Mythenschöpfer
Im Zentrum der Londoner Schau steht der Geschichtenerzähler Gauguin, der sich als Christus und Dämon stilisierte, und der Maler als "Manipulator seiner künstlerischen Identität". Einen Schwerpunkt unter den rund 150 gezeigten Werken des Künstlers bilden die in der Südsee entstandenen Bilder.
Nein, ganz so schlecht wie man ihn oft hinstelle, sei er nicht, dieser Paul Gauguin, jedenfalls nicht als bildender Künstler, meint Kuratorin Belinda Thomson. Der Maler und Bildhauer Gauguin sei ungeheuer subtil, komplex und schwierig.
Und wie war er als Mensch? Sicher ebenso schwierig, wenn wohl auch weniger subtil. Gauguin war ein Außenseiter, ein Macho und sicher kein sonderlich betören-der Liebhaber. Als Makler an der Pariser Börse und privater Spekulant war er vorübergehend erfolgreich, sein Herz aber schlug für die Kunst.
Als er es sich leisten konnte, sammelte er Bilder – am liebsten Cézanne –, und sonntags griff er selbst zum Pinsel. Die Malerei war seine große Passion, ihr opferte er vieles – auch die Freundschaft mit van Gogh –, und für sie ließ er sogar seine Familie im Stich, die Frau und die fünf Kinder. Und er lebte ganz in seiner Fantasie.
"Sie, die Fantasie, ist der Schlüssel zu Gauguin. Er war – und das wollen wir hier zeigen – ein exzellenter Erzähler. In seinem bildkünstlerischen Werk flossen die Negativa seines Charakters in den Dienst einer groß angelegten Arbeit am eigenen Mythos als romantischer Künstler."
Das romantisierende Klischee vom genialen Künstler als Weltenbummler und Ausreißer, der, getrieben von der Sehnsucht nach einer heileren Welt, mit allen Konventionen bricht und sich davon macht in sein Paradies auf Erden, auch wenn dies sich als Utopie erwies: Dieses Image hat Gauguin behutsam kultiviert, karrierebewusst und zielstrebig bis zum Ende. Noch fernab der verabscheuten Zivilisation bewies er kommerzielles Gespür. Er malte auf Tahiti für den Markt in Europa.
"PR in eigener Sache – davon verstand er mehr als die meisten Künstler des 19. Jahrhunderts. Da ist alles genau kalkuliert. Einerseits zieht er sich zurück, andererseits sagt er: Die Geschichte muss weitergehen."
Zu sehen sind in der TATE rund 100 Werke Gauguins, von den frühen, in der Künstlerkolonie Pont-Aven in der Bretagne entstandenen Arbeiten, über die Bilder, die ihn tatsächlich berühmt machen sollten: Die Gemälde aus der Zeit seiner beiden langen Tahiti-Aufenthalte ab 1891 bis zu seinem Tod 1903 auf den Marquesas-Inseln, bis hin zu den Arbeiten, die vor allem eines belegen: wie vielseitig Gauguin tatsächlich war – die Zeichnungen, Schnitz- und Keramikarbeiten und Farbholzschnitte mit ihren magischen, kultisch-religiösen Südseemotiven.
Die Kuratoren haben sich viel vorgenommen, zu viel vielleicht. Sie wollen zeigen, was sich nur schwer beweisen lässt: Dass es in diesem Werk so etwas gebe wie durchgängige Strategien des Erzählens des Künstlers, der in Bild und Text – als Maler, Bildhauer, Autor und als Briefschreiber – sich und seine Welt zum Mythos verdichtete, zu einer Art Passionsspiel des Primitiven.
Folgt man dieser Argumentation, ergäben die zehn Galerieräume – von den Selbstporträts über die Landschaftsbilder und die Frauenmotive bis hin zur religiös inspirierten Motivik in der Abteilung "Heilige Themen" – nichts weiter als eine Revue der permanenten Selbststilisierung in immer neuen Varianten, symbolhaft, farbenprächtig, facetten- und anspielungsreich, mal mehr, mal weniger verständlich, eben: komplex und schwierig.
Unmittelbar einleuchtend ist die These von einer narrativen Bildsprache Gauguins allenfalls dort, wo die bewusste Selbstmythologisierung tatsächlich auf der Hand liegt, da nämlich, um nur zwei Beispiele zu nennen, wo er sich als Leidensmann zu erkennen gibt: in Der gelbe Christus von 1889; oder in der Rolle des verratenen Erlösers im Garten Gethsemane.
Ansonsten bleibt Gauguin der Beschwörer der Melancholie und träumerischen Sehnsucht, der Maler der exotischen, verführerischen Sinnlichkeit und Fremdheit und der Meister der vielsagenden Mehrdeutigkeit. Nicht zufällig gab er vielen seiner Werke Fragen als Titel: Wie, bist du eifersüchtig?, Woher kommen wir – Wer sind wir – Wohin gehen wir?
So sehr die Ausstellung sich bemüht, dem Mythenmacher auf die Spur zu kommen: Der Erklärungsansatz über das Medium des Narrativen erweist sich letztlich als hilflos, zumal für den, der dem "Erzähler" Gauguin hier zum ersten Mal begegnet. Was auf der Leinwand gespielt wird und warum, bleibt ein Rätsel. Dass der Mythos freilich nichts von seiner Kraft verloren hat, das, so Belinda Thomson, stehe auf einem anderen Blatt – und außer Zweifel.
"Gauguin ist nach wie vor relevant, heute sogar mehr denn je. Als Künstler nahm er die Globalisierung vorweg. Er reiste um den Globus und überwand alle kulturellen Barrieren. Was wir als selbstverständlich voraussetzen, war für ihn schon vor 120 Jahren das Normalste von der Welt."
Und wie war er als Mensch? Sicher ebenso schwierig, wenn wohl auch weniger subtil. Gauguin war ein Außenseiter, ein Macho und sicher kein sonderlich betören-der Liebhaber. Als Makler an der Pariser Börse und privater Spekulant war er vorübergehend erfolgreich, sein Herz aber schlug für die Kunst.
Als er es sich leisten konnte, sammelte er Bilder – am liebsten Cézanne –, und sonntags griff er selbst zum Pinsel. Die Malerei war seine große Passion, ihr opferte er vieles – auch die Freundschaft mit van Gogh –, und für sie ließ er sogar seine Familie im Stich, die Frau und die fünf Kinder. Und er lebte ganz in seiner Fantasie.
"Sie, die Fantasie, ist der Schlüssel zu Gauguin. Er war – und das wollen wir hier zeigen – ein exzellenter Erzähler. In seinem bildkünstlerischen Werk flossen die Negativa seines Charakters in den Dienst einer groß angelegten Arbeit am eigenen Mythos als romantischer Künstler."
Das romantisierende Klischee vom genialen Künstler als Weltenbummler und Ausreißer, der, getrieben von der Sehnsucht nach einer heileren Welt, mit allen Konventionen bricht und sich davon macht in sein Paradies auf Erden, auch wenn dies sich als Utopie erwies: Dieses Image hat Gauguin behutsam kultiviert, karrierebewusst und zielstrebig bis zum Ende. Noch fernab der verabscheuten Zivilisation bewies er kommerzielles Gespür. Er malte auf Tahiti für den Markt in Europa.
"PR in eigener Sache – davon verstand er mehr als die meisten Künstler des 19. Jahrhunderts. Da ist alles genau kalkuliert. Einerseits zieht er sich zurück, andererseits sagt er: Die Geschichte muss weitergehen."
Zu sehen sind in der TATE rund 100 Werke Gauguins, von den frühen, in der Künstlerkolonie Pont-Aven in der Bretagne entstandenen Arbeiten, über die Bilder, die ihn tatsächlich berühmt machen sollten: Die Gemälde aus der Zeit seiner beiden langen Tahiti-Aufenthalte ab 1891 bis zu seinem Tod 1903 auf den Marquesas-Inseln, bis hin zu den Arbeiten, die vor allem eines belegen: wie vielseitig Gauguin tatsächlich war – die Zeichnungen, Schnitz- und Keramikarbeiten und Farbholzschnitte mit ihren magischen, kultisch-religiösen Südseemotiven.
Die Kuratoren haben sich viel vorgenommen, zu viel vielleicht. Sie wollen zeigen, was sich nur schwer beweisen lässt: Dass es in diesem Werk so etwas gebe wie durchgängige Strategien des Erzählens des Künstlers, der in Bild und Text – als Maler, Bildhauer, Autor und als Briefschreiber – sich und seine Welt zum Mythos verdichtete, zu einer Art Passionsspiel des Primitiven.
Folgt man dieser Argumentation, ergäben die zehn Galerieräume – von den Selbstporträts über die Landschaftsbilder und die Frauenmotive bis hin zur religiös inspirierten Motivik in der Abteilung "Heilige Themen" – nichts weiter als eine Revue der permanenten Selbststilisierung in immer neuen Varianten, symbolhaft, farbenprächtig, facetten- und anspielungsreich, mal mehr, mal weniger verständlich, eben: komplex und schwierig.
Unmittelbar einleuchtend ist die These von einer narrativen Bildsprache Gauguins allenfalls dort, wo die bewusste Selbstmythologisierung tatsächlich auf der Hand liegt, da nämlich, um nur zwei Beispiele zu nennen, wo er sich als Leidensmann zu erkennen gibt: in Der gelbe Christus von 1889; oder in der Rolle des verratenen Erlösers im Garten Gethsemane.
Ansonsten bleibt Gauguin der Beschwörer der Melancholie und träumerischen Sehnsucht, der Maler der exotischen, verführerischen Sinnlichkeit und Fremdheit und der Meister der vielsagenden Mehrdeutigkeit. Nicht zufällig gab er vielen seiner Werke Fragen als Titel: Wie, bist du eifersüchtig?, Woher kommen wir – Wer sind wir – Wohin gehen wir?
So sehr die Ausstellung sich bemüht, dem Mythenmacher auf die Spur zu kommen: Der Erklärungsansatz über das Medium des Narrativen erweist sich letztlich als hilflos, zumal für den, der dem "Erzähler" Gauguin hier zum ersten Mal begegnet. Was auf der Leinwand gespielt wird und warum, bleibt ein Rätsel. Dass der Mythos freilich nichts von seiner Kraft verloren hat, das, so Belinda Thomson, stehe auf einem anderen Blatt – und außer Zweifel.
"Gauguin ist nach wie vor relevant, heute sogar mehr denn je. Als Künstler nahm er die Globalisierung vorweg. Er reiste um den Globus und überwand alle kulturellen Barrieren. Was wir als selbstverständlich voraussetzen, war für ihn schon vor 120 Jahren das Normalste von der Welt."