Nachhilfe im Menschsein
Eigentlich will das Performance-Kollektiv Gob Squad einem künstlichen Wesen erklären, was es bedeutet, ein fühlender Mensch zu sein, Emotionen auszuhalten, zu erleiden und zu genießen. Letztlich aber erklären sie uns auf magische Weise, was das Menschsein ausmacht.
Es ist erst einmal nicht viel, was dieser "autonome humanoide Roboter" zustande bringt: Hinsetzen kann er sich nicht ohne Hilfe, gehen auch nicht, und eigentlich schaut er nur nach links und rechts. Aber das hat er gelernt, und es ist wohl keine Kleinigkeit in der Welt der künstlichen Intelligenz: Er entscheidet selbst, was er sich ansieht, worauf er den Blick richtet und welche auditiven und visuellen Reize er abspeichert.
Davon bekommt er an diesem Abend in der Komischen Oper Berlin allerdings jede Menge geboten: Ein Mond geht hinter ihm auf, eine Wolke schwebt über seinem Kopf, aus dem Graben brandet der Klang des Orchesters und mehrere Solistinnen und Solisten buhlen mit Verdi, Dvorak, Schubert um seine Aufmerksamkeit.
Was die Performer des deutsch-englischen Kollektivs "Gob Squad" mit "My Square Lady" fast drei Stunden lang auffahren, ist trotzdem vor allem eine raffinierte Täuschung. Nur scheinbar geht es nämlich um den niedlichen "Myon" und die Frage, was Roboter heute und in Zukunft alles anstellen können. Nein, es geht um uns.
Dabei ist einer der Mitentwickler, samt Team, Teil der großen Show: Neurorobotik-Professor Manfred Hild erklärt dem Publikum jede Menge Details aus seiner Forschung, irgendwann aber singt er im Glitzersakko "Feel" von Robbie Williams (und zwar ganz beachtlich), während seine Mitarbeiter im Hintergrund eine hinreißend linkische, aber von Herzen kommende Choreografie aufführen.
Weinen und Hoffen
Eigentlich wollen Gob Squad einem künstlichen Wesen erklären, was es bedeutet, ein fühlender Mensch zu sein, was es bedeutet, Emotionen auszuhalten, zu erleiden und zu genießen. Die Oper ist tatsächlich ein idealer Ort für dieses Unterfangen, auch wenn es sich die Performance-Revue im ersten Teil sehr in die Länge zieht und einige eher peinsame Momente liefert.
Die Gob-Squad-Protagonisten wissen natürlich genau, wie man auf der Bühne so tut, als spreche man ganz spontan - die Ensemblemitglieder, die Sängerinnen und Sänger jedoch tun sich sehr schwer damit. Sie erzählen von sich selbst, von Heimatgefühlen und Ängsten, vom Weinen und Hoffen, indem sie auswendig gelernte Texte unnötig vollmundig wiedergeben. Falsch klingt das und ein bisschen wie im Kinderprogramm, zumal auch die Übergänge zu den angestimmten Musikstücken mehr als holprig und übermoderiert wirken.
Nach der Pause aber entfaltet der Abend, während er immer wieder die Mitarbeiter der Oper selbst zu Wort kommen lässt, einen hinreißenden Sog. Nun muss uns Myon, der die Eliza Dolittle in diesem Menschwerdungsprojekt darstellt, nicht mehr erklärt werden. Nun darf das Theater auffahren, was es hat: Landschaftsprospekte werden aufgezogen, lebensgroße Tiere über die Bühne getragen, und immer wieder wird vom Schmerz gesungen, während Myon tatsächlich fasziniert zuzuschauen scheint: Quer durch die Musikgeschichte geht es unter Leitung von Dirigent Arno Waschk, und jedes einzelne Stück soll auf andere Weise illustrieren, was das Menschsein ausmacht.
Musikalischer Nachhilfeunterricht
Vielleicht ist ja am Ende das Sterbenmüssen, was uns wirklich definiert. Also singt der Chor der Komischen Oper "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" aus Brahms Deutschem Requiem, während der kleine Roboter komplett auseinandergebaut und wieder zusammengesetzt wird, stirbt und ohne Probleme wiedergeboren wird.
Natürlich soll nicht er begreifen, warum uns der Abschied vom Leben so schwerfällt oder warum wir manchmal vor lauter Glück weinen müssen. Für uns, für das Publikum, ist dieser große, musikalische Nachhilfeunterricht da, der immer anschaulicher, immer gefühliger, immer bewegender wird.
So ist es dann auch fast unmöglich, sich dem Pathos des großen Finales zu entziehen, bei dem natürlich auch noch der Kinderchor auftritt und in dem schließlich sogar Myon mit schnarrender Stimme den Anfang von "I Sing the Body Electric" aus dem Musical "Fame" anstimmt. Glücklich macht dieser Schluss. Denn was hier auf magische Weise veranschaulicht wird, ist, was uns Kunst und Illusion zu geben, was sie uns über uns selbst zu erzählen haben.
Schlicht, sehr kitschig
Das alles ist ganz schlicht, sehr kitschig im Grunde, getragen von einem naiven Staunen darüber, wer wir sind. Von einem Staunen darüber, wie wehende Theatervorhänge und künstliche Wolken, wie menschliche Stimmen und schmetternde Akkorde den Teil von uns in Wallung bringen, den man, etwas peinlich berührt, wohl die Seele nennen könnte. Myon, das sieht man ihm an, versteht das nicht. Wie sollte er auch? Aber man hat dann doch den Eindruck, er schaut uns beim Ergriffensein immer gebannter zu.