MyKuhTube

Kuhstall-TV

07:28 Minuten
Eine Kuh blickt auf einer Weide hinter weiteren Herdenmitglieder hervor.
Der Alltag der Kuh ist einen Blick wert. © imago images / Frank Sorge
Von Dietrich Mohaupt |
Audio herunterladen
Melken, füttern, Dünger ausbringen: Auf dem Youtube-Kanal MyKuh Tube gehen Milchbauern in die digitale Offensive. In selbstgedrehten Videos zeigen sie ihren Arbeitsalltag – aber auch niedliche Kälber.
"Hallo, hier ist Dirk aus Ammerland / Hallo, wir sind Tanja und Maren aus Oldenburg / Hi Leute, ich bin’s, Torsten aus der Mittelweser-Region / Hallo, hier ist Christian aus dem Landkreis Cuxhaven / Hallo, hier ist wieder Hartwig aus dem Osnabrücker Land / Hallo, ich bin’s, Katrin aus der Region Hannover / Ja, ich bin Andrea aus dem Heidekreis."
Unschwer zu erkennen, es geht um Milchviehhaltung – oder, etwas weniger sperrig formuliert, um Kühe und um den Arbeitsalltag der Bäuerinnen und Bauern im Umgang mit diesen Kühen. Bei der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in Niedersachsen betreut Jessica Kraack das Projekt "MyKuhTube".
"Das Projekt gibt es tatsächlich nicht erst seit gestern, sondern das gibt es bald seit sieben Jahren. Im Mai 2013 sind wir gestartet. Wir gehen wöchentlich mit zwei Filmen – dienstags und donnerstags im Regelfall – online und nehmen da ganz unterschiedliche Themen rund um den Kuhstall halt auf."

Aufpolierte Imagekampagne?

Also, eigentlich ja in erster Linie Themen aus dem Kuhstall, aber natürlich auch alles Mögliche, was sich sonst noch so auf den Höfen tut. Mehr als 620 Videoclips sind so bisher entstanden. Naja, schon wieder so eine aufpolierte Imagekampagne, die mit viel Geld und technischem Aufwand schöne Bilder von der heilen Welt der Landwirtschaft produzieren soll, könnte man vermuten. Eben nicht, widerspricht Jessica Kraack. Mit möglichst wenig Aufwand von den Akteuren vor Ort, also von den Landwirten, selbst produziert, ein bisschen aufbereitet und dann ab ins Internet, so lautet die Devise.
"Es geht uns halt darum, möglichst self-made, nicht Hochglanz, zu zeigen: So sieht es auf Betrieb XY, also auf einem unserer MyKuhTube-Betriebe aus. Ungeschönt, einfach wie es dort aussieht. Das sind die authentischen Bilder, die wir da zeigen."
"Ja, hallo meine lieben MyKuhTube-Fans. Hier bin ich wieder, Anita aus dem Oldenburger Münsterland. Ich bin mal wieder an meinem Lieblingsarbeitsplatz, unserer Kinderstube. Heute möchte ich euch mal etwas Besonderes zu den Rassen der Kühe erzählen. Im Hintergrund seht ihr ein schwarz-buntes Kalb, das da auch schon ein bisschen am bölken ist."
Bewaffnet mit einer handlichen Videokamera steht Anita Lucassen auf ihrem Hof bei den Kälberboxen. Neugierig beobachtet das gerade einmal vier Tage alte schwarz-bunte Kalb aus großen Kulleraugen, wie die Kamerafrau zu einem flotten Schwenk um die Box herum ansetzt, um die Szenerie kurz darauf aus einem anderen Blickwinkel ins Bild zu setzen.
"So, da haben wir wieder das Holstein-Kalb, und im Winkel daneben – konnte man eben schon ein bisschen sehen, ist ein ganz braunes Kalb. Gucken wir uns das jetzt nochmal etwas näher an. Es hat auch keine weißen Füße, es hat keine weißen Flecken, es ist ein komplett braunes Kalb. Ja, wie kommt dieses komplett braune Kalb auf unseren Betrieb?"

Mehr als Kuschel-TV

Das ist die Preisfrage, um die sich bei diesem MyKuhTube-Video von Anita Lucassen in den nächsten Minuten alles drehen wird. Soviel sei verraten, es geht dabei um den sogenannten "Rotfaktor", ein dominantes rot-buntes Gen der eigentlich schwarz-bunten Mutterkuh, das bei der Kreuzung mit einem Fleischrind der Rasse Limousin so ein bezaubernd niedliches, schokoladenbraunes Kalb hervorbringt. Na klar, Kulleraugen- und Kuschel-TV, das funktioniert halt immer, mag der kritische Betrachter jetzt mutmaßen. Aber das will Anita Lucassen so nicht gelten lassen.
"Nein, MyKuhTube ist natürlich ganz und gar nicht nur Kuschel-TV! Natürlich kommen die Kälber da auch mal drin vor, das ist ja auch ein Teil unserer täglichen Arbeit. Wir zeigen aber auch alle Teile dieser täglichen Arbeit. Das heißt, auch die erwachsenen Kühe beim Melken, wie die Rinder aufwachsen, was halt drumherum passiert, wie wir die Liegeboxen einstreuen, wie die Ernte funktioniert für das Futter. Da ist wirklich halt alles mit dabei."

Eigene Ideen und Fantasie statt Vorgaben

In dem Video wird übrigens auch nicht unerwähnt bleiben, dass das kleine braune Bullenkalb schon bald an einen Mäster verkauft wird – und dann: naja, das übliche halt. Im Zweifel wird auch mal die dramatische Geburt eines Kälbchens in Steißlage gezeigt – nicht wirklich jedermanns Sache. Auf jeden Fall alles andere als Kuschel- oder Kulleraugen-TV, aber eben auch Teil des Alltags auf einem Milchviehbetrieb.
Für die Videoclips gibt es weder Themenvorgaben von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft noch einen festen Drehplan oder Drehbücher. Eigene Ideen und Fantasie sind gefragt.
"Also, ich mache mir jetzt nicht am Anfang des Jahres so eine Liste, was ich eigentlich über das Jahr gerne mal zeigen möchte", sagt Anita Lucassen. "Das ergibt sich halt ganz spontan. Manchmal auch aus der allgemeinen Gemengelage, die in den Medien gerade herrscht, dass man dann zu einem aktuellen Diskussionsthema etwas macht. Zur Düngerausbringung habe ich dann auch schon mal etwas gemacht. Aber im Allgemeinen entsteht das eigentlich immer sehr spontan."

Stolz, Landwirtin zu sein

Seit 2016 ist Anita Lucassen bei MyKuhTube aktiv. Über die Auszeichnung mit dem Digital Future Award der Agrarfachpresse für das Projekt hat sie sich sehr gefreut, aber eigentlich wolle sie mit den Videos keine Preise gewinnen, sondern einfach zeigen, wie Landwirtschaft tickt und zwar möglichst glaubhaft, ohne sich irgendwie zu verstellen.
"Ich bin stolz, Landwirtin zu sein, und ich stehe voll dahinter, was uns tagtäglich bewegt, wie wir mit den Tieren umgehen, wie wir mit Natur und Umwelt umgehen. Und wenn ich nicht voll dahinterstehen würde und sehen würde, dass es gut ist, was wir hier machen, dann könnte ich das natürlich auch nicht entsprechend authentisch transportieren nach außen."

Mit etwas Übung gelingen die Filme

Videos drehen über die eigene Arbeit auf dem Bauernhof: In ihrer Ausbildung zur Agrarökonomin war das nicht wirklich ein Schwerpunkt. Gar nicht so einfach, sich da reinzufuchsen. Es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen, erinnert sich Anita Lucassen mit einem leichten Schmunzeln an ihre ersten Gehversuche mit der Videokamera.
"Das ist natürlich ein bisschen eine Übungssache. Wenn ich mir meine ersten Filme so ankucke, dann merke ich auch, wie oft da noch so das ähhhmmm drin vorkommt und wie flüssig das meistens doch mittlerweile dann funktioniert. Ist natürlich auch ein bisschen tagesformabhängig, aber im Allgemeinen ist das schon, ja man ist das halt irgendwann schon gewohnt, sich entsprechend zu äußern und flüssig zu reden und auf gewisse Sachen zu achten."
Und wenn das mal nicht so klappt, auch nicht weiter schlimm. Zu einem echten MyKuhTuber gehört auch, dass er sich mal ganz gepflegt über sich selbst lustig machen kann – wie die Jungs in dem Clip, der als Jubiläumsausgabe zur Feier des 500. MyKuhTub-Videos im Mai 2018 veröffentlicht wurde.
"Ihr seid ja nicht ernst. Mach weg! Ja, okay. Moin, ihr Käseschnitten, jetzt reißt euch mal zusammen hier, ein bisschen mehr Professionalität am Set! Gibt's doch nicht, immer mit diesen Amateuren. Kann ja wohl nicht wahr sein! Moin, ihr Käseschnitten!"
Mehr zum Thema