlandradio, Katja Hanke, Luise Sammann, dpa, ckr