"Myriad. Where we connect"

Mit Virtual Reality gegen den Klimawandel

05:31 Minuten
Visualisierung eines Polarfuchses in einer Eislandschaft.
Polarfuchs auf Streifzug: "Myriad" macht es möglich, dem Tier in einer Virtual-Reality-Umgebung zu folgen. © Interactive Media Foundation
Von Christian Berndt · 11.09.2021
Audio herunterladen
Einem Polarfuchs auf Wanderschaft folgen, mit dem Waldrapp nach Palmyra fliegen oder mit einer Schildkröte durchs Meer schwimmen: "Myriad" macht es per VR-Brille möglich. Daran soll man auch die Folgen des Klimawandels sehen können.
Ein Polarfuchs streift durch die arktischen Weiten. Er hat sich auf den Weg von Spitzbergen nach Kanada gemacht. Am Schluss wird er 3500 Kilometer zurückgelegt haben, auf teils gefährlich dünnen Eisflächen, die unter den Pfoten knacken.
"Myriad. Where we connect" schildert eine Reise, die tatsächlich stattgefunden hat. Eine Biologin, die einem Polarfuchs auf seiner Wanderung mittels Sender gefolgt ist, war als Beraterin beteiligt an dieser sogenannten Virtual Reality Experience, kurz: VR-Experience. In "Myriad" wird man in eine dreidimensionale virtuelle Welt versetzt, in der man dem Polarfuchs auf seiner Reise begleiten kann:
"Es ist wirklich eine Geschichte, die genauso abgelaufen ist", sagt Produzent Michael Grotenhoff von Interactive Media Foundation. "Normalerweise migrieren Polarfüchse nicht in dieser Größenordnung. Und jetzt ist die Vermutung, dass Klimawandel und andere Veränderungen den Lebensraum der Polarfüchse auch verändern und bedrohen, dass die darauf reagieren und dann so eine Monsterwanderung hinlegen. Das hat es bislang auch noch nicht gegeben. Und deswegen haben wir uns diese spezielle Geschichte herausgepickt."

Bewusstsein schaffen für Umweltthemen

Das gemeinnützige Berliner Kreativstudio, das "Myriad" gemeinsam mit der Produktionsfirma Filmtank entwickelt hat, wurde gegründet, um solche Stoffe crossmedial zu vermitteln. Wissenschaftliche Unterstützung gab es bei diesem Projekt unter anderem vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Und "Myriad" hat es schließlich auf das Filmfestival Venedig geschafft.
"Als dokumentarisch interessierte Firma ist uns wichtig, gesellschaftlich-politische und auch umweltpolitische Themen aufs Tablett zu bringen und dafür ein Bewusstsein zu schaffen", sagt Grotenhoff. "Wir arbeiten auch gerne interaktiv, weil wir versuchen, die Leute in diese Themen hineinzuziehen und zu beteiligen, weil wir die Leute wirklich aktivieren wollen."
Man kann in "Myriad" dem Polarfuchs durchs Eis folgen, mit einem Waldrapp übers Gebirge fliegen und mit einer Schildkröte im Meer tauchen.

Kein billiger Abklatsch der Realität

In den Räumen der Interactive Media Foundation in Berlin-Kreuzberg führt das Team "Myriad" vor. Es geht los mit dem Aufsetzen der Brille, und dann fängt es an: Man fliegt mit dem Waldrapp in die Wolken, es geht über Gebirge bis zu den Ruinen von Palmyra. Hier hat vor dem syrischen Bürgerkrieg einer der letzten dieser vom Aussterben bedrohten Vögel gebrütet.
Schaut man runter, sieht man das Land weit unter sich. Aber beängstigend ist es nicht, denn die Landschaft wirkt eher abstrakt als real: "Es ist ganz klar eine künstlerische Interpretation", sagt Grotenhoff. "Was wir nicht machen wollten: die Welt möglichst realitätsnah nachzubilden. Das ist schwierig, ich halte das persönlich immer für einen billigen Abklatsch der realen Welt. Also ist es immer eine Art künstlerische Interpretation des Ganzen. Und das ist eine schöne Zusammenarbeit, mit bildenden Künstlern sowas zu machen, das hat ja schon was Malerisches."

Tierbewegungen wirken echt

Als ästhetisches Grundmotiv hat man Kohlenstoff gewählt, meint Grotenhoff, weil der etwas verkörpere, das Mensch, Tier und Natur verbindet. Die Landschaften haben die kantigen Formen von Kohle-Partikeln, aber bei aller Abstraktion wirken die Bewegungen der Tiere sensationell echt:
"Die möglichst reale Bewegungsdarstellung von Tieren bewirkt eigentlich die größte Authentizität", sagt Sebastian Baumann von den am Projekt beteiligten Miiqo Studios. "Also wenn ich dieses Tier nur an einer Aneinanderreihung von Vierecken hätte und das Tier würde sich trotzdem so bewegen, wie man es jetzt in der Brille sieht, dann würde man trotzdem ganz klar sagen, das ist ein Vogel. Andersrum würde es nicht funktionieren, wenn der Vogel super aussieht, sich aber nicht authentisch bewegt, dann hat man ein Problem damit."
Gerade bei den perfektesten Animationen wirkt die kleinste Unstimmigkeit irritierend.

Die "Myriad"-VR-Experience ist Teil eines größeren Projektes, zu dem auch Ausstellungen gehören sollen, und sie ist nicht nur in Venedig zu sehen, sondern bis zum 19. September auch in Berlin. In dieser halben Stunde kann man erleben, wie klimatische Veränderungen Migrationen auslösen, die auf sich genommen werden, auch wenn es das eigene Leben kostet. Da sind sich Mensch und Tier gleich.
Mehr zum Thema