Mythos Dresden

Rezensiert von Michael Opitz |
In Dresden geborene Dichter geben in dem von Renatus Deckert herausgegebenen Band "Die Wüste Stadt" Auskunft über ihre Sicht auf eine der schönsten Städte Deutschlands. Sie erinnern an die Zerstörung in der Bombennacht im Februar 1943 und an den Wiederaufbau unter sozialistischen Vorzeichen.
Am 13. Februar 1954, zehn Jahre nach der Bombardierung Dresdens, übergibt Bertolt Brecht dem Deutschen Friedensrat eine Unterschriftensammlung. In der unveröffentlicht gebliebenen Erklärung ruft er das Schicksal der untergegangenen Stadt in Erinnerung: "Heute vor zehn Jahren wurde Dresden, eine der schönsten Städte Deutschlands, in wenigen Stunden durch Fliegerbomben so zerbrochen und verkrüppelt, daß die Verwüstungen heute noch sichtbar sind."

In dem von Renatus Deckert herausgegebenen Buch "Die wüste Stadt" geben acht in Dresden geborene Dichter Auskunft über das "Barockwrack an der Elbe", jene einstige Sandsteinschöne, die in einer Februarnacht "zerbrochen und verkrüppelt" wurde. Volker Braun, Heinz Czechowski, Karl Mickel und B. K. Tragelehn, Autoren, die in den 1930er Jahren geboren wurden, waren noch Kinder, als die Bomben auf Dresden fielen. Mickel erinnert sich an die Flucht mit der Mutter, Braun an schwarze Flocken, die am nächsten Morgen ans Fenster flogen, Czechowski betont, dass er zwar verschont wurde, aber gebrandmarkt blieb und B. K Tragelehn beschreibt, wie er im Finstern hockte und Angst hatte, nicht mehr aus dem Keller zu kommen.

Von dem Feuersturm, in dem Tausende ums Leben kamen, haben Thomas Rosenlöcher (Jahrgang 1947) und Michael Wüstenfeld (Jahrgang 1951) nur aus Erzählungen der Überlebenden erfahren. Der Maler Wilhelm Rudolph, der wie kein anderer die Ruinenlandschaft Dresden in seinen Bildern festgehalten hat, wird für sie ebenso wie Rudolf Mauersberger, der für den Kreuzchor die Motette "Wie liegt die Stadt so wüst" komponierte, zum Zeitzeugen. Noch umgeben von Ruinen, beobachten sie skeptisch den sozialistischen Wiederaufbau mit seinen kantigen Neubauten. Die Prager Strasse, heißt es bei Rosenlöcher, "ein notdürftig mit Springbrunnen kaschierter, steingewordener Bericht des Politbüros an das Zentralkomitee.

Auf Überlieferungen müssen auch Durs Grünbein (Jahrgang 1962) und Christian Lehnert (Jahrgang 1969) zurückgreifen, wenn sie sich ein Bild von der Stadt vor der Zerstörung machen wollen. Im prägenden "Einheitsgrau" sozialistischer Alltäglichkeit aufgewachsen, hat sich bei Durs Grünbein die Stadt Dresden immer wieder um den Jahrestag der Bombennacht vom 13. Februar in Erinnerung gebracht, ihn nicht losgelassen und zum Schreiben gedrängt. Sein vor kurzem erschienenes Poem "Porzellan. Vom Untergang meiner Stadt" bringt einen Stimmenchor zum Sprechen, darunter auch der Nachgeborene, der nach einer Tonlage sucht, um von Dresden reden zu können.

Aus unterschiedlichen Perspektiven wird in diesem Buch Dresden zum Zentrum der dichterischen Aufmerksamkeit, so dass die vergangene Stadt immer wieder in den Gedichten entsteht und dennoch verschwunden bleibt. Für alle Dresdner ist dieses Buch ein Muss und für alle Dresden-Besucher neben einem Reiseführer unverzichtbar.

Renatus Deckert (Hrsg.): Die Wüste Stadt. Sieben Dichter über Dresden
Insel Verlag 2005
265 Seiten. 12,50 Euro
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